https://www.faz.net/aktuell/finanzen/prosumer-bewegung-energie-selbst-produzieren-15511240.html

Prosumer-Bewegung : Wir machen uns unsere Energie selbst!

  • -Aktualisiert am

Windräder und Solarzellen auf dem Dach: So versorgt man sich selbst mit Energie. Bild: SkyWind

Es ist nicht nötig, Strom teuer einzukaufen – man kann ihn einfach selbst produzieren: mit eigenen Solarzellen, Windrädern oder dem Blockheizkraftwerk im Keller. Und dann gibt es auch noch Geld vom Staat.

          6 Min.

          Riesige Windräder im geliebten Taunus oder in der Ostsee und breite Stromautobahnen quer durch die deutsche Landschaft: Für viele Bundesbürger ist diese Vorstellung ein Graus. Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, scheinen genau diese Schreckensszenarien aber unvermeidlich. Doch es geht auch anders.

          Jeder Einzelne kann die Energiewende im Kleinen vorantreiben, um nicht nur die Umwelt, sondern auch seinen Geldbeutel zu schonen. „Jeder Hausbesitzer wird mit erneuerbaren Energien in Berührung kommen“, prognostiziert Martin Brandis von der Energieberatung der Verbraucherzentralen. „Da stellt sich dann schon die Frage: Warum sie nicht gleich selbst erzeugen?“

          Dafür steht die Prosumer-Bewegung. Prosumer sind Verbraucher, die nicht nur konsumieren, sondern auch produzieren. In diesem Fall: Strom und Wärme. Gemeint sind Privathaushalte, aber auch Unternehmen, die ihren eigenen Strom erzeugen und verbrauchen. Schließen sich mehrere Haushalte mit Energieanlagen zu einer Gemeinschaft zusammen, spricht man von Mieterstrom-Modellen. Der Gedanke hinter dem Trend zur Selbsterzeugung: Die Energiewende von unten heraus zu schaffen, anstatt sie der Bundespolitik und den großen Energieerzeugern zu überlassen.

          Das Einsparpotential ist hoch

          Mehr als 1,6 Millionen Prosumer gibt es derzeit in Deutschland. Zu ihnen gehören Haushalte mit Solarzellen (Photovoltaik) auf dem Dach, Solarthermie-Anlagen für die Warmwasser-Bereitung, Windrädern im Garten oder Blockheizkraftwerken im Keller. Auch Kombinationen sind denkbar.

          Das Einsparpotential für Selbstversorger ist hoch: Nach Zahlen der Energieagentur Nordrhein-Westfalen verbraucht ein Vier-Personen-Haushalt im Durchschnitt etwa 5000 Kilowattstunden pro Jahr. Bei einem Strompreis, der 2017 bei 29,16 Cent pro Kilowattstunde lag, fallen 1458 Euro pro Jahr an Kosten für den Stromverbrauch an, eine vertragliche Grundgebühr nicht eingerechnet.

          Die Anschaffung entsprechender Anlagen wird von der nationalen Förderbank KfW unterstützt. Zusätzlich gibt es eine Einspeisevergütung für den überschüssigen Strom, den der Selbsterzeuger ins Netz weitergeben kann. Die Befreiung von der Ökostrom-Umlage und die Ersparnis der Bezugskosten von Strom aus dem Netz tun ihr Übriges, um den Geldbeutel zu entlasten. Doch welche Anlage ist die richtige?

          Solarenergie wird am häufigsten genutzt

          Nicht in jeder Lage lohnt sich ein Windrad im Garten, nicht auf jedem Dach eine Photovoltaikanlage. Der Markt ist mit Hunderten Anbietern sehr unübersichtlich. Oft sind die Kunden nicht ausreichend informiert und machen sich von den Angeboten einzelner Hersteller abhängig. Um mehr Klarheit zu schaffen, bieten die Verbraucherzentralen eine Energieberatung an. Die Kosten dafür sind dank Förderung durch den Bund moderat: Fünf Euro kostet die Angebotsberatung in der Verbraucherzentrale, 40 Euro ein Detailcheck mit einem Berater vor Ort. Auch über die rechtlichen Rahmenbedingungen klären die Energieberater auf. Für den Hausgebrauch kommen Solar- und Windenergie sowie Blockheizkraftwerke im Keller in Frage.

          Die am häufigsten von Hausbesitzern genutzte regenerative Art der Stromerzeugung ist die Solarenergie. Auf rund einer Million Dächern in Deutschland findet sich Photovoltaik (PV). Das hat einen einfachen Grund: Solarmodule sind in den vergangenen Jahren immer billiger geworden. Auf dem Markt gibt es zudem eine ganze Reihe hochwertiger Produkte. Die Chancen, ein gutes Produkt zu erhalten, sind also hoch.

