150 Jahre Big Ben : Symbol einer ganzen Nation
- -Aktualisiert am
Big Ben ist mit 13,5 Tonnen die schwerste der fünf Glocken des Uhrturms am Place of Westminster Bild: REUTERS
Es gibt nur eine Uhr auf der Welt, deren Glockenschlag zum Symbol einer ganzen Nation geworden ist: „Big Ben“. Sie erzählt Geschichten, rührt manche Briten zu Tränen - und feierte den 150. Geburtstag.
Es gibt nur eine Uhr auf der Welt, deren Glockenschlag zum Symbol einer ganzen Nation geworden ist. Eine Sequenz von vier Tönen, gefolgt vom tiefen Stundenton. Big Ben heißt das Geläut, heißt die Uhr, heißt der ganze Glockenturm - aber eigentlich ist es bloß der Name der Glocke, deren dunkler Klang an diesem Sonntag vor 150 Jahren zum ersten Mal über dem neugotischen Parlamentsbau an der Themse schwebte. Und das Erkennungszeichen Großbritanniens, das mittlerweile so steif wirkt, dass man ihm gut und gerne noch viele Jahre mehr zuschriebe, war zur Zeit seiner Geburt trotzdem Ausdruck eines Fortschrittsdenkens und einer imperialen Zuversicht - eines britischen Zukunftsglaubens, der noch nach dem Ersten Weltkrieg lebendig war.
Die Turmuhr, die 1859 in dem beinahe 100 Meter hohen Campanile ihren Dienst begann, hatte das damals exakteste mechanische Uhrwerk überhaupt - ein technisches Meisterstück. Schon 1923, in der Frühzeit des Rundfunkwesens, begann die BBC, ihre Nachrichten mit dem Stundenschlag Big Bens einzuleiten. Das Geläut wurde ihr weltweites Signal. Damals wie heute wird es nicht vom Tonband eingespielt oder digital erzeugt, sondern live von einem Satz Mikrofone aufgenommen und ausgesendet, die an einer Strebe des Turmdachs montiert sind. Jeden Tag um Punkt sechs und um Punkt zwölf Uhr schlägt Big Ben im BBC-Radio - von einer längeren Reparaturpause im Jahr 1976 und von den Tagen im Frühjahr 1941 abgesehen, als das Explosionskrachen deutscher Fliegerbomben und das Geheul Londoner Luftschutzsirenen den Glockenschlag unter sich begruben.
250 Kilo schweres Uhrwerk
"Manchen Menschen kommen tatsächlich Tränen, wenn sie der Uhr zum ersten Mal gegenüberstehen", sagt Paul Roberson, einer der drei Mechaniker, die sich um Big Ben kümmern. "Vor allem alte Leute bewegt es sehr." Roberson führt die Gruppen nach oben, die sich bei ihren Wahlkreisabgeordneten melden und den Turm besichtigen wollen. Dreimal in der Woche muss er aber ohnehin die 334 Stufen hinauf. Montags, mittwochs und freitags muss das Uhrwerk aufgezogen werden. Die Gewichte für das Glockengeläut, die eine Tonne und mehr wiegen, werden seit Jahrzehnten mit Hilfe von Elektromotoren durch den Turmschacht hinaufgewunden. Für das 250-Kilo-Gewicht des Uhrwerks aber ist seit dem ersten Tag eine Handkurbel in Gebrauch. Eine gute Stunde muss der Uhrmacher kurbeln, bis die Uhr aufgezogen ist.
Roberson erzählt von jenem Morgen im vergangenen Februar, als London unter einer Dutzend Zentimeter hohen Schneedecke aufwachte. Er hatte den Turmdienst, als weder Vorortzüge noch Busse fuhren, die ihn von seinem Wohnbezirk Chingford nach Westminster hätten bringen können. Er lief stundenlang zur nächsten U-Bahn und schaffte es bis um neun Uhr in die Innenstadt. Zwei Stunden später wäre Big Ben stehengeblieben. Die wegen des versagenden Nahverkehrs ohnehin schon wütenden Londoner hätten das als unfassbares Katastrophenzeichen gedeutet.
Wie die Glocke zu ihrem Namen kam
Aus Geschichten wie dieser speist sich der Nimbus des hundertfünfzigjährigen Glocken-Wesens. Schon zur Frage, wie Big Ben zu seinem Namen kam, stehen gleich zwei zur Auswahl: Sir Benjamin Hall hieß der Chef der Baukommission, der in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Errichtung des viktorianischen Parlamentsneubaus am Ort des früheren "Palace of Westminster" leitete. Big Ben könnte sich aber auch von Benjamin Caunt herleiten, einem zu jener Zeit berühmten, 110 Kilo schweren Londoner Preisboxer. Welcher Benjamin auch immer der Glocke den Namen gab (Roberson tippt auf den ersten, den Baumeister), sie zog ihres ungeheuren Umfangs wegen von Anfang an allerlei Unglücke und Abenteuer auf sich.
Die erste, 16 Tonnen schwere Glocke, die provisorisch in ein Holzgerüst im Innenhof des Unterhauses gehängt wurde, weil der Glockenturm noch nicht fertig war, zerbarst schon, bevor sie zur Uhr hinaufgeschafft werden konnte. Angeblich war sie beim Schauläuten mit immer größeren Klöppeln und Hämmern angeschlagen worden, um den Klang zu verstärken, bis sie zersprang. Eine Londoner Gießerei stellte aus den Trümmern eine neue Glocke her. Die wog nur noch 13 Tonnen, erwies sich aber dennoch als zu breit, um durch das Eingangstor in den Glockenschacht hineingeschoben zu werden. Nur hochkant gestellt und mit Mühen gelangte sie schließlich hinauf in den Glockenstuhl. Auch "Big Ben II." erlitt das Schicksal seines Vorgängers: Der Hieb eines zu schweren Hammers versetzte der Glocke einen Riss. Dieses Mal aber blieb die Glocke notgedrungen über dem schon eingebauten Uhrwerk hängen, wurde um 90 Grad gedreht, mit einem kleineren Schlaghammer versehen und zählt seither mit ihrem melancholisch dunklen Ton die Stunden.