F.A.Z. Exklusiv : Gerichtstermin für Wirecard-Geschädigte geplatzt
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Markenzeichen der Wirtschaftsprüfung EY an einem Bürogebäude des Unternehmens in Düsseldorf Bild: dpa
In München liegen 900 Klagen von Wirecard-Anlegern gegen die Wirtschaftsprüfung EY. Ihre Hoffnung auf rasche Klärung ihrer Ansprüche wird nun enttäuscht, weil sie erst auf ein komplexes Musterverfahren warten müssen.
Ein für die rechtliche Aufarbeitung des Wirecard-Skandals wichtiger Gerichtstermin vor dem Oberlandesgericht München am 31. März wird nicht stattfinden. „Der Senat hat den Termin aufgehoben“, teilte ein Sprecher des Gerichts am Mittwoch auf Anfrage der F.A.Z. mit. Zur Begründung wurde auf Aspekte der Prozessökonomie verwiesen, auch im Hinblick darauf, ob ein Musterverfahren für Kapitalanleger zustande kommt. In der nun abgesagten mündlichen Verhandlung hätte es um die Frage gehen sollen, ob Wirecard-Geschädigte Ansprüche gegen die für das im Jahr 2020 insolvent gegangene ehemalige Dax-Unternehmen zuständige Wirtschaftsprüfung EY geltend machen können.
Zunächst hatten Gerichte Klagen von Wirecard-Geschädigten gegen EY abgewiesen, doch im Dezember 2021 konnten Anleger neue Hoffnung schöpfen. Denn das Oberlandesgericht München hatte damals verfügt, dass eine mündliche Verhandlung und eine umfangreichere Beweisaufnahme nötig seien, um etwa zu klären, ob die Wirtschaftsprüfer im Fall Wirecard ihre beruflichen Pflichten verletzt haben und ob mögliche Pflichtverletzungen ein Grund für Schadenersatzansprüche sein können.
900 Einzelklagen von Wirecard-Anlegern gegen EY
Wie das Landgericht München I noch in der vergangenen Woche mitgeteilt hatte, sind dort mittlerweile 900 Klagen von Wirecard-Anlegern gegen die Wirtschaftsprüfung EY eingegangen und täglich würden es mehr. Die Situation hat sich nun allerdings dadurch verändert, dass das Landgericht München I Mitte März zusätzlich ein Musterverfahren für Kapitalanleger im Fall Wirecard zugelassen hat. Bevor das Musterverfahren starten kann, muss zunächst ein Musterkläger bestimmt werden. Das Musterverfahren kommt den Einzelklägern nun terminlich in die Quere, was für viele eine unangenehme Überraschung darstellen dürfte.
Der Rechtsanwalt Marc Liebscher von der Schutzvereinigung der Kapitalanleger (SdK) findet das problematisch. „Das Musterverfahren ist keine gute Entwicklung für Anleger, weil nicht klar ist, wie lange es dauert und ob die Schadenersatzansprüche gegen die Wirtschaftsprüfung EY davon erfasst sind“, sagte Liebscher auf Anfrage der F.A.Z. Die mündliche Verhandlung wäre laut Liebscher eine Chance gewesen, entscheidende Rechtsfragen zur Verantwortung der Abschlussprüfer im Wirecard-Skandal zu klären. Daraus wird nun erstmal nichts. Stattdessen müssen Anleger zunächst warten, dass das Musterverfahren in Bewegung kommt.
Nach Einschätzung von Rechtsanwalt Liebscher werden Anleger wegen der Unsicherheit des Musterverfahrens trotzdem klagen müssen, um die Verjährung ihrer Ansprüche zu verhindern. Hinter der Musterklage steht die Rechtsanwaltsgesellschaft Tilp, die nach eigenen Angaben mehrere tausend Wirecard-Anleger vertritt und etwa im Abgasskandal der Autoindustrie viel Erfahrung mit komplexen Musterverfahren gesammelt hat.