          Die Aufwendungen für eine PV-Anlage lassen sich am besten anhand der Kosten pro „Watt peak“ (Wp) vergleichen. Der Zusatz „peak“ zeigt an, dass die Angaben genormt wurden. Das bedeutet, dass die tatsächliche Leistung der Anlage in der Realität abweichen kann – meist nach unten. Anfang dieses Jahres lagen die durchschnittlichen Preise pro Watt peak je nach Qualität des Solarmoduls zwischen 45 und 90 Cent. Inklusive Solarmodulen, Wechselrichter (dieser ist nötig, um den gewonnenen Gleichstrom in Wechselstrom für den Hausgebrauch umzuwandeln), Verkabelung, Montage und Einspeisemanagement wird für eine installierte Photovoltaik-Anlage mit netto rund 1450 Euro pro Kilowatt peak gerechnet. Für ein Kilowatt peak braucht man in Deutschland etwa sieben bis acht Quadratmeter Modulfläche; bei hochwertigeren Modellen reichen auch schon fünf Quadratmeter.

          Möglichst genau den Eigenbedarf decken

          Es kommt außerdem auf die Himmelsrichtung der Dachfläche, ihre Größe sowie ihre Verschattung an. Die Energieagentur rechnet damit, dass eine Photovoltaik-Anlage in Deutschland etwa 950 Kilowattstunden Strom pro Kilowatt peak im Jahr produziert. Dabei können bei stärkerer Sonneneinstrahlung in den Sommermonaten deutlich über 100 Kilowattstunden pro Monat erzielt werden, im Winter erreicht die Anlage kaum mehr als 20 Kilowattstunden. Ärgerlich für die Besitzer ist das, weil im Winter der Energiebedarf höher ausfällt als im Sommer, wo nicht geheizt wird. Zudem sank die Einspeisevergütung von 57,4 Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2004 auf derzeit 12,7 Cent. Für überschüssigen Strom gibt es also weniger Geld.

          Die Entscheidung, ob sich die Stromerzeugung im eigenen Haushalt lohnt, hängt von der Amortisationszeit der Anlage ab, also von der Dauer, bis die Investitionskosten erwirtschaftet sind und Gewinne erzielt werden. Sie liegt für Photovoltaikanlagen in Deutschland zwischen 13 und 15 Jahren. Wer die Anlage ohne Kredite finanziert, kann schon nach 11 bis 13 Jahren Gewinne erwirtschaften. Interessant ist auch die energetische Amortisation, also die Dauer, bis die Anlage mehr Energie produziert hat, als bei ihrer Herstellung verbraucht wurde. Abhängig von Modell und Standort dauert dies etwa fünf Jahre. Erst dann bietet sie also einen Mehrwert für die Umwelt.

          Die Verbraucherzentralen raten zur Vorsicht bei der Dimensionierung der Anlagen – ganz egal ob Solar, Wind oder Blockheizkraftwerk. Viele Verbraucher entscheiden sich für Anlagen, die zu groß bemessen sind, und verpulvern damit Geld, das sie nicht mehr erwirtschaften können. „Die Einspeisevergütung rechnet sich nicht mehr“, erklärt Energieberater Brandis. „Wirtschaftlich ist eine Anlage, die möglichst genau den Eigenbedarf deckt.“

          Deutlich seltener sind in Deutschland Windkraftanlagen für den Privatgebrauch. Über 300 Anbieter von Windrädern für den privaten oder kleingewerblichen Gebrauch gibt es weltweit. Die Unterschiede in der Qualität sind teils gravierend. Wichtig ist, beim Kauf auf die Zertifizierung durch eine unabhängige Behörde zu achten. Bei der Leistung gibt es ebenfalls deutliche Unterschiede: 12Watt bis 100 Kilowatt sind möglich. Für Einfamilienhäuser reichen 2,5 bis 6Kilowatt Leistung.

          Bei der Windkraft sind restriktive Baubestimmungen zu beachten, die sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden. Je nach Masthöhe muss ein entsprechender Abstand zum nächsten Haus gewählt werden. Am häufigsten gilt der Abstand von 0,4 H, wobei H für die Höhe das Mastes steht. In Bayern gilt die Maßgabe, dass der Abstand 1 H betragen muss – also muss das Windrad mindestens so weit vom Haus entfernt stehen, wie es hoch ist.

          Damit fallen dicht besiedelte Wohngebiete weg. Denkbar sind hier lediglich leistungsärmere Windturbinen, die auf dem Dach montiert werden können. Hier leidet jedoch rasch die Effizienz der Windräder: Durch die Nähe zum Hausdach – oder zur Hauswand – entstehen Windturbulenzen, die die gleichmäßige Windeinströmung und damit die Wirtschaftlichkeit der Anlage stören. Sinn ergeben solche privaten Windkraftanlagen daher am Rand von Wohngebieten, die in Windrichtung ausgerichtet sind. Der Wind weht in Deutschland meist aus Westen.

