Aids-Geschichte : Patient O wird freigesprochen
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Ein bis zwei Millionen Menschen sterben jährlich an Aids. Bild: dpa
Ein homosexueller Kanadier war in Amerika der Aids-Dämon: Er soll das HI-Virus im Land verbreitet haben. Falsch, wie sich jetzt nach Jahrzehnten herausgestellt hat.
Ein altes Rätsel um die Aids-Krankheit ist gelöst, das um ihren Beginn in Nordamerika: Das HI-Virus gelang höchstwahrscheinlich um 1970 aus Haiti nach New York und hat sich von dort in den Vereinigten Staaten rasant verbreitet. Das hat ein Forscherteam um Michael Worobey von der University of Arizona in Tuscon in einer Studie gezeigt, in der sie die Verbreitungsgeschichte des Aids-Erregers mit Hilfe von Erbgutsequenzen alter Blutproben rekonstruierten.
Die Forscher untersuchten über 2000 Blutproben, die zwischen 1978 und 1979 im Rahmen von Hepatitis-B-Studien in New York und San Francisco von Männern entnommen worden waren – von Männern, die Sexualkontakte mit anderen Männern pflegten. Mehrere hundert dieser Spender wurden zum Zeitpunkt der Blutabnahme HIV-positiv getestet, wie es in der Fachzeitschrift „Nature“ heißt. Den Wissenschaftlern gelang es, trotz jahrzehntelanger Lagerung des Blutes genug Erbgut des HI-Virus zu extrahieren. Mit einem Verfahren namens „RNA-Jackhammering“ haben sie acht fast vollständige Sequenzen rekonstruiert, um einiges über die damals als „Sexseuche“ betitelte Aidsepidemie zu erfahren. Unter Verwendung eines HIV-Familienstammbaumes konnten die Forscher dann alte HI-Viren miteinander vergleichen.
Der unglückliche Patient O
Schritt für Schritt zeichnete sich die tückische Verbreitung des Virus ab: Die ersten Vorläufer der HI-Viren zirkulierten womöglich zwischen 1963 und 1970 auf den karibischen Inseln. Von Haiti aus gelangen sie in die Metropole New York, die Worobey zufolge „eine Bevölkerung war, die wie trockener Zunder wirkte“, schließlich erreichte das Virus 1972 genug Menschen, um erstmals internationale Aufmerksamkeit zu erlangen. Binnen weniger Jahre verbreitete sich das HI-Virus von der Ostküste über das gesamte Land, bis es um 1978 San Francisco erreichte. Auch die Vermutung, dass die in Afrika lebenden Affen ihre Ur-HIV-Gene Anfang des 20. Jahrhunderts auf Menschen übertragen haben, wurde durch die Ergebnisse der Forscher bestätigt.
Mit der Studie wird auch der kanadische Flugbegleiter Gaétan Dugas entlastet, der lange Zeit als Quelle des HI-Virus galt. Nachdem Aids bekannt wurde, machte sich die amerikanische Gesundheitsbehörde „Centers for Disease Control and Prevention“ auf die Suche nach dem Ursprung des Immundefekts. Auch der homosexuelle Dugas, der mit 31 Jahren infolge der HI-Infektion an Nierenversagen verstarb, wurde als „Patient O“ in die Liste aufgenommen. Der Großbuchstabe O stand für „Out(side)-of-California“, also für die Tatsache, dass er nicht aus Kalifornien, sondern aus Kanada stammte. Wie das Schicksal es wollte, wurde der Buchstabe mit einem Ziffer verwechselt: Patient O wurde zu Patient 0, also zu einem „Indexpatienten“, der plötzlich für die Ausbreitung der HIV-Epidemie verantwortlich gemacht wurde. Nun zeigt die Rekonstruktion seines Genoms, dass er keinesfalls derjenige war, der das HI-Virus von New York nach San Francisco gebracht hat. „Einer der am meisten dämonisierten Patienten der Geschichte“, wie ihn der Co-Autor der Studie Richard McKay beschreibt, hat womöglich sehr viele seiner wechselnden Sexualpartner angesteckt. Aber als „Patient Null“ wird er dank der Forscher endgültig freigesprochen.