10 Jahre Club Berghain : Körper im dunklen Raum
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Blick in die Ausstellung im Berliner Club Berghain, der mit Kunst sein zehnjähriges Bestehen feiert Bild: Berghain
Gespräche sind im Berghain nicht üblich: Der sagenumwobene Club in Berlin wird zehn Jahre alt und feiert sich selbst mit einer Kunstausstellung. Die neun ausstellenden Künstler verwandeln Partyrelikte in Reliquien.
Wenn vom Berghain die Rede ist, dann nicht selten salbungsvoll. Als wehe geweihte Luft durch heilige Hallen. Wer es nach stundenlangem Anstehen zwischen aufgeregten Party-Touristen aus aller Welt bis auf die Tanzfläche schafft - also nicht in die trübe Morgendämmerung zurückgewiesen wurde -, empfindet zwangsläufig Ehrfurcht und Dankbarkeit. Auch die Discjockeys dürfen sich ausgezeichnet fühlen: Der Gnadenerweis gilt nicht Techno im Sinn von stampfender Funktionsmusik, sondern einer klanglichen Komplexität, von der die gedachte Pforte zwischen Pop- und Hochkultur aus den Angeln gehoben ist. Längst bespielen auch der Berliner Rundfunkchor, das Staatsballett und bekannte zeitgenössische Künstler diese Kultstätte der Postmoderne; ein Magazin schrieb in Anspielung an Wagner und Warhol: „Die Technokultur ist in die klassische Phase eingetreten, und das Berghain ist ihr Bayreuth und ihre Factory zugleich.“
Gängige Auffassungen von Kultur könnten womöglich eher Sodom und Gomorrha als Vergleich heranziehen. Hervorgegangen ist der Club aus homosexuellen Fetisch-Partys. Dieser Einfluss manifestiert sich bis heute. Es gibt mehrere Darkrooms. Über der Panorama-Bar im zweiten Obergeschoss prangt ein nacktes Gesäß auf einem Werk des Künstlers Wolfgang Tillmans. Berichte von Sex und Drogen finden in Romanen wie Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“ ihre literarische Überhöhung. Die Legenden werden unterstützt durch das Kameraverbot im Innern des Berghain. Zur Aura gehört die wuchtige Industrieruine: ein ehemaliges Heizkraftwerk, fast zwanzig Meter hoch, im Stil des sowjetischen Klassizismus.
Zum zehnjährigen Bestehen feiert das Berghain den eigenen Mythos nun mit der Ausstellung „10“. Vertreten sind neun Künstler, die dem Club verbunden sind, Schauplatz ist eine nur gelegentlich genutzte Nebenhalle. Vom Erdgeschoss sieht man durch ein Loch im Boden des zweiten Stocks bis zur Decke. Mächtige Betontrichter, vielleicht einst für den Rauch von brennender Kohle, geben dem Raum die Anmutung einer gigantischen Kaffeemaschine. Musik spielt nicht, die Kunst empfindet die extreme Körpererfahrung einer Technoparty nach.
Abwaschbarer Körperschmuck
Auf der Fotoserie „Lost Highway“ versammeln sich grimmig blickende Männer in Skinhead-Montur an einem Autowrack, einer schultert ein Gewehr. Manche Betrachter wenden vorsichtshalber den Kopf, bevor sie ihre Meinung äußern. Der Künstler ist Sven Marquardt, in der DDR war er Fotograf von subkultureller Mode, berühmt und gefürchtet ist er als der Türsteher des Berghain. Seine Tätowierungen, die sich bis zum Scheitel ranken, und zwei an Eberzähne erinnernde Lippen-Piercings verleihen diesem Mann aus Granit unhinterfragbare Autorität.
„Ich mag eigentlich keine Tätowierungen mehr“, sagt Marquardts Künstlerkollege Marc Brandenburg, „als ich zuletzt in Barcelona war, hatte dort jeder Zweite mindestens einen Arm oder ein Bein komplett tätowiert.“ Ironischerweise hat Brandenburg als Installation aber doch ein lebensechtes Kioskhäuschen aufgebaut, in dem er bogenweise selbstentworfene Tattoos verkauft. Dieser abwaschbare Körperschmuck ist beim Publikum der Renner - und sieht auch wesentlich besser aus als gewöhnliche Tattoos. Die von Marc Brandenburg sind im peniblen Fotonegativ-Stil gezeichnet, durch den er bekannt wurde; das Weiß sticht heraus und leuchtet im Schwarzlicht. Man muss eine Weile hinsehen, um die Motive zu erkennen: Tische mit geleerten Flaschen, zerknüllte Kondome und andere ominöse Party-Relikte aus dem Berghain bilden eigensinnig abstrakte Formen.