          Ein Kriterium bei der Auswahl des richtigen Windrades ist auch die Standhaftigkeit: Der nächste Sturm kommt bestimmt. Denn im Ernstfall droht der Komplettverlust. Für eine qualitativ hochwertige Windkraftanlage mit 2 Kilowatt Leistung müssen rund 10.000 Euro eingeplant werden. Die Zeit, bis sich die Anlage rechnet, ist etwas länger als bei Photovoltaik auf dem Dach und beträgt je nach Auslastung etwa 15 bis 20 Jahre.

          Stromspeicher werden wirtschaftlicher

          Sinn ergibt auch die Kombination von Wind und Solar. Während die Photovoltaik im Sommer produktiver ist, lohnen sich Windräder im Herbst und Winter, wenn die Sonneneinstrahlung zurückgeht. Auch die zusätzliche Unterstützung durch Solarthermie, bei der durch Sonnenkollektoren gewonnene Energie nicht in Strom, sondern in Wärme gewandelt wird, ist denkbar.

          Immer beliebter werden bei Hausbesitzern auch Kleinstkraftwerke im Keller, sogenannte Blockheizkraftwerke. Für Ein- oder Mehrfamilienhäuser bieten sich Mikro-Blockheizkraftwerke an. Da sie von der geographischen Lage des Hauses weitgehend unabhängig sind, eignen sie sich auch für sonnen- und windarme Regionen. In Einfamilienhäusern werden meist wärmegeführte Blockheizkraftwerke eingebaut, die für Heizung und Warmwasser eingesetzt werden. Der Strom ist dann eher ein Nebenprodukt.

          Die Anschaffungskosten liegen bei mindestens 15.000 Euro und hängen stark von der Leistung ab. Betrieben werden die kleinen Kraftwerke mit erneuerbaren Brennstoffen wie Holz oder Pellets, aber auch Erdgas. Viele private Blockheizkraftwerke nutzen die Kraft-Wärme-Kopplung, um den Wirkungsgrad zu erhöhen. Die beim Verfeuern entstandene Abwärme wird wiederum in Form von warmem Wasser oder Wasserdampf zur Gebäudebeheizung genutzt. Gerade ältere Einfamilienhäuser mit hohem Wärmebedarf eignen sich gut für ein Blockheizkraftwerk mit dieser Kraft-Wärme-Kopplung.

          Wirtschaftlich ist ein Blockheizkraftwerk jedoch nur bei guter Auslastung. Es sollte mindestens 4500 Stunden pro Jahr in Betrieb sein. Das ist die Faustregel, nach der die Anbieter die Wirtschaftlichkeit schätzen. Oft lohnt sich ein Kellerkraftwerk daher besonders für Mehrfamilienhäuser mit einem hohen Energiebedarf. In diesem Fall versorgt das Blockheizkraftwerk mehrere Wohneinheiten und ist daher gut ausgelastet. Ist mit starken Schwankungen zu rechnen, wie zum Beispiel einer Heizperiode im Winter und einer Leerlaufphase in der Urlaubszeit im Sommer, sollten diese mit einer Speicherbatterie aufgefangen werden.

          Ohnehin werden Anlagen mit Batteriespeicher immer wirtschaftlicher. Bis Ende des Jahres läuft von der KfW noch ein Förderprogramm für Stromspeicher. Mit diesen kann der Überschuss für später gespeichert und so der Eigenverbrauch erhöht werden. Doch Obacht, mit einer Batterie ändert sich die rechtliche Situation: Nur wer gleichzeitig Strom produziert und für sich nutzt, ist von der Ökostrom- oder EEG-Umlage befreit. Wer aber neben seinem Blockheizkraftwerk eine Batterie im Keller hat, muss zunächst die EEG-Umlage von derzeit 6,79 Cent pro Kilowattstunde berappen, kann sich die Kosten von der Bundesnetzagentur jedoch wieder zurückerstatten lassen.

          Egal für welche Energieart sich Hausbesitzer entscheiden: Wichtig ist, dass sich die Verbraucher nicht auf ein Angebot verlassen. Bei aller Liebe für die Umwelt verfolgen die Anbieter in erster Linie wirtschaftliche Interessen. Kunden sollten sich einen genauen Überblick über ihre aktuellen Strom-, Heiz- und Warmwasserkosten verschaffen. Und die Meldepflicht nicht vergessen. Wer seine Anlage nicht der Bundesnetzagentur und dem örtlichen Verteilnetzbetreiber meldet, riskiert seine Einspeisevergütung. Bei richtiger Planung hingegen lässt sich mit der Stromselbstversorgung bares Geld sparen – und das an beinahe jedem Standort.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 16. März im Deutschen Bundestag.

          Vor dem Koalitionsausschuss : Papa muss es richten

          Die Koalition droht ihre Dauerkrise zum Markenzeichen zu machen. Scholz kann aber darauf bauen, dass Grüne und FDP sich einig sind, bedingungslos beieinander zu bleiben. Das ist die neue Form der Alternativlosigkeit.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.