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Staatsanleihenkauf der EZB : Willkommen in der Weichwährungswelt

  • -Aktualisiert am

Blick auf den EZB-Neubau im Frankfurter Ostend. Bild: Kesberger

Die Deutschen sind es gewohnt, eine harte Währung zu besitzen. Damit ist es jetzt dank der Geldbombe der EZB endgültig vorbei: Wir sind gefangen in der Welt des Billig-Euros. Mit unabsehbaren Folgen.

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          Mario Draghi hat sich Zeit gelassen am vergangenen Donnerstag. Ganze sieben Minuten zu spät erschien der Präsident der Europäischen Zentralbank zur Pressekonferenz und steigerte damit die Spannung für die ohnehin erwartungsvollen Zuschauer. Minutenlang blickten sie gebannt Richtung Tür. Denn das war neu: Zu spät kommt Draghi sonst nie.

          Was er dann verkündete, war auch neu: Die Notenbank wird in großem Stil Staatsanleihen der Euroländer sowie weitere Wertpapiere kaufen. Bis zu 1,14 Billionen Euro will die EZB gemeinsam mit den nationalen Notenbanken dafür bis Herbst 2016 ausgeben. Das ist nicht nur eine gewaltige Summe; es ist für die europäischen Notenbanker Neuland. Denn dass sie Staatsanleihen kaufen, um die Wirtschaft und damit die Inflation zu befeuern, das gab es nie. Zwar hat die EZB in der Hochzeit der Krise schon einmal Staatsanleihen gekauft. Da wollte man aber einzelne Staaten davor schützen, bankrott zu gehen: Griechenland, Italien und Spanien. Insgesamt gab die EZB 210 Milliarden Euro aus.

          Deutsche Bundesbank ist kein Vorbild mehr

          Jetzt aber geht es um fünfmal so viel, eine gigantische Geldbombe. Mit ihr macht Mario Draghi aus dem Euro mit einem Streich das, was sich seit Längerem ankündigt: eine Weichwährung. Der Eurokurs fiel noch während Draghis Rede steil ab auf unter 1,15 Dollar, mittlerweile liegt er bei 1,12 Dollar. Seit seinem Hoch von Mai 2014 hat der Euro insgesamt 20 Prozent an Wert verloren.

          Nach Jahren, in denen die Deutschen immer noch dachten, sie hätten zwar jetzt den Euro, aber im Prinzip sei der so hart wie einst die D-Mark, müssen sie jetzt zugeben: Das ist vorbei.

          Die EZB hat sich längst von einer Notenbankpolitik nach Vorbild der Deutschen Bundesbank in den achtziger und neunziger Jahren verabschiedet. Damals, nach dem Zusammenbruch des Systems weltweit fester Wechselkurse Anfang der siebziger Jahre, war die D-Mark gegenüber dem Dollar innerhalb kürzester Zeit sehr stark geworden. Zahlte man im Jahr 1969 noch beinahe vier D-Mark für einen Dollar, so waren es 1980 nur noch weniger als zwei D-Mark. Die D-Mark war im Ausland auf einmal doppelt so wertvoll wie vorher. Und sie wertete weiter auf.

          Videografik : Die Anleihekäufe der EZB erklärt

          Die Exportindustrie stöhnte (und überlebte!). Die Deutschen hingegen freuten sich, weil sie im Ausland günstiger einkaufen konnten und auch Produkte aus dem Ausland, die hierzulande verkauft wurden, für sie billiger waren. Vor allem aber freuten sie sich an dem Ruf ihrer Währung in der Welt: Der Stolz auf die harte D-Mark gehörte zum Deutschsein dazu wie einst die Lederhose und heute die Jack-Wolfskin-Jacke.

          Starker Euro erst einmal passé

          Zur harten D-Mark gehörte neben ihrem hohen Wert im Ausland auch, dass sie zugleich für einen geringen Preisanstieg im Inland sorgte. Es gab nur geringe Inflation. Während Amerika und Frankreich in den frühen achtziger Jahren mit Inflationsraten von über zwölf, zeitweise sogar über vierzehn Prozent zu kämpfen hatten, blieb Deutschland stets unter acht, meist unter sechs Prozent.

          Bild: F.A.Z.

