Betäubungsmittel : „Der größte K.-o.-Tropfen ist der Alkohol“
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Verschwommene Erinnerung: K.o.-Tropfen haben eine narkotisierende Wirkung. Oft werden sie auf Partys unbemerkt ins Getränk gemischt. Bild: Jung, Hannes
K.o.-Tropfen seien eine „urban legend“, meinen britische Wissenschaftler. Die Legende werde insbesondere von jungen Frauen befeuert, die nicht zugeben wollten, dass schlicht der Alkohol Haupt-K.o.-Grund war.
Nur einen Wodka und eine „Jacky-Cola“ habe sie in einer Bar getrunken, bevor sie sich dort mit ihrem Mitbewohner traf, schreibt „Terror-Püppi“ auf einer Seite für Frauen im Internet. Irgendwann habe ihre Wahrnehmung versagt. Am folgenden Tag sei sie gegen Mittag aufgewacht. Vor ihrem Bett war eine Riesenpfütze, ihr Schlüpfer sei „bis heute verschwunden“, die übrige Kleidung lag verstreut in der Wohnung.
Ein Fall für die Gerichtsmedizin
War sie ein Opfer von K.o.-Tropfen geworden? Die Frau schaltete die Polizei ein, denn sie fühlte sich „benutzt“. Die Polizei befragte den Mitbewohner und leitete Untersuchungen ein. „Terror-Püppi“ schrieb, sie wolle ihren Mitbewohner zwar nicht verdächtigen, aber er erinnere sich an den fraglichen Abend nicht mehr und verhalte sich kurios. Die Polizei habe ihr mitgeteilt: „Wir haben ihren Mitbewohner als ruhigen und netten Mann kennengelernt, und wenn wir die DNA-Spuren von ihm an Ihren Sachen finden, wird er schon ein Problem haben. Aber ansonsten sehen wir jetzt überhaupt keinen Grund, ihn aus der Wohnung zu verweisen.“
Der Fall ist symptomatisch für viele der wahren oder behaupteten Geschichten, die sich um Betäubungstropfen ranken. So rätselt Hessen gerade um das Schicksal von acht Frauen, die auf einem Karnevalsball in Fulda angeblich Opfer von K.o.-Tropfen mit narkotisierender Wirkung wurden. Das Gerichtsmedizinische Institut der Gießener Justus-Liebig-Universität untersucht den Fall.
Eine „moderne Sage“ junger Frauen
Die Häufigkeit, mit der K.o.-Tropfen eingesetzt werden, um damit womöglich eine weitere Straftat, etwa einen Raub oder ein Sexualdelikt, zu ermöglichen, ist nicht abzuschätzen. In der polizeilichen Kriminalstatistik wird die vermutete oder tatsächliche Verabreichung von K.o.-Tropfen, die für sich genommen schon den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung erfüllt, nicht erfasst. Auch das hessische Landeskriminalamt kann dazu keine Angaben machen. Wie groß die Gefahr ist, Opfer von Betäubungstropfen zu werden, ist in der Fachwelt ebenfalls strittig.
Im „British Journal of Criminology“ war 2009 gar von einer „modernen Sage“ die Rede. Wissenschaftler der Universität von Kent hatten 200 Studenten zu ihren Erfahrungen mit K.o.-Tropfen befragt und sprachen daraufhin von einer „urban legend“, die von jungen Frauen befeuert werde, die nicht akzeptieren wollten, dass sie schlicht zu viel Alkohol getrunken hatten. Drei Viertel der Befragten hielten vergiftete Drinks für ein größeres Risiko als Trunkenheit, die Einnahme von Drogen oder einsame Spaziergänge in der Dunkelheit. Die Forscher verwiesen auch auf eine australische Studie. Danach fanden sich bei nicht einem von 97 jungen Patienten beiderlei Geschlechts, die wegen vermeintlich vergifteter Getränke binnen 19 Monaten zwei Krankenhäuser in Perth aufgesucht hatten, Hinweise auf den Missbrauch von K.o.-Tropfen.
Alkohol: Hauptfeind der Erlebniskontinuität
Im „Deutschen Ärzteblatt“ berichteten Burkhard Madea und Frank Mußhoff 2009, dass zwar die Zahl der Berichte über den Einsatz von K.o.-Mitteln zugenommen habe, um Anschlussstraftaten zu begehen. Aber „belastbare epidemiologische Daten zur Häufigkeit drogenassoziierter Sexualdelikte existieren aufgrund der vermuteten hohen Dunkelziffer naturgemäß nicht“. Die häufigste Substanz, die im Zusammenhang mit Sexualdelikten nachgewiesen werde, sei zu 40 bis 60 Prozent Alkohol gefolgt von illegalen Drogen wie Cannabis oder Kokain. Nur in zwei Prozent der Fälle könnten bei Routineuntersuchungen unfreiwillig eingenommene Medikamente und Drogen nachgewiesen werden. Abgesehen von den „kurzen Eliminationshalbwertzeiten“ der K.o.-Substanzen, die sich also relativ rasch im Körper abbauen, komme erschwerend hinzu, dass jene Opfer, die vermuten, dass ihnen K.o.-Mittel verabreicht worden seien, „häufig zum Vorfallszeitpunkt höhergradig alkoholisiert“ waren und schon allein die Konzentration an Alkohol im Blut „eine Amnesie mit vollständigem Verlust der Erlebniskontinuität“ erklärt.