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Abitur-Noten : Und plötzlich ist der Olli schlau

Das Abitur, ein Klacks? Und plötzlich ist der Olli schlau? Manchmal verzweifeln die Universitäten jedenfalls geradezu an ihren bildungsarmen Erstsemestern. So bestanden vor zwei Jahren nur 22 von 305 Lehramtsanwärtern im ersten Anlauf eine Mathe-Klausur der Uni Köln.

Kompetenz statt reines Wissen

In einer Stellungnahme bescheinigte die Mathe-Fakultät den Studierenden nach Bekanntwerden der hohen Durchfallerrate „ungenügende Vorkenntnisse“: „Die erfolgreiche Bearbeitung der Aufgaben scheitert sehr häufig nachweisbar an einfachen Rechnungen wie Punkt- vor Strichrechnung, Ausklammern, Multiplikationsaufgaben wie 5 × 25, dem Kürzen von Brüchen, Potenzrechenregeln etc. Auch weitergehender Stoff aus der Mittelstufe wie das Lösen quadratischer Ungleichungen steht häufig nicht zur Verfügung. Begriffliches Denken oder Sätze mit mathematischem Sinn zu formulieren, fällt vielen schwer.“

Petra Stanat, Direktorin des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der Berliner Humboldt-Universität, hält solche Klagen für „zu pauschal“. Ihr Institut hat die Fäden in der Hand, wenn es darum geht, festzulegen, welche Kompetenzziele die Schüler in den einzelnen Bundesländern erreichen sollen. Zudem wird es in Zukunft den Ländern ganz konkret Aufgaben zur Verfügung stellen, die in den Abiturprüfungen eingesetzt werden können. „Es gab schon immer Beschwerden von Hochschulen, aber auch von Gymnasien oder Realschulen, dass die Schüler in der Schulstufe davor nicht genug gelernt hätten.“

Aber das sei nicht belegt. Die Schüler lernten heute bloß anders als früher. Kein reines Wissen mehr, sondern „Kompetenzen“, also Wissen und Fähigkeiten, mit denen sie etwas anfangen könnten. „Dabei darf man die Vermittlung von Wissen natürlich nicht zu weit herunterfahren“, gibt sie zu. Man müsse das richtige Maß finden. Nicht immer gelinge das: „Bei dem einen oder anderen Lehrplan wurde die Kompetenzorientierung vielleicht etwas weit getrieben.“

Noten werden durch die Decke gehen

So wird es wohl auch bei den Lehrplänen der 283 durchgefallenen künftigen Mathelehrer an der Uni Köln gewesen sein, die vor lauter „Kompetenz“ nicht mehr rechnen konnten. Eine durchaus praxisnahe Aufgabe, die ihnen zu schaffen gemacht hatte, lautete wie folgt: „Eine Blaskapelle erhält einen Betrag von 10 000 Euro, um Trompeten und Posaunen anzuschaffen. In der erwünschten Qualität kosten eine Trompete 1050 Euro und eine Posaune 1200 Euro. Warum kann der zur Verfügung stehende Betrag nicht restlos ausgegeben werden? Welches ist der höchste Betrag, der ausgegeben werden kann, und wie viele Instrumente beider Arten werden jeweils für diesen Höchstbetrag angeschafft?“ Das hört sich dann doch eher nach Mittelstufe als nach Uni an.

Dass die Bildungspolitik das Ruder herumreißen wird, ist nicht zu vermuten. Vielmehr wird die Nivellierung des Niveaus weiter fortschreiten. Die Kultusminister haben beschlossen, dass von 2017 an nicht nur innerhalb der einzelnen Bundesländer, sondern in allen Bundesländern vergleichbar schwere Abiturprüfungen geschrieben werden sollen. Wahrscheinlich werden die Noten dann überall durch die Decke gehen.

Was das für die Gerechtigkeit bei der Studienplatzvergabe in Numerus-clausus-Fächern bedeutet, kann man schon jetzt voraussehen. Der gebürtige Ukrainer Wadim Vodovozov machte 2011 mit einem Notendurchschnitt von 0,7 das beste Abitur Baden-Württembergs und bewarb sich in Heidelberg um einen Studienplatz in Medizin. Bekommen hat er ihn nicht. In seinem Jahrgang gab es zu viele Einser-Abiturienten für die reservierten Plätze - deswegen musste gelost werden. Wadim hatte Pech.

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