Amerikanisches Fernsehen : Serien als Stresstest
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„Mad Men“: Warenglanz und psychoanalytische Kulturkritik, versöhnt in schön anzuschauender Selbstironie Bild: ASSOCIATED PRESS
Wird man Kindern bald empfehlen, wieder mehr fernzusehen? Amerikanische Serien verlangen uns etwas ab, was früher Literatur erzwang: Konzentration, Geduld und den Glauben ans Werk.
Dass ausgerechnet Fernsehserien einmal zum letzten großen Innovationsformat der amerikanischen Kulturindustrie werden, dieser Gedanke war vor kurzem noch so abwegig wie die Vorstellung, dass anonyme Kollektivtexte im Internet irgendwann den Brockhaus abschaffen. Hinterher hat man es schon immer so kommen sehen. In der Tat hätte man nicht bis zu den „Sopranos“ oder „Mad Men“ warten müssen, um das Fernsehen als anspruchsvolles Erzählmedium zu entdecken. Mindestens seit den 1970er Jahren haben serielle Fernsehformate aus den Vereinigten Staaten mit Hingabe und Witz an der Verfeinerung ihrer medialen Möglichkeiten gearbeitet.
Wer also in den weitgespannten Erzählbögen und verzweigten Figurenkonstellationen gegenwärtiger Fernsehserien eine neue Qualität ausmachen möchte, sollte darauf gefasst sein, dass irgendein gut informierter Medienwissenschaftler die komplexen Strukturen früherer Sendungen wie „The Mary Tyler Moore Show“, „Hill Street Blues“, „Buffy the Vampire Slayer“ oder „NYPD Blue“ herbeizitiert. Und natürlich „Seinfeld“, eine Sitcom, die neun Staffeln lang behauptete, von nichts zu handeln, in Wirklichkeit aber einen großen Gegenstand hatte, nämlich die Herstellung unfassbar verwickelter Erzählsituationen selbst: eine der ersten Fernsehserien, in denen es ausdrücklich um Serialisierung ging.
Dieselbe Geschichte, nur neu
Tatsächlich waren kommerzielle Serien schon immer experimentell. Ob Feuilletonromane aus dem neunzehnten Jahrhundert (Balzac, Dickens), ob Web-Comics der digitalen Ära - regelmäßig haben sich serielle Formate an einem der schwierigsten Probleme des Erzählens abgearbeitet: Wie kann man dieselbe Geschichte noch einmal, aber neu erzählen? Was wie eine schlichte literarische Herausforderung aussieht, benennt bei näherer Betrachtung ein Grundparadox aller modernen Kultur, nämlich deren Abhängigkeit von Reproduktionsverfahren, die zugleich als Innovationsverfahren wirken. Serien dürfen in dieser Hinsicht als eines der agilsten Formate moderner Selbstreflexion gelten; sie haben ein geradezu natürliches Interesse an Thematiken der Erneuerung, Expansion und Überbietung.
Das war schon bei „Dallas“ so, jener wiederholungsintensiven Seifenoper aus den achtziger Jahren, deren Popularität sich die damalige Fernsehforschung nur mit der Annahme einer gewitzten Zuschauerschaft erklären konnte, die den kulturimperialistischen Schund für die eigenen antihegemonialen Zwecke umdeutete. Dass Dallas eine angemessen standardisierte Versuchsanordnung zum Verhältnis Geld und Familie wöchentlich neu durchspielte und in unbarmherziger Konsequenz bis zum Wahnwitz vertiefte - schon die Anmutung eines solchen Gedankens war während der Laufzeit der Serie kaum diskutierbar.
Bei jüngeren Sendungen wie „Breaking Bad“ oder „Homeland“ verhält es sich anders. Feuilleton und Wissenschaft widmen sich diesen Werken mit einer Leidenschaft, die ehemals großer Literatur vorbehalten war. Natürlich ist es kein Zufall, dass das Fernsehen derartige Qualitätsansprüche genau in dem Moment forciert und dabei an gesellschaftlicher Akzeptanz gewinnt, in dem sein Status als populäres Leitmedium zu verblassen beginnt. Vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, in der Eltern ihre Kinder zum Fernsehschauen statt Internetsurfen anhalten werden, damit nachfolgende Generationen nicht verlernen, umfangreiche Geschichten mit echten Figurenkonstellationen zu rezipieren.