          Inflation, immerhin, gibt es auch mit der EZB derzeit nicht. Man ängstigt sich eher vor dem Gegenteil, einer Deflation. Schließlich sanken die Preise in Europa zuletzt sogar leicht. Aber den starken Euro im Sinne eines Euros, mit dem wir im Ausland viele Waren einkaufen können, den gibt es erst einmal nicht mehr.

          Das alles hat mit Mario Draghi zu tun und mit seiner Geldbombe. Denn die sorgt zwangsläufig dafür, dass viele Euro, Billionen Euro, auf den Markt gebracht werden. Auch auf dem Markt für Währungen gilt wie auf jedem Markt das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Wenn das Angebot an Euro steigt, sinkt der Preis, das heißt der Euro wird schwächer.

          Der EZB-Präsident wird seine Politik des Billig-Euro sicherlich nicht demnächst ändern. Denn er und seine zahlreichen Unterstützer im EZB-Rat haben ihre Gründe für das, was sie tun. Sie wollen die Wirtschaft in den darbenden Ländern Südeuropas ankurbeln (und damit auch die Inflation). Dabei hilft es, Geld in den Markt zu pumpen, denn mehr Geld gibt Hoffnung, dass es auch ausgegeben wird, was die Wirtschaft befeuert. Dabei hilft auch ein schwacher Euro, denn er macht europäische Produkte im Ausland günstiger, was dazu führen kann, dass sie mehr gekauft werden.

          Abschied von einem hehren Prinzip

          Das ist alles logisch, aber ganz und gar nicht so, wie es sich die Deutschen jahrzehntelang dachten. Die deutsche Logik bestand vielmehr darin, dass man sagte: Unsere Wirtschaft hält eine starke Währung schon aus. Das erste und wichtigste Ziel war eine niedrige Inflation – und wenn infolgedessen die D-Mark stärker wurde, dann war das ein Nebenaspekt. Eine Konjunkturpolitik durch die Notenbank galt nicht nur als unnötig, sondern irgendwann sogar als ungehörig. Schließlich produzierte man damit womöglich höhere Inflation in der Zukunft. So entstand das hehre Prinzip, dass Geldpolitik in erster Hinsicht dafür da ist, Stabilität zu erzeugen. Und der Erfolg deutscher Produkte sollte sich an der Qualität messen, nicht an einer manipulierten Währung.

          Die Logik der EZB von heute erinnert eher an die Art, wie die Italiener einst ihre Notenbankpolitik betrieben. Nämlich derart, dass die Lira lange Phasen sehr hoher Inflation nach Italien brachte und immer wieder gegenüber D-Mark und Dollar abwertete. Das war Ergebnis einer Geldpolitik, der es wichtiger als der deutschen war, auch die Wirtschaft zu beleben.

          Für die Deutschen und noch viel mehr für die Vertreter der Deutschen Bundesbank ist das ein harter Schlag. Ihre Idee vom Euro, zu dem zwar viele Länder Europas gehören, der aber den in den siebziger und achtziger Jahren erfolgreichen deutschen Prinzipien folgt – Vorbild D-Mark! – ist passé.

          Kein Wunder, dass Deutschland vom Thema Geldpolitik und EZB derzeit geradezu besessen ist. Ja, dass sogar die öffentlich-rechtlichen Sender nach der Entscheidung eigene Sondersendungen machen, um dem Volk die schwierigen geldpolitischen Entschlüsse zu erläutern. Wann hat es das je gegeben?

          Bild: F.A.Z.

          Mario Draghi ist es zwar gelungen, einen entscheidenden deutschen Einwand gegen den Staatsanleihekauf auszuräumen: falls ein europäischer Staat pleite geht und seine Anleihen nicht mehr bedienen kann, dann müssen nicht die Deutschen den größten Teil der Ausfälle tragen, sondern die jeweiligen nationalen Notenbanken. Doch damit allein kann er viele Deutsche nicht beruhigen. Das sieht man schon daran, dass die beiden deutschen Vertreter im EZB-Rat – Bundesbankpräsident Jens Weidmann und EZB-Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger – klar gegen die Staatsanleihekäufe waren. Skeptisch waren übrigens noch einige andere, deren Währungstradition näher an der deutschen als an der italienischen ist. Weder zugestimmt noch Nein gesagt haben etwa die Notenbankchefs aus den Niederlanden und Österreich.

          Als die D-Mark zum Vorbild wurde

          Viele Beobachter erklären die Vorsicht der Deutschen beim großen Gelddrucken gerne mit ihrer Angst vor Inflation. Diese rühre von den Erfahrungen aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts her. Damals vernichtete eine Hyperinflation in rasender Geschwindigkeit deutsches Vermögen.

          Doch das ist lange her. Viel lebendiger in der kollektiven Erinnerung und deshalb bedeutender für das, was heute diskutiert wird, ist das späte 20. Jahrhundert. In den achtziger Jahren wurden Deutschland und die D-Mark zum Vorbild für die Welt – und so blieb es bis in die Neunziger. Während alle anderen Probleme hatten, die Inflation in Schach zu halten, schaffte es Deutschland. So schaute die Welt auf das Land und die Bundesbank – und versuchte jahrelang, sie zu imitieren.

          Das vergessen Notenbanker nicht, und das haben auch die Zeitzeugen nicht vergessen. Es ist kein Zufall, dass der frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Delors gerade 1992 sagte: „Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber alle Deutschen glauben an die Bundesbank“. Gern ließ man sich auch ein Jahr später von der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher sagen: „Wenn ich Deutsche wäre, würde ich die Bundesbank und die D-Mark auf alle Fälle behalten.“

          Vergessen wird über diesen ganzen Stolz, dass es in Deutschland lange Jahre gab, in denen die D-Mark viel zu billig war, also weich (wenn auch bei niedriger Inflation). Das war in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als alle Währungen feste Wechselkurse zueinander hatten. Das war ein entscheidender Grund für Deutschlands wirtschaftlichen Wiederaufstieg.

          Doch die kollektive Erinnerung hat das verdrängt, der Stolz bezieht sich auf die späteren Jahre.

          Dass sich daran nicht nur viele Deutsche erinnern, sondern auch Menschen im Ausland, die in ähnlichen Bahnen denken, zeigte die Schweiz in der vorvergangenen Woche. Da gab die Schweizerische Notenbank auf und ließ ihren Wechselkurs gegen den Euro frei, den sie lange künstlich konstant gehalten hatte. Prompt wertete der Franken um sage und schreibe 20 Prozent auf, er wurde also stärker. Offiziell hat die Notenbank es zwar so nie verlauten lassen, aber die Schweizer wollten wohl nicht mehr mitmachen bei der Weichwährung Euro.

          Löhne könnten jetzt steigen

          Der Franken ist also zurück auf einem Hartwährungskurs wie einst die D-Mark. Der Euro biegt derweil ab auf neuen Kurs Richtung Weichwährung. Der Euro wird absichtlich abgewertet – wenn auch diese Absicht nie öffentlich verkündet wird, schließlich hat die EZB offiziell kein Wechselkursziel. Inflation ist allerdings – anders als jahrelang in Italien – derzeit nicht in Sicht.

          Jetzt müssen die Europäer sich auf eine Währung einstellen, die eher eine Art Kompromiss aus zuvor in vielen Ländern verfolgten Traditionen ist als eine überlebensgroße Kopie des Leitsterns Bundesbank und D-Mark.

          Für Deutschland bedeutet das, dass sich vieles ändert. Man kann das auch positiv sehen: Für viele Firmen wird es nun leichter, ihre Produkte im Ausland loszuwerden. Das schafft im besten Fall Beschäftigung; für viele Arbeitnehmer könnte es am Ende auch bedeuten, dass die Löhne steigen.

          Es gibt aber mehr Negatives. So schafft eine solche Situation Faulheit. Deutschland kann sich auf dem Erreichten ausruhen, statt ständig die Produktivitätspeitsche D-Mark im Rücken zu haben. Dazu kommt: Sparen lohnt sich nicht mehr so wie in einer Hartwährungswelt, weil der Ertrag geringer ist.

          Zudem gibt es die zwei großen Gefahren für die Zukunft: Inflation, sobald es der Wirtschaft Europas wieder besser geht, und die Bildung von Preisblasen auf Vermögensmärkten – etwa bei Immobilien, Kunst oder Aktien.

          Solche Crashs haben die Deutschen gerade wegen ihrer vorsichtigen Geldpolitik früher weniger stark getroffen als andere Länder. Das dürfte vorbei sein.

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