Bahnlärm im Mittelrheintal : „Wir haben ein Monstrum geschaffen“
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Ein ICE passiert die Altstadt von Bacharach - und ist dabei noch etliche Dezibel leiser als nächtliche Güterzüge Bild: dpa
Der Lärm im Mittelrheintal ist unerträglich, finden viele Bürger zwischen Bingen und Bonn. Von der Bahn fühlen sie sich allein gelassen und sind in ihrem Zorn kaum zu bremsen.
Kürzlich im Bürgerzentrum von Oestrich-Winkel. Vielleicht fünfzig Zuglärmgeschädigte waren gekommen, um sich über die Ergebnisse einer „Machbarkeitsstudie“ informieren zu lassen. Deren Ziel: weitere technische Möglichkeiten auszuloten, um das Mittelrheintal (und dessen Ausläufer) leiser zu machen. Da stand nun also ein armer Ingenieur neben seinem Beamer und mühte sich redlich, den Bürgern zu erklären, dass alles leider nicht so einfach sei. Und fügte dann hinzu, dass man aber trotzdem noch drei Dezibel Lärmminderung hier herausholen könne und da ebenfalls noch drei und woanders vielleicht sogar fünf - über das Schleifen der Schienen etwa oder über Schienenstegdämpfer, mit denen die Schienenschwingung vermindert werden soll. Oder mit Hilfe von Schienenschmiereinrichtungen, die das Quietschen in den Kurven abschwächen.
Allein: Die Bürger von Bingen bis Bonn, die das Glück haben, im wunderschönen Mittelrheintal zu leben, und das Pech, dass Güterzüge, die auch nachts zum Teil nur ein paar Meter an ihren Häusern vorbeidonnern, dieses Glück zunichtemachen - diese Bürger haben keine Lust mehr auf Peanuts und Brotkrumen. Schließlich geht es nicht um ein, zwei oder fünf Dezibel, sondern um 110 in der Spitze - und 80 bis 90 sind schon verdammt laut.
Der Zorn traf an diesem Abend im Bürgerzentrum vor allem den anwesenden Vertreter der Bahn, den „Oberkasper“, wie ihn einer aus dem Publikum nannte. Warum die eigentlich wichtigen Fragen nicht aufgeworfen würden, fragten ihn die Leute. Also: Nachtfahrverbot - ja oder nein? Oder: Halbierung der Geschwindigkeit - ja oder nein? Die Antwort gaben viele selbst: Es bestehe daran kein übergeordnetes Interesse.
Dass man das so nicht stehen lassen kann, zeigte die Bahnlärm-Konferenz „Schneller leiser“ in Lahnstein (die von einer „Désirée Duray“ moderiert wurde) am Montag. In die Stadt mit der langen Eisenbahntradition hatten die für den Schienenverkehr zuständigen Minister von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, Roger Lewentz und Michael Groschek (beide SPD), sowie der Schweizer Botschafter in Deutschland, Tim Guldimann, eingeladen. Warum nun gerade der? Weil die Schweiz offenbar Mittel und Wege gefunden hat, den Bahnlärm auf ein Maß zu reduzieren, das von der Bevölkerung vielleicht nicht als Wohlklang, aber doch als notwendige Begleitmusik der Prosperität akzeptiert wird.
Guldimann sagte, dass in der Schweiz pro Kopf zehnmal mehr für die Bekämpfung von Lärm ausgegeben werde als hierzulande. Außerdem ließ er keinen Zweifel daran, dass es ohne staatlichen Zwang, sprich: gesetzliche Regelungen, nicht gehe. In der Schweiz hat das Parlament etwa ohne Gegenstimme dem Verbot der Grauguss-Bremssohlen zugestimmt.