Bildfavoriten der Fotografen : Was uns 2022 bewegt hat
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Ein Arbeitstag mit Lena, die im Slum Korogocho lebt und mit ihrer Freundin Rosalyn auf der Mülldeponie nach verwertbarem Material und Essen sucht. Bild: Frank Röth
Eine Nachricht jagte die nächste im Annus horribilis 2022. Verschiedene Fotografen erinnern sich und erzählen, was sie an ihren F.A.Z.-Geschichten und darüber hinaus beeindruckt hat.
„Lena (27) lebt mit ihren drei Kindern in Korogocho, dem drittgrößten Slum der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Korogocho bedeutet „Durcheinander, Chaos, Abfall", und dieser Name kommt nicht von ungefähr. Die Lebensader des Slums ist die angrenzende Mülldeponie, auf der Tausende Bewohner täglich nach verwertbaren Materialien und Essensresten suchen. Lena geht täglich mit ihrer Freundin Rosalyn dorthin. Im September dieses Jahres haben meine Kollegin Theresa Weiß und ich sie einen Tag begleitet. Auf dem Bild hält Lena Extensions in der Hand, die sie im Müll entdeckt hat, und nun überlegt sie, ob sie dafür Verwendung hat oder nicht.“ Frank Röth
„Auf Streifzügen durch die mir noch eher weniger bekannte Stadt Frankfurt habe ich einen Abstecher in den Zoo gemacht – eigentlich, um Menschen zu fotografieren, die auf Tiere schauen. Dabei ist mir diese Situation begegnet.“ Domenic Driessen
„Ich habe die Aufnahme ausgesucht, da sie einen Moment der Freude zeigt und sich dem Schönen und der Leichtigkeit widmet. Das ist nicht unbedingt das, was man als Fotograf erwartet, wenn man in die Ukraine reist. Das Mädchen, das in Kiew den Kopf der enthaupteten russisch-ukrainischen Bruderstatue als Turngerät nutzt, zeigt die kindliche Fähigkeit, nahezu jeder schweren Lebenslage etwas Spielerisches abzugewinnen.“ Daniel Pilar
„Für Frankfurt war der Gewinn des Europa-League-Finales der Eintracht eines der größten Ereignisse dieses Jahres. Im brechend vollen Waldstadion verfolgten die Frankfurter die Übertragung aus Sevilla. Bis zum Ende des Elfmeterschießens hielten die Fotografen jede erdenkliche Emotion fest. Abseits der grenzenlosen Freude zum Schlusspfiff ist bei mir das Bild eines gebannten Fans in der ersten Reihe besonders hängen geblieben.“ Lucas Bäuml
„Auf dem Foto befinden wir uns in Berlin, in einem Zelt des Protestcamps von Feminista. Aus Solidarität mit der Revolution in Iran demonstrieren die Aktivistinnen und Aktivisten seit über zwei Monaten vor der Parteizentrale der Grünen. Nachdem die Proteste in den kurdischen Gebieten in Iran brutal niedergeschlagen wurden und immer mehr furchtbare Nachrichten durchdrangen, beschloss Shirin, selbst Kurdin und LGBTIQ+-Aktivistin, Essen zu kochen und zu verkaufen, um Geld für dringend benötigte Medikamente nach Kurdistan zu spenden. Ich hatte eine sehr besorgte Shirin am Tag zuvor kennengelernt, denn auch ihre Schwester ist in Kurdistan. Als sie am nächsten Abend mit den Dolma, einem traditionellen Gericht (gefülltes Gemüse), im Camp ankam, füllte sich das Zelt nicht nur mit dem Duft von gutem Essen, sondern auch mit einer ehrlichen, menschlichen Wärme. Die Kraft, trotz allem weiterzumachen, die eigene Trauer in Energie und Ideen umzuwandeln, bewundere ich sehr. Iranerinnen und Iraner in der Diaspora sind in den Tagen des Widerstands in ihrem Heimatland zusammengerückt. Sie teilen den Schmerz, aber auch die Hoffnung auf eine andere Zukunft. Shirins Herzlichkeit ließ zudem Erinnerungen an meine eigenen Reisen nach Kurdistan wach werden und an einen guten Freund dort, der hoffentlich wohlauf ist.“ Laila Sieber