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Redakteurin im Selbstversuch : Mein Leben ohne Bargeld

  • -Aktualisiert am

Überall mit Karte zahlen? Von wegen! Bild: mauritius images

Nie mehr zum Geldautomaten, kein lästiges Kramen nach Kleingeld – Die F.A.S.-Redakteurin Lena Schipper macht das Experiment und lebt eine Woche ohne Bargeld.

          5 Min.

          Dieser Selbstversuch hat einen berühmten Vorläufer. Björn Ulvaeus, ehemaliger Star der legendären schwedischen Popgruppe Abba und glühender Verfechter einer Welt ohne lästige Scheine und Münzen, verbrachte jüngst ein ganzes Jahr ohne Bargeld. Mit seinem Experiment wollte er beweisen, dass das Leben mit Kreditkarte und mobilen Bezahlsystemen der alten Welt mit ihrem vermeintlich unpraktischen, kriminalitätsfördernden und überdies unhygienischen Hang zur Barzahlung nicht nur überlegen ist, sondern dass man auch schon heute ohne weiteres auf Bargeld verzichten kann. Der Versuch sei sehr erfolgreich verlaufen, gab Ulvaeus nach dem Ende des Experiments zu Protokoll. Nur ein einziges Problem sei ihm aufgefallen: Beim Einkaufen im Supermarkt konnte er keinen Einkaufswagen mehr benutzen, weil er Kleingeld gebraucht hätte, um sich einen zu leihen.

          Nun lebt der Mann in Schweden, wo die Leute ohnehin ein eher unsentimentales Verhältnis zu Bargeld haben: Nur etwa 20 Prozent aller Bezahlvorgänge werden dort noch auf diese Weise abgewickelt. In Deutschland, wo Datenschutz- und Sicherheitsbedenken traditionell größer sind als bei den Skandinaviern und auch nichtkriminelle Kunden die Anonymität zu schätzen wissen, die ihnen das Bargeld bietet, ist es dagegen noch etwas mehr als die Hälfte. Zudem verdächtigten selbst viele Schweden den ehemaligen Popstar des Lobbyismus: Einer der Hauptsponsoren des Stockholmer Abba-Museums, auf dessen Internetseite Ulvaeus sein Experiment dokumentierte, ist eine Kreditkartenfirma.

          Schulden beim Dönerladen

          Doch was auch immer seine Beweggründe gewesen sein mögen: Wenn es einem alternden Popsänger gelingt, ein ganzes Jahr lang ohne Bargeld im Portemonnaie auszukommen, sollte ich es doch wohl eine Woche lang hinkriegen. Schließlich bin ich ein moderner Mensch, reichlich ausgestattet mit EC- und Kreditkarten, habe Erfahrung mit Online-Sofortüberweisungen und bin halbwegs versiert darin, mein Smartphone in eine virtuelle Geldbörse zu verwandeln. Sogar von Internetwährungen habe ich schon mal gehört. Beste Voraussetzungen für das bargeldlose Leben. Oder?

          Die Versuchsanordnung ist denkbar einfach: Mein Ziel ist es, eine Woche lang genau so alltäglich vor mich hin zu leben wie sonst, nur ohne Bargeld in der Tasche. Das Experiment beginnt an einem ganz normalen Arbeitstag. Weil das Menü in der Kantine wenig vielversprechend aussieht, lockt gegen Mittag der Pizzabäcker um die Ecke. Anstelle des Betreibers schmeißt heute ein Vertreter den Laden. Weil ich zuvor noch nie auf den Gedanken gekommen bin, dort meine Kreditkarte zu zücken, frage ich deswegen vorsichtshalber nach, wie es aussieht mit den Zahlungsmodalitäten.

          Das Ergebnis ist ein zwar entschuldigendes, aber hauptsächlich verständnisloses Kopfschütteln. Wahrscheinlich hält mich der Mann hinter der Theke für eine ahnungslose Touristin oder Geschäftsreisende, die sich auf dem Weg zur Messe verirrt hat und den Pizzaladen mit einer Hotelbar verwechselt. Er lässt sich selbst dann nicht erweichen, als ich ihm das Experiment erkläre, also ziehe ich hungrig von dannen. Mehr Glück habe ich ein paar Meter weiter beim Dönerladen: Der Besitzer nimmt zwar auch keine Karten, kennt mich aber gut genug, um anschreiben zu lassen. 4,50 Euro für einen Dürüm-Döner: „Kein Problem, zahlst du nächste Woche.“ Eigentlich ist das ja geschummelt – wollte ich permanent ohne Bargeld leben, müsste ich mich künftig von Döner und Pizza zum Mittagessen verabschieden. Kurzfristig habe ich allerdings Hunger und verbuche die Verschuldung als kreative Umgehung des Problems.

          Die Wahl fällt auf die teure Alternative

          Weniger problematisch gestaltet sich das Abendessen zu Hause. Die Zutaten kommen aus dem Supermarkt, der bestens ausgestattet ist mit EC-Lesegeräten. „Möchten Sie noch Bargeld abheben?“ Die Versuchung ist groß, aber: heute nicht. Schon kurz darauf gehen die Schwierigkeiten allerdings weiter. Treffen auf ein abendliches Bier mit Freunden an einem umgebauten Kiosk in der Nähe. Dort gibt es zwar ein Dutzend Biersorten und in den Bonbongläsern die besten sauren Pommes der Stadt, aber bezahlen kann man das alles nur mit Bargeld. Am liebsten mit Münzen. Die Freunde übernehmen die Runde, sind allerdings ähnlich erleichtert wie der Dönerverkäufer, dass das Experiment nur eine Woche dauert. Ich lege einen Zettel an, auf dem ich meine Schulden dokumentiere.

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