Fotos aus der Ukraine : Fragmente des Krieges
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Die sieben Kugeln sind für das Gewehr von Lawrentiis (39) Vater, der als Partisan während des 2. Weltkrieges kämpfte. Lawrentii sagt, dass er sich die sieben Kugeln für die Russen aufspart, die gerade versuchen sein Heimatdorf zu erobern. Irpin, Ukraine 2022 Bild: Johanna-Maria Fritz/Ostkreuz
Die Fotografinnen Helena Manhartsberger, Johanna-Maria Fritz und Laila Sieber machten sich zu Beginn des Krieges auf den Weg in die Ukraine. Sie wollten das Geschehen festhalten: ein Angriffskrieg in Europa, ein Angriff auf die Demokratie. Das Willy-Brandt-Haus in Berlin zeigt ihre Arbeiten.
Helena Manhartsberger, Johanna-Maria Fritz und Laila Sieber wollten selbst vor Ort sein um das Kriegsgeschehen festzuhalten. In ihren Bildern erfassen sie Fragmente des unglaublichen Angriffs: Sie zeigen individuelle Schicksale von Betroffenen und geben Einblicke in deren aktuelle Lebenswelt. Dabei liegt ihr Fokus darauf, die ganz persönlichen Erlebnisse und die Einzelschicksale der Porträtierten sowie Momentaufnahmen der letzten Wochen und Monate zu zeigen – exemplarisch für so viele tragische Leidensgeschichten und Facetten dieses Krieges.
„Wie die Menschen in der Ukraine mit dem Krieg umgehen, können wir natürlich nur aus unseren persönlichen Erfahrungen beschreiben. Vor allem im März haben wir unglaublich viele Menschen getroffen, die ihr Land unterstützen wollten und sich in irgendeiner Weise engagierten. Menschen jeden Alters knüpften beispielsweise in einer Bibliothek in Lwiw Tarnnetze. Spenden wurden gesammelt und Essen gekocht, um die Geflüchteten am Bahnhof oder anderen Stationen ihrer Flucht zu versorgen“, berichten Laila Sieber und Helena Manhartsberger. Und erzählen weiter:
„Bei unserem zweiten Besuch im Juni ist nach dem ersten Schockzustand, zumindest im Westen des Landes und in Kiew, für einige wieder ein Alltag eingetreten. Allerdings haben wir oft gehört, dass sie ein schlechtes Gewissen haben, beispielsweise feiern zu gehen, während an der Front Freunde oder Verwandte für sie kämpfen. Der Krieg ist für die Menschen zwar ständig präsent, aber gleichzeitig ist es für sie auch unmöglich, dauerhaft in einem Ausnahmezustand zu verharren.“
Ilona mit ihrem Hund Leo. Die Architektin aus Lwiw nimmt an einem Training für die Territorialverteidigung teil, das von ausländischen Ex-Soldaten organisiert und geleitet wird. „Es war für mich sofort klar, dass ich mich vorbereiten möchte, im Falle, dass der Krieg auch in den Westen des Landes kommt. Wir trainieren hier in einem Wald in der Nähe der polnischen Grenze. Es geht vor allem darum, wie wir uns verteidigen. Und dafür wäre ich jederzeit bereit.”
Über 200 Freiwillige haben das Training schon abgeschlossen. In einem Crashkurs von sechs Tagen an drei Wochenenden lernen sie von ehrenamtlichen Trainern das Notwendigste, um sich verteidigen zu können oder in einem Häuserkampf zu bestehen. Das Training findet in Kooperation mit den ukrainischen Sicherheitskräften statt. Das Programm wird von Ex-Soldaten aus Polen, Irland und den USA organisiert, die NATO-Techniken vermitteln.
Eine ukrainische Fahne hängt über einer Tür im Flur der Jugendorganisation STAN (2) in Iwano-Frankiwsk. Bei Luftalarm ist das der sicherste Ort im Haus. Aber inzwischen werden die Sirenen von den meisten Mitarbeitern ignoriert. STAN (2) ist eine nichtstaatliche Jugendorganisation, die sich für die Entwicklung einer kreativen Zivilgesellschaft in der Ukraine einsetzt und Projekte von Kultur-, Bildungs-, Sozial- und Menschenrechtsinitiativen unterstützt.
Der Chirurg Michaylo Ljaschtschenko ist aus Kiew geflohen und arbeitet jetzt in einer umgerüsteten Schönheitsklinik, wo er auch selbst untergebracht ist. Sie behandeln Kriegsverletzte. Er sagt: „Vor einigen Wochen habe ich meine Frau und meine Kinder an die polnische Grenze gebracht. Ich kann das Bild nicht vergessen, wie meine Frau voll bepackt, einen Rucksack am Rücken, einen zweiten am Bauch, unser Baby Nika im Kinderwagen und die 2-jährige Adriana an der Hand, neben ihr die Großmutter auf Krücken, Richtung Grenze gelaufen ist. Ich vermisse sie alle sehr, unsere Kleine ist erst zwei Monate alt. Jetzt arbeite ich in einer Schönheitsklinik in Iwano-Frankiwsk, die wir umgerüstet haben, damit wir Kriegsverletzte behandeln können. Mein Vater und mein kleiner Bruder sind auch hier, sie arbeiten als Buchhalter und als Krankenpfleger. Ich habe es nie für möglich gehalten, dass ein Krieg ausbricht. Ob ich auch kämpfen würde, weiß ich nicht. Meine Waffe ist mein Skalpell. Wenn der Krieg vorbei ist, hole ich meine Frau und meine Kinder und gehe zurück nach Kiew."