Geldpolitik : War die Zinssenkung der EZB eine Zinserhöhung?
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EZB-Präsident Mario Draghi nach dem Zinsentscheid. Bild: EPA
Das neue Lockerungspaket der Europäischen Zentralbank tritt in Kraft – und sorgt für recht ungewöhnliche Diskussionen.
Die ersten Schritte aus dem geldpolitischen Lockerungspaket der Europäischen Zentralbank (EZB) sind am Donnerstag umgesetzt worden. Und haben zu einer Diskussion darüber geführt, ob die neuen Maßnahmen eigentlich so wirken wie erhofft. Unter anderem stießen die Langfristkredite, kurz TLTRO, der Notenbank auf vergleichsweise wenig Interesse der Banken. Nur 3,4 Milliarden Euro wurden abgerufen, von Analysten war mit mehr als 60 Milliarden Euro gerechnet worden.
Für Spekulationen sorgte zudem die Tatsache, dass der Geldmarktzins, zu dem sich die Banken untereinander kurzfristig Geld leihen, seit den Beschlüssen der EZB nicht etwa gefallen, sondern gestiegen ist. Binnen Tagen sei dieser Zinssatz um 0,05 bis 0,15 Prozentpunkte nach oben gegangen, schreibt der Internetblog „Finanz-Szene“. Mit positiven Geldmarktzinsen rechneten Händler nun ein Jahr früher als bislang. Warum steigen die Geldmarktzinsen, wenn die Leitzinsen weiter ins Minus gesenkt werden? Der Blog vermutet folgenden Mechanismus: Die Banken im Norden der Eurozone säßen zwar auf großen Einlagen, für die sie bei der EZB Negativzinsen zahlen müssten – die im Süden aber nicht. Das könne dazu führen, dass man sich einige und die Banken im Süden über technische Umwege die Einlagen aus dem Norden aufnähmen und innerhalb der Freibeträge bei der EZB hielten. Dann könne man es vielleicht schaffen, auf einen Durchschnittszins irgendwo zwischen 0 und minus 0,5 Prozent zu kommen.
Das befeuert eine Debatte, die schon unmittelbar nach der Zinssitzung in der vergangenen Woche eingesetzt hatte: War die Zinssenkung in Wirklichkeit womöglich eine versteckte Zinserhöhung?
Die Argumentation geht so: Die EZB hat zwar die Zinsen, die Banken für Einlagen bei ihr zahlen müssen, den derzeitigen „Leitzins“, von minus 0,4 auf minus 0,5 gesenkt. Im Gegenzug werden den Banken allerdings großzügige Freibeträge gewährt. Für das Sechsfache ihrer vorgeschriebenen Mindestreserve müssen sie keine Negativzinsen mehr zahlen. Bislang war nur die Mindestreserve ausgenommen. Nun ist die Frage, welcher Effekt stärker ist, der belastende oder entlastende für die Banken. Und damit könnte die Entscheidung verbunden sein, ob die Banken höhere Belastungen an ihre Kunden weitergeben, etwa in Form von „Verwahrentgelten“ oder höheren Bankgebühren. Bislang tut sich bei den Verbraucherzinsen laut FMH-Finanzberatung relativ wenig.
Banken müssen im Durchschnitt etwas weniger Einlagenzinsen zahlen
EZB und Bankenverband berichten überstimmend, unter dem Strich sinke die Belastung für die Banken, und zwar um 500 Millionen Euro im Jahr allein für die deutschen Institute. Durch die höheren Freibeträge sinkt auch der Durchschnittszins, den Banken für ihre Einlagen zahlen müssen. Dieser lag auch bislang schon etwas höher als der Einlagenzinssatz von minus 0,4 Prozent, weil die Mindestreserve ausgenommen war, bei minus 0,37 Prozent. Jetzt wird der Einlagenzinssatz auf minus 0,5 Prozent gesenkt, zugleich werden die Freibeträge ausgeweitet. Damit soll der Durchschnittszins, den die Banken zu zahlen haben, bei minus 0,26 Prozent liegen. Also tatsächlich etwas weniger weit im Minus. Eine Zinserhöhung? „Der durchschnittliche von den Banken an die EZB gezahlte Zins steigt um rund 0,1 Prozentpunkte, weil der Effekt des abgesenkten Einlagensatzes von den eingeführten Freibeträgen überkompensiert wird“, sagt Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, der aber auf sonstige Belastungen für die Banken durch die niedrigen Kapitalmarktzinsen verweist.
Heißt das nun, dass auch die kurzfristigen Zinsen am Markt deshalb steigen? Die EZB jedenfalls will nicht von einer Zinserhöhung sprechen. Ihr Argument: das Lehrbuch – aber auch die Erfahrung. Die Geldmarktzinsen orientierten sich am „marginalen Zins“, also dem für eine weitere zusätzliche Einheit, nicht am Durchschnittszins aller Bankeinlagen. Deshalb werde sich der Geldmarktzins bald wieder dem Einlagenzins annähern. So sei es auch in der Schweiz gewesen, wo man ein ähnliches Modell hat. „Ansonsten wird die EZB den Freibetrag beim Staffelzins so anpassen, dass der Geldmarktzins nahe am marginalen Einlagensatz bleibt und somit am Geldmarkt der Zins niedriger ist als vorher“, meint Holger Schmieding, der Chefvolkswirt des Bankhauses Berenberg.