Ein Sprachführer : Verstehen Sie Ihre Versicherung?
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Unverständliche Versicherungstexte kosten nicht nur den Kunden Geld und Nerven Bild: dpa
Wer einen Schaden erleidet, muss sich anschließend auch noch mit komplizierten Klauseln herumschlagen. Dabei könnten Kunden das meiste verstehen und Versicherer Geld sparen, wenn sie sich mit der Sprache Mühe gäben.
An Universitäten prallen oft Welten aufeinander. Da sind die einen, die keine spezifischen Kenntnisse erwerben, fern des Arbeitsmarktes studieren und womöglich bald nur wenig Geld verdienen: die Geisteswissenschaftler. Und dann sind da die anderen, vollgesogen mit nützlichem Handlungswissen, überall einsetzbar und mit Aussichten auf einen gut dotierten Arbeitsplatz: Juristen und Betriebswirte. Teilen sie sich einmal einen Tisch in der Universitätsmensa, müssen die „Geistis“ sich die Frage gefallen lassen, was sie mit ihren abstrakten Theorien denn eines Tages anfangen wollen.

Redakteur in der Wirtschaft, zuständig für „Menschen und Wirtschaft“.
Betätigungsfelder allerdings gäbe es genug, denn überall wird geschrieben, mehr als je zuvor. Doch längst nicht alle Texte sind so verfasst, dass sie zu verstehen sind. „Textverständlichkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem“, sagt der Linguist Günther Zimmermann. Aus dieser Erkenntnis hat der emeritierte Französischprofessor 2004 eine Firma gegründet: lingua@media in Braunschweig. Texte besser verständlich zu machen, ist für ihn eine Dienstleistung. Die Wirtschaft ist auf ihn aufmerksam geworden. Von Audi und Volkswagen bis zum Institut der Wirtschaftsprüfer und dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) reichen seine Klienten.
Sätze mit 94 Wörtern
„Versicherer sprechen noch viel zu sehr in der Sprache der Bedingungen statt in der Sprache der Kunden“, sagt Zimmermann. Seit einigen Jahren untersucht er, wie Leser Versicherungstexte verstehen: Allgemeine Versicherungsbedingungen, Informationsbriefe oder Produktinformationsblätter. Die Ergebnisse fallen verheerend aus: 91 Prozent der Teilnehmer verstanden in einem Test einzelne Sätze gar nicht. Für die fünf am schlechtesten formulierten Sätze benötigten die meist hochgebildeten Versuchspersonen bis zu eine halbe Stunde.
Gemessen an dem Kriterium, dass Sätze von mehr als 18 Wörtern herausfordernd sind, fielen auch Produktinformationsblätter glatt durch. Bis zu 94 Wörter umfassten Sätze, verschachtelt und im Nominalstil waren sie und somit kaum verständlich. „Dabei ist Textverständlichkeit ein Medium der Transparenz“, sagt Zimmermann. „Was man nicht versteht, kann man nicht befolgen.“ Sehr ärgerlich könne das für Kunden werden, urteilt auch der Bund der Versicherten (BDV). Weil Bedingungen so unverständlich formuliert seien, wüssten Kunden oft nicht, was sie abgeschlossen hätten, kritisiert BDV-Sprecherin Bianca Boss.
„Kennt man seine Pflichten als Versicherungsnehmer nicht, kann das schnell zum Nachteil werden“, sagt sie. Etwa wenn der Kunde nach einem Schaden aufräume, bevor der Gutachter erschienen ist, könne er viel Geld verlieren. „Es scheint zur Strategie der Unternehmen zu gehören, nicht verstanden zu werden