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Ziel der Finanzmärkte : Um jeden Preis nach oben

Ach, es ist so wunderschön / den Aktienkurs nur steigen zu sehn. Bild: Picture Alliance

Die Finanzmärkte wollen nach oben – und preisen dafür eine ideale Welt ein. Die Notenbanken wirken dem auch nicht entgegen. Offenbar verstellen erste Erfolge in der Inflationsbekämpfung den Blick.

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          Mit Spannung war sie erwartet worden, die Rede des amerikanischen Notenbank-Gouverneurs Jerome Powell. Sie ging vorüber, und die Märkte beschlossen, kein Problem, alles gut. Grund war, dass die Märkte angesichts des jüngsten Arbeitsmarktberichts einen mehr falkenhaften Ton erwartet hatten. Und wie das immer so ist: Kommt es weniger schlimm als erwartet, ist das ein Grund, Aktien zu kaufen.

          Martin Hock
          Redakteur in der Wirtschaft.

          Analysten zeigen sich irritiert. „Lost in Translation“, schreibt Axel Botte, Marktstratege von Ostrum Asset Management. Die Anleihemärkte ignorierten den Zinsanstieg und die Aktienmärkte die Gewinnrevisionen der Großunternehmen. Die Notenbanken machen klar, dass weitere Zinsanhebungen wahrscheinlich sind, die Märkte scheinen von nur einem weiteren Zinsschritt auszugehen. „Die Rally wird primär durch temporäre oder auch veraltete Geschichten angekurbelt“, schreibt Norbert Frey, Leiter des Fondsmanagements der Fürst Fugger Privatbank. Hinter den Kursanstiegen steckten Eindeckungskäufe von Leerverkäufern, sogenannte Meme Stocks, also Aktien die gerade auf Social-Media-Kanälen gefeiert werden - das seien wie die ebenfalls gefragten Kryptoanlagen hochspekulative Anlagen und bildeten nicht ansatzweise eine nachhaltige Kurserholung an den Märkten ab.

          Dagegen, warnt auch er, seien die Tiefs bei den Geschäftsprognosen noch nicht erreicht, die Konjunkturabschwächung habe gerade erst begonnen. Die Märkte spielten voreilig ein Disinflations-Szenario, aber ein Ende der Zweitrundeneffekte im derzeitigen Inflationszyklus sei noch nicht abzusehen. Die „makellose Disinflation“, das sei das Opium, mit dem sich die Märkte trösteten, meint Botte und dass sie trotz gegenteiliger Kommunikation an der Entschlossenheit der Fed zweifeln lasse. „Die Zentralbanken haben die Kontrolle über die Märkte verloren.“

          F.A.Z.-Index

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          Neil Wilson von Markets.com bescheinigt den Märkten sogar eine Art Bewusstseinsspaltung und zitiert den Autor Scott Fitzgerald: „Die wahre Prüfung einer erstklassigen Intelligenz ist die Fähigkeit, zwei gegensätzliche Ideen im Kopf zu behalten und weiter zu funktionieren.“ Diese wollten unbedingt das Glas halb voll sehen. Und Powell habe ihnen genug Seil gegeben, um sich damit aufzuhängen. Wilson glaubt, dass auch die Fed überzeugt sei, eine perfekte weiche Landung hinzubekommen: mit starker Beschäftigung und nachhaltiger Disinflation. Bildhaft drückt er die Änderung der Geldpolitik in Anspielung auf einen Film der Achtzigerjahre so aus: „Vom Gremlin-Modus zum Mogwai-Modus“. Aber wenn der Mogwai mehr Inflation ausgesetzt werde, dann werde es viele, viele Gremlins geben - die dann für Chaos sorgen und mit viel Gewaltanwendung eingefangen werden müssen. Die Märkte versuchten aktuell zwei Szenarien einzupreisen: Harte Landung und Deflation sowie dauerhaft höhere Inflation und Zinsen? Denn egal, wie man es definiere: Die Inflation sei ohne Druck auf den Arbeitsmarkt mit der Folge einer Rezession nun einmal nicht zu senken.

          Wie man es also dreht und wendet: Die aktuelle Situation der Märkte scheint nicht allzu stabil zu sein, weil sie von einem idealen Szenario ausgeht, das eher den Charakter eines Wunschtraums hat. Nur weil die Notenbanken Anfangserfolge in der Inflationsbekämpfung verzeichnen, ist die Schlacht noch nicht gewonnen. Doch just das ist das Thema, was aktuell gespielt wird. Und wenn die Realität andere Signale sendet, umso schlimmer für diese.

          DAX ®

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          Am Mittwoch jedenfalls legt der F.A.Z.-Index jedenfalls 1 Prozent auf 2484 Punkte zu. Der Weg zum Allzeithoch des Jahres 2021 bei 2840 Zählern ist indes noch weit. Der Dax gewinnt etwas weniger stark 0,7 Prozent auf 15.434 Stellen hinzu und hat es zum Allzeithoch von 16.272 Punkten von Anfang des vergangenen Jahres nicht mehr so weit. Erst einmal muss er aber das Jahreshoch der Vorwoche bei 15.509 Punkten wieder nehmen. Die Powell-Rede lässt den Dollar abwerten, der zum Euro fast einen Cent gegenüber dem Vortag auf zuletzt 1,0748 Dollar abwertete.

          Einen frostigen Empfang bereiteten Anleger Ionos, dem ersten Börsen-Debütanten des Jahres in Deutschland. Die Aktien des Webhosters und Cloud-Anbieters starteten unter dem am unteren Ende der Spanne angesetzten Ausgabepreis von 18,50 Euro in den Handel. Nach einem Eröffnungskurs von 18,40 Euro fiel dieser auf bis zu 17,72 Euro. Börsianer hatten gehofft, dass Ionos den Eisbrecher spielen könnte, der die lange Flaute am Markt für Neuemissionen beendet, die im vergangenen Jahr nur der Sportwagenbauer Porsche unterbrochen hatte.

          Überraschend stark ausgefallene Firmenbilanzen hellten die Stimmung weiter auf. Gefragt waren vor allem Energiewerte. Ein die Erwartungen übertreffender Quartalsgewinn trieb etwa die Aktien von Neste in Helsinki um mehr als 10 Prozent nach oben. Ein Rekordgewinn im vergangenen Jahr beflügelte auch Equinor. Die Aktien des norwegischen Öl- und Gasproduzenten stiegen um 7 Prozent. Eon gewann knapp 2 Prozent. Die Gewinnentwicklung fiel unter anderem wegen besser als erwarteter Ergebnisse aus dem Nicht-Kerngeschäft mitsamt des Atomkraftwerks Isar 2 überraschend stark aus. Das um Sondereffekte bereinigte operative Ergebnis betrug 2022 8,0 Milliarden Euro. Im November hatte Eon noch einen Rückgang auf 7,6 bis 7,8 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Der Essener Konzern hatte auf die gestiegenen Strom- und Gaspreise mit Preiserhöhungen reagiert, die sich im zweiten Halbjahr in den Zahlen niederschlagen sollen. Am Ende seien alle Sparten am oberen Ende der Prognosen gelandet. Siemens Energy glich mit einem Kursplus von mehr als 4 Prozent die Kursverluste des Vortags nach Bekanntgabe eines Nettoverlusts von mehr als einer halben Milliarde Euro wegen der Verluste der spanischen Windturbinen-Tochter Siemens Gamesa mehr als aus.

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