Neuregelung der Betriebsrente : Eine kleine Revolution in der Altersvorsorge
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Bild: Thomas Fuchs
Die Betriebsrentenreform ist ein Kind der großen Koalition. Setzen Unternehmen und ihre Belegschaften ihre Ideen um, könnten Betriebsrenten wieder attraktiver werden.
So ging es nicht weiter mit den Betriebsrenten. Seit 2009 hatte die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung stagniert, vor allem in kleinen Betrieben und unter Geringverdienern. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wollte dies mit einer Reform schon 2014 erreichen, dass die Tarifparteien eigene Versorgungseinrichtungen aufbauen und gemeinsam Kapitalanlage betreiben würden.
Doch für ihren ersten Vorschlag hagelte es Kritik von allen Seiten. Darum machte die Ministerin gemeinsame Sache mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Vor allem redeten die Minister mit denen, die es betrifft: Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Tatsächlich wird die Reform nun von Gewerkschaften, Arbeitgebern, Produktanbietern und Beratungsunternehmen gelobt. Zwar drücken sie Skepsis gegenüber einzelnen Elementen aus. Aber sie erkennen an, dass die Ministerien handwerklich sauber gearbeitet hätten. Nur eine Vorhaltung lässt sich nicht ausräumen: Durch das neue Sozialpartnermodell als zusätzliche Variante ist das System noch komplizierter geworden.
Viele attraktive Neuerungen
Nahles und Schäuble haben etliche weitere Instrumente gefunden, um Betriebsrenten attraktiver zu machen. Geringverdiener dürfen 100 Euro aus einer Betriebspension behalten, wenn sie Grundsicherung im Alter beziehen. 8 statt 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze können steuerfrei als Beitrag dotiert werden. Arbeitgeber werden verpflichtet, ihre Sozialversicherungsersparnis an Mitarbeiter weiterzugeben – und zwar 15 Prozent des umgewandelten Entgelts.
Die Riester-Förderung im Rahmen einer Versorgung wird attraktiver, indem Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in der Rentenphase entfallen. Arbeitgeber, die Geringverdienern eine Betriebsrente finanzieren, erhalten bei monatlichen Bruttoeinkommen unter 2200 Euro 30 Prozent Zuschuss.
Und wenn die Arbeitnehmer zustimmen, können Arbeitgeber eine Betriebsrente so installieren, dass jeder Mitarbeiter automatisch mitmacht, sofern er nicht explizit widerspricht (opting out). Vieles davon ist nicht billig für den künftigen Finanzminister, aber auch Schäuble verschrieb sich, als er noch im Amt war, dem Ziel, deutlich über den Verbreitungsgrad von 57 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hinauszukommen.
Völlig neu ist aber das Sozialpartnermodell: Auf seine Ausgestaltung hat Marco Arteaga, ein ehemaliger Versicherungsmanager und heute Partner der Anwaltskanzlei DLA Piper, starken Einfluss ausgeübt. Sein Gutachten für Nahles’ Haus sollte die Idee eines sozialpartnerschaftlichen Modells konsensfähig machen. „Wir haben zunächst klargestellt, dass eine Bruttobeitragsgarantie Anbieter im Niedrigzins vor unlösbare Aufgaben stellt“, sagt er.
Wer das Geld von Betriebsrentensparern langfristig anlege, gehe anders vor, wenn er nicht jedes Jahr belegen müsse, dass er es jederzeit auszahlen kann. Denn das sei in der Altersversorgung auch nicht nötig. „Ein privater Anleger würde das Geld breit in Produktivvermögen anlegen. Dieses Versorgungskapital erreicht oft das Zwei- bis Vierfache dessen, was man mit einer sicheren Anlage erzielen würde.“
Die Schlussfolgerung des Gutachtens war, dass unter bestimmten Voraussetzungen – nämlich wenn beide Tarifpartner zustimmen und darüber einen Tarifvertrag schließen – der Arbeitgeber bei neuen Zusagen von der Bruttobeitragsgarantie entlastet werden kann.
Anders als in Nahles’ Ursprungsmodell beauftragen die Sozialpartner im Wettbewerb stehende Vermögensverwalter. Das müssen durch das Garantieverbot keine Versicherer mehr, sondern können auch Fondsgesellschaften sein.
Krötenschlucken für Gewerkschaftler
Den letzten Schub in der betrieblichen Altersversorgung hatte das Altersvermögensgesetz von 2001 gebracht, mit dem Arbeitgeber verpflichtet wurden, Beschäftigten mindestens eine Variante für beitragsfreie Entgeltumwandlungen anzubieten.
In den Jahren danach stieg die Zahl der Anwartschaften von 14,6 auf 20,4 Millionen. „Wir haben seither viele tarifvertragliche Renten mit Arbeitgeberanteil flächendeckend eingeführt“, sagt Michaela Rosenberger, Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Obwohl die Betriebe ihrer Branche heterogen seien, sei es gelungen, viele von den Vorzügen zu überzeugen. „Das neue Gesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung, denn seit 2001 ist klar: Die gesetzliche Rente wird nicht reichen“, sagt sie.
Die Gewerkschaften hätten im Gesetzgebungsprozess Kröten schlucken müssen. Dazu gehöre das Garantieverbot. Dafür sei es ihnen gelungen, Schäubles Widerstand gegen einen höheren Freibetrag in der Grundsicherung zu brechen. „Wir hätten uns noch mehr gewünscht, denn wie soll ich einen Arbeitnehmer von der Eigenvorsorge überzeugen, wenn er keine Möglichkeit zu sparen hat“, sagt Rosenberger. Die Reform verlange nun forsche Belegschaften, die auf dem Recht zur betrieblichen Altersversorgung beharrten.
Kein Modell für den Mittelstand?
Bei allem Lob ist zum Teil aber noch viel grundsätzliche Kritik zu hören. „Das Sozialpartnermodell ist für Großkonzerne gemacht und für mittelständische Betriebe nicht zu bewältigen“, sagt Andrew Hartsoe, verantwortlich für Betriebsrenten beim Finanzberater Plansecur. Der Mittelstand ist oft nicht tarifgebunden.
Für diese Unternehmen sei die Regelung uninteressant. Tarifverträge allgemeinverbindlich zu erklären habe selten funktioniert. „Damit geht man sparsam um. Bleibt es dabei, ist das Modell von Nahles ein Rohrkrepierer“, sagt er. Die besseren Förderungs- und Absetzmöglichkeiten aber lobt der Rentenfachmann, sie seien von Schäubles Ministerium erdacht worden.
Dass Tarifparteien zögern könnten, ein Sozialpartnermodell mit garantiefreien Zielrenten zu beschließen, befürchtet auch Michael Hennig, der stellvertretende Leiter für Investment- und Pensionslösungen von Fidelity International. „Die Gewerkschaften werden einen Preis dafür verlangen, dass sie die Garantie aufgeben“, sagt er.
Ansonsten ist er voll des Lobes für Nahles, gerade wegen des Garantieverbots. „Das ist eine kleine Revolution in der betrieblichen Altersversorgung“, sagt Hennig. Erstmalig sei es für Vermögensverwalter möglich, mit Versicherern konkurrieren zu können. Für Betriebsrenten nach dem Sozialpartnermodell müssen keine Deckungsstöcke mit konservativen Anlagevorschriften aufgebaut werden, sondern es kann breit diversifiziert werden. „Es wird vielleicht keine 50 Anbieter geben, die attraktive Multi-Asset-Lösungen anbieten können, aber der Wettbewerb um die Kapitalanlagen für Betriebsrenten wird größer.“
Weiter versicherungslastig
Auch auf der Seite der Berater, die mit Arbeitgebern Systeme für die Direktzusage ausarbeiten, gab es Begehrlichkeiten. „Man hätte die Garantiefreiheit in allen fünf Durchführungswegen umsetzen können“, sagt Thomas Hasslöcher, Delegierter der Pens-Expert in Deutschland.
Die Regulierung sei zu starr, die Pflicht zur Verrentung der Beiträge zu unflexibel. Versicherer würden privilegiert. „Mit einer Direktversicherung legen sie auch Geld in Fonds an. Wozu braucht es da einen Versicherungsmantel“, fragt Hasslöcher.
Obwohl die Versicherungslobby lange gegen das Garantieverbot angekämpft hat, ist die Branche nicht traurig über die neue Regelung. „Wir haben sogar damit geliebäugelt“, sagt Henriette Meissner, Geschäftsführerin der Stuttgarter Vorsorge-Management. „Es ist ja nicht so, dass unsere Kapitalanleger nicht gewusst hätten, wie man anlegt. Aber das Versicherungsaufsichtsgesetz hat uns Grenzen gesetzt.“
Harter Kostenwettbewerb
Sollte es durch Tarifverträge zum Sozialpartnermodell kommen, sieht sie die größte Herausforderung darin, in Zeiten mit schwachen Marktentwicklungen Ruhe zu bewahren. Der schwedische Staatsfonds habe mit einer diversifizierten Anlage jährlich 5 bis 6 Prozent Rendite in den vergangenen dreißig Jahren erzielt. Zweimal habe er aber auch 20 Prozent verloren.
„Meine Sorge ist, dass dann nicht besonnen – wie in Schweden – agiert wird, sondern panikartig – auch vonseiten der Politik, obwohl sie um die Schwankungsbreite wusste. Wir müssen das dann aus- und durchhalten“, sagt Meissner.
Ihr Unternehmen, die Stuttgarter Versicherung, sah sich durch die Reform gezwungen, sich in der betrieblichen Altersversorgung neu aufzustellen. Gemeinsam mit vier anderen Versicherungsvereinen hat sie das Konsortium Rentenwerk gegründet, um den Platzhirschen Allianz und R+V, die schon Erfahrungen mit der Metallrente und der Chemierente gesammelt haben, mehr Gewicht entgegensetzen zu können.
„Durch das Gesetz wird es neue Marktzugangswege geben, nämlich über die Tarifparteien“, sagt Michael Kurtenbach, Vorstandsvorsitzender der Gothaer Lebensversicherung und Mitinitiator des Rentenwerks. Als mittelständische Vereine glauben die fünf Unternehmen, nah an den Bedürfnissen der Zielgruppe – kleinen und mittleren Unternehmen – zu sein. Er rechnet mit einem harten Kostenwettbewerb, was zu radikaler Digitalisierung zwinge. „Die Margen in diesem neuen Marktsegment werden sehr klein sein. Will ich daran etwas verdienen, muss ich es so digital wie möglich machen“, sagt er.
Es sei ein kluger Schachzug gewesen, die Tarifpartner intensiv einzubinden, sagt Rüdiger Bach, Vorstandsvorsitzender der R+V Pensionsfonds. Mit ähnlichen Mechanismen sei es gelungen, den Verbreitungsgrad der Betriebsrenten in der Chemieindustrie auf 82 Prozent zu erhöhen. Großkonzerne hätten oftmals eigene Pensionssysteme, bei kleineren Betrieben helfe der Chemie-Pensionsfonds.
Kurz vor Weihnachten wurde bekannt, dass die Zahl der Anspruchsberechtigten auf 200 000 gestiegen ist – siebenmal so viele wie 2007, als der Versicherer den Pensionsfonds kaufte. „Durch die Mitwirkungsmöglichkeiten der Sozialpartner ist ein anderes Vertrauensverhältnis vorhanden“, sagt Bach.
Das Branchenversorgungswerk sei eine erfolgreiche Blaupause für das Sozialpartnermodell. „Den Informationsfluss übernehmen in enger Zusammenarbeit mit einer eigenen Chemie-Beratungseinheit die Sozialpartner. Mit einem tarifvertraglich vereinbarten Arbeitgeberbeitrag ist das ein qualitativ hochwertiger und fast automatisierter Prozess“, sagt er.
Viel Arbeit kommt auf Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Unternehmen in diesem Jahr zu. Betriebsrenten, so sagte Andrea Nahles im März im Bundestag, seien „die älteste, die wichtigste und die kostengünstigste Zusatzversorgung im Alter“. Gemeinsam mit Schäuble setzte sie mit ihrem Gesetz auf freiwillige Lösungen.
Doch den meisten im Markt ist klar: Steigt die Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge in den kommenden Jahren nicht spürbar an, wird die Politik um ein Pflichtmodell nicht herumkommen. Gesetzliche Renten zu kürzen, ohne eine attraktive Alternative anzubieten, das wird dauerhaft nicht funktionieren.