Welk auf dem Schreibtisch : Das Elend deutscher Büropflanzen
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Paul ist traurig. Bild: Frederik Busch
Sie sollen uns frische Luft spenden und die Arbeit erleichtern. Doch die meisten Büropflanzen fristen ein trauriges Dasein. Ein Fotograf rückt sie nun ins Blickfeld – und erzählt uns dadurch Geschichten über uns selbst.
Irgendetwas ist mit Ute passiert. Am Anfang ging es in der Firma steil nach oben, doch irgendwann kam dieser Knick. Jetzt lässt sie sich hängen, stützt sich gerade noch mühsam auf der Fensterbank ab, um nicht ganz den Halt zu verlieren. Gebeugt steht sie vor dem Fenster im Büroflur und, so jedenfalls sieht es aus, blickt sehnsüchtig nach draußen, während sie sich ein anderes, ein besseres Dasein erträumt. Doch dazu wird es nicht kommen. Ute wird in diesem Raum bleiben, und sie wird, sofern sie nicht doch noch versetzt wird, auch in diesem Raum sterben.
Das ist eine bittere Erkenntnis, und sie wird nur dadurch etwas weniger bitter, dass Ute keine Mitarbeiterin aus Fleisch und Blut ist, sondern eine Pflanze. Eine Büropflanze, genauer gesagt, die von Frederik Busch vermenschlicht worden ist. Der Hamburger Künstler hat die krummgewachsene Yuccapalme fotografiert und dazu den Satz gedichtet: „Ute leidet unter Tagträumen.“
Das Foto findet sich in Frederik Buschs soeben im Kehrer-Verlag erschienenem Bildband „German Business Plants“, der uns neben der tagträumenden Ute viele weitere Dienstzimmerpflanzen vorstellt, darunter den vorbildlichen Bogenhanf Melanie, die aufrechte Dreikantige Wolfsmilch Tristan und die niedergeschlagene Monstera deliciosa Dagmar.
Pflanzen als Doping im Büro
Mit seinem Buch rückt Busch endlich einmal jene Mitlebewesen ins Blickfeld, die selbst im Neonröhrenlicht des Großraumbüros ein Schattendasein fristen. In der Hierarchie der Firma stehen sie ganz unten, obwohl man ihnen mangelnden Einsatz nicht vorwerfen kann: Sie sind schon da, wenn wir kommen, und bleiben noch dann, wenn wir gehen.
Ihr Arbeitsauftrag ist klar umrissen: Sie sollen das Raumklima verbessern, für ein wenig frische Luft sorgen, können gern was hermachen, dürfen uns aber nicht von der Arbeit ablenken. Im Gegenteil: Eine britische Studie hat vor vier Jahren belegt, dass Pflanzen im Betrieb nicht nur die Zufriedenheit der Mitarbeiter steigern, sondern auch deren Produktivität. Der botanische Beitrag zum Bruttosozialprodukt dürfte nicht unerheblich sein.
Sich in den Pflanzen wiedererkennen
Doch wird es den Pflanzen gedankt? Viel zu wenig. Denn auch das zählt zu ihrer Jobbeschreibung: robust sein und pflegeleicht, keiner besonderen Zuwendung bedürfen, keinen Dank erwarten. Ebendiese Ansprüche stellt man in vielen Unternehmen auch an den kleinen Angestellten, und womöglich war es auch diese Parallele, die Frederik Busch zu seinem Projekt inspirierte.
Über acht Jahre hat er in deutschen Büros und Behördenkorridoren nach aussagekräftigem Grünzeug gefahndet und um die 1000 Fotos gemacht. Die markantesten davon haben es nun ins Buch geschafft. Keines der Fotos ist inszeniert, keine Pflanze hat Busch um mehr als einen halben Meter verschoben. „Es geht darum, dass sich Menschen in den Pflanzen wiedererkennen“, sagt Busch, „und ein wenig über sich und ihre Position in Leben und Beruf nachdenken.“
Der Blick in den Spiegel, wenn man so will, fällt erschreckend aus. Nicht nur die arme Ute, auch viele ihrer Artgenossen wirken erbarmungswürdig, sie sind verkrümmt, verstaubt, verkümmert. Und ja, das zwingt uns zum Nachdenken – über unsere eigenen Verrenkungen, die wir tagtäglich im Job unternehmen, über die eigene Sehnsucht nach ein wenig Zuspruch und etwas Dünger für die verdorrte Seele, über all die menschlichen Büropflanzen, denen kaum einer Beachtung schenkt.
All die Mauerblümchen, Eckensteher und stillen Dulder, die an ihrem Schreibtisch vor sich hin vegetieren. Und da „vegetieren“ laut Meyers Großem Konversations-Lexikon bedeutet, „wie eine Pflanze (untätig) leben“, können wir sagen: Ja, auch solche Kollegen sind uns bekannt.
Frei, wild und ungebändigt
Die Büropflanze in ihrer domestizierten, eingepferchten Existenz, die sich der Sonne in der weiten Welt dort draußen entgegenreckt, macht uns glauben, dass auch wir im Grunde geschaffen seien für ein anderes Dasein, frei und wild und ungebändigt – obwohl dem gemeinen Bürohengst beim Galopp in freier Wildbahn vermutlich rasch die Luft ausginge.
Dieser Widerspruch macht Frederik Buschs Fotos so rührend und traurig und komisch, gerade in Verbindung mit den lakonischen Bildbeschreibungen: Humor, so trocken wie die Erde der armen Birkenfeige auf unserem Fensterbrett. Oder ist das ein Gummibaum?
Lebensfeindliche Umgebung
Doch nicht nur um den Menschen geht es Frederik Busch, der als Sohn einer studierten Botanikerin in einem buchstäblich grünen Haushalt aufwuchs, sondern auch um die Pflanzen selbst. „Man stellt sich die Pflanzen auf, damit ein bisschen Leben zwischen die Bildschirme kommt und ein bisschen bessere Luft“, sagt er. „Und nach fünf Jahren steht da dann eine hässliche Freak-Pflanze, weil es eine sehr lebensfeindliche Umgebung ist. Wir Menschen können weggehen, können laut werden oder kündigen, wenn uns etwas nicht passt. Die Pflanzen können das nicht, sie müssen es aushalten: wachs oder stirb.“
Busch wünscht sich für Büropflanzen jene Achtsamkeit, wie er selbst sie der einzigen Pflanze in seinem Atelier angedeihen lässt – einer Aloe Vera, die er aufgepäppelt hat und fast jeden Tag besprüht. Seiner eigenen Pflanze hat Busch keinen Vornamen gegeben, aber Vera ist ja auch schon einer. Dass, nur nebenbei, der Fotograf und die beiden Beiträger zu seinem Buch, eine Kunstkritikerin und ein Historiker, mit ihren Nachnamen eine eigene kleine Natur-Erzählung liefern – nämlich Busch, Wind und Birken – ist ein absoluter, aber hübscher Zufall.
Dem tapferen Ficus – oder was auch immer das ist – in unserem Büro jedenfalls werden wir künftig bestimmt mehr Beachtung schenken. Ob ihm der Name Hartmut gefiele?