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Kampf um Immobilien : Heimlich bei der Wohnungsbesichtigung dem Makler mehr bieten

Bekommen wir die Wohnung? Oder trickst uns jemand aus? Bild: picture alliance / JOKER

Mirjam Mohr ist Vorständin beim Kreditvermittler Interhyp. Mit der F.A.Z. spricht sie über das zunehmende Gerangel bei der Besichtigung begehrter Wohnungen, die Zukunft der Bauzinsen – und das Kalkül bei Forward-Darlehen.

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          Die Bauzinsen steigen etwas, die Immobilienpreise sehr viel deutlicher – und zugleich wird das Gerangel um die begehrten Wohnungen in den Großstädten immer extremer. Das berichtet Mirjam Mohr, Vorständin des Kreditvermittlers Interhyp, im Gespräch mit der F.A.Z. Im Schnitt verlangten die Banken jetzt für ein Baudarlehen mit zehn Jahren Zinsbindung 0,9 Prozent. Das sei ein leichter Anstieg gegenüber dem August, gleichwohl weiterhin historisch wenig.

          Christian Siedenbiedel
          Redakteur in der Wirtschaft.

          In den nächsten Wochen dürften die Bauzinsen schwanken, mit einer leichten Tendenz nach oben, meint Mohr: „Die längerfristige Entwicklung ist schwer zu prognostizieren, sie hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem auch von der künftigen Geldpolitik.“ Die von Interhyp regelmäßig befragten Fachleute in den Banken jedenfalls rechneten derzeit in einem Verhältnis von 70 zu 30 damit, dass die Bauzinsen in einem Jahr höher sein werden als jetzt: „Dass wir in drei Jahren wieder Bauzinsen von 2 Prozent haben werden, ist durchaus möglich – so langfristige Prognosen sind aber mit erheblicher Unsicherheit behaftet.“

          Wann lohnt sich ein Forward-Darlehen?

          Viele Kunden in Beratungsgesprächen beschäftige derzeit die gestiegene Inflation. „Wenn die hohen Inflationsraten länger anhalten, wird sich das auf die Geldpolitik und die Anleiherenditen auswirken – das könnte längerfristig auch höhere Bauzinsen bedeuten“, meint Mohr. Corona habe Auswirkungen auch auf die Einstellungen der Menschen gegenüber Immobilien gehabt. „Wir haben während der Pandemie beobachten können, dass Wohnimmobilien für die Deutschen eher noch attraktiver geworden sind.“ Auch das Homeoffice, das nach der Pandemie nicht ganz wieder verschwinden werde, habe die Menschen ihre Wohnsituation kritisch überdenken lassen. Der Immobilienpreisanstieg jedenfalls gehe weiter: „In den ersten acht Monaten dieses Jahres sind die Immobilienpreise in Deutschland im Schnitt um 9 Prozent gestiegen – das ist eine ähnliche Größenordnung wie im Gesamtjahr 2020.“

          Viele Baufinanzierungskunden fragten derzeit nach Forward-Darlehen, um sich die niedrigen Zinsen für die Zukunft zu sichern. Ob sich das lohne, hänge von verschiedenen Kalkülen ab: „Es gibt zwei Motive, warum Immobilieneigentümer im Augenblick die Restschuld ihrer Kredite vorzeitig mit Forward-Darlehen absichern – die einen wollen mehr Sicherheit, die anderen rechnen sich einen Vorteil aus“, sagt Mohr. Wer jetzt schon ein Forward-Darlehen vereinbare, könne vielleicht ruhiger schlafen, wenn die Zinsen demnächst steigen sollten. Analytisch lohne sich ein Forward-Darlehen dann, wenn der Darlehensnehmer in Zukunft einen stärkeren Zinsanstieg erwarte, als die Bank ihn in ihren Preisen für ein Forward-Darlehen vorwegnehme: „Wer schneller als der Markt damit rechnet, dass die Zinsen steigen werden, für den könnte ein Forward-Darlehen interessant sein.“ Ob sich ein Forward-Darlehen rechne, könne man gut über spezielle Forward-Darlehens-Rechner im Internet konkret ausrechnen.

          Von der Idee, nur wegen der Inflation jetzt eine Immobilie auf Pump zu kaufen, rät Mohr allerdings eher ab: „Für die allermeisten Menschen ist die Entscheidung über den Kauf einer Immobilie die größte Finanzentscheidung im Leben – die sollte man treffen, weil man ein Haus haben will, nicht weil man die Inflation austricksen will.“

          Immer härtere Bieterschlachten in Großstädten

          An eine Immobilienblase in Deutschland jedenfalls glaubt Mohr nicht. Sie räumt aber ein: „Wir sehen einen sehr deutlichen Preisanstieg in den Metropolen, auch im Speckgürtel vieler Großstädte – da dürfte es durchaus Übertreibungen geben.“ Hinsichtlich der Finanzierung von Immobilien aber seien die deutschen Banken viel vorsichtiger als etwa Amerikas Banken vor der Finanzkrise: Der durchschnittliche Beleihungsauslauf bei deutschen Immobilienkrediten liege bei 81 Prozent, die Zinsbindung bei gut 13 Jahren und die Anfangstilgung bei gut 3 Prozent – „das ist alles noch sehr konservativ“. Allerdings gebe es mittlerweile häufiger Fälle, in denen ein Immobilienkäufer bereits mit dem Verkäufer handelseinig sei, aber die Bank, die das Vorhaben finanzieren soll, den Kaufpreis dann „schon sehr teuer“ nenne.

          Gerade in den begehrten Großstädten gebe es bei den Wohnungsbesichtigungsterminen mit Eigentümer und Makler immer häufiger regelrechte Bieterschlachten: „Zwei bemerkenswerte Entwicklungen sind zu beobachten: Bei begehrten Immobilien in den Großstädten müssen die Käufer oft unfassbar schnell sein und unter Umständen schon zum Besichtigungstermin eine mögliche Finanzierung nachweisen können – außerdem werden besonders interessante Wohnungen nach dem Bieterverfahren vergeben“, sagt Mohr. Beim Bieterverfahren werde kein fester Preis genannt, und der Makler oder Eigentümer vergebe die Immobilie an den Meistbietenden. „Eine andere Möglichkeit ist, der Makler nennt vorher einen Preis, aber beim Besichtigungstermin lassen einige Kaufinteressenten durchblicken, dass sie auch mehr zu zahlen bereit wären, und bekommen dann den Zuschlag.“ Das passiere immer häufiger – sei aber natürlich schlecht für Haushalte mit einem engen Budget, die sich vorher ausgerechnet hatten, dass sie sich die erhoffte Wohnung so gerade noch leisten können.

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