Anwohner und der G-20-Gipfel : Wenn die Nachbarschaft zur Festung wird
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Steffen Jörg, Sylvia Griepentrog und Birgit Otte Bild: Sebastian Eder
Vor zwei Jahren wohnten in den Hamburger Messehallen noch Flüchtlinge. Jetzt konferieren dort die Mächtigen der Welt. Was macht das mit dem Stadtviertel? Wie fühlen sich die Anwohner? Ein Interview.
Steffen Jörg, Sylvia Griepentrog und Birgit Otte wohnen unweit der Hamburger Messehallen, wo in Kürze die Staats- und Regierungschefs der G20 beraten werden. Sie sind auch Mitglieder der Stadtteilvernetzung „St. Pauli selber machen“.
Wie haben die Menschen im Viertel darauf reagiert, dass der G-20-Gipfel vor ihrer Haustür stattfindet?
Steffen Jörg: Am Anfang war alles noch sehr weit weg. Aber es war schnell die Stimmung da: Was ist das für ein Wahnsinn? Wir kümmern uns normalerweise um Themen wie Gentrifizierung, aber uns war schnell klar, dass unser Viertel belagert werden wird. Da wollten wir uns positionieren und aktiv werden.
Sylvia Griepentrog: Vor zwei Jahren waren in den Messehallen noch Flüchtlinge untergebracht. Jetzt kommen hier Leute her, die für die Politik verantwortlich sind, wegen der die Menschen fliehen mussten. Und viele Leute aus St. Pauli haben damals in den Hallen geholfen, deswegen ist die Empörung auch so groß.
Wie haben Sie reagiert?
Jörg: Wir hatten vor drei Wochen eine große Stadteilversammlung, jetzt haben wir die ganze Woche das Stadteilkulturzentrum Kölibri so eingerichtet, dass sich die Leute hier ausruhen können, wir haben Handyladestationen, es gibt Kaffee und Essen. Es soll ein Ort sein, an den die Nachbarn kommen können, aber auch all die, die angereist sind, um gegen den Gipfel zu demonstrieren.
Morgen beginnt der Gipfel. Die Demos laufen seit Tagen – wie haben Sie die Proteste bisher erlebt?
Birgit Otte: Ich erlebe die Stimmung als sehr gut, gestern gab es diese tolle Nachttanzdemo mit ganz vielen jungen Leuten. Sehr wichtig ist auch, dass die Campfrage geklärt ist. Dafür sind jetzt viele Grünflächen freigegeben worden, Kirchen haben ihre Plätze geöffnet, das Pauli-Stadion auch, die Stimmung ist wirklich gut.
Kommen Demonstranten bei Anwohnern in St. Pauli unter?
Otte: Ja, bei uns im Haus sind Leute.
Griepentrog: Es läuft ganz viel, die Leute kommen zu uns und fragen, wo sie unterkommen können Ganz viele Anwohner machen ihre Türen auf. Der Innensenator hat ja gesagt, die Leute in St. Pauli sollen zusammenrücken, das machen wir jetzt.
Jörg: Das resultiert aber auch aus einer Riesenempörung, die hier herrscht, weil die Polizei sich über Gerichtsentscheidungen hinweg gesetzt hat und die Versammlungsfreiheit nicht respektiert wird. Es ist ein klares Signal gegen die Politik dieses Senats. Die Grundrechte werden ausgehebelt.
Die Camps wurden ja nicht grundlos zum Übernachten gesperrt. Gewalttäter sollen keine Rückzugsmöglichkeit haben. Unterlaufen Sie das nicht, wenn Sie Demonstranten aufnehmen?
Jörg: Wir sind ein offenes Zentrum. Ich maße mir nicht an zu entscheiden, wer hier reinkommt. Wer sich bei dieser Weltlage Despoten und Autokraten in die Stadt holt, der holt sich auch den Protest in die Stadt. Die Polizei malt ein Horrorszenario nach dem anderen an die Wand, von denen sich bisher keines erfüllt hat.
Wäre es denn besser, wenn sich die Mächtigen auf irgendeiner Insel treffen würden? So haben Sie doch die Möglichkeit, Ihre Unzufriedenheit zu zeigen.
Jörg: So soll uns das verkauft werden. Erlebt habe ich einen weitreichenden Angriff auf demokratische Grundrechte. Das ein Festival der Demokratie zu nennen, wie der Innensenator es gemacht hat, ist an Zynismus nicht zu überbieten.
Otte: Schon alleine dieser riesige Raum, in dem ein Versammlungsverbot gilt, zeigt doch, dass man den Protest eben nicht zulässt. Der Protest sollte kriminalisiert werden, daran arbeiten Polizei und Verfassungsschutz seit Monaten. Aber das funktioniert nicht, die Leute kommen und protestieren, das hat man ja gesehen.
Haben Sie Sorgen, dass bei der „Welcome to hell“-Demo am Donnerstagabend Menschen zu Schaden kommen?
Griepentrog: Gestern hat sich die Polizei sehr zurückgehalten, das würde ich mir für heute auch wünschen. Aber Ich habe die Sorge, dass die Polizei die Eskalation suchen wird.
Die Polizei wurde für ihre Zurückhaltung sehr gelobt. Das zeigt doch, dass eine Eskalation gar nicht in ihrem Sinne ist.
Jörg: Allein dass Hartmut Dudde den Polizeieinsatz leitet, zeigt, wie man auf Demonstrationen aus dem linken Spektrum reagieren soll. Dudde und die Linken haben eine lange Geschichte, es kam immer wieder zu fragwürdigen Einsätzen. Deswegen befürchte ich auch, dass diese Demo heute nicht bis zum Ende laufen wird. Der Polizeiapparat in Hamburg hat eine Eigendynamik: Es geht darum, mehr Geld zu bekommen, mehr Ausrüstung. Das bekommt man, wenn sich die Horrorszenarien bestätigen. Die Polizei hat es in der Hand, was heute passiert. Ich glaube, dass es Kräfte gibt, die die Eskalation wollen – allein damit der riesige Aufwand gerechtfertigt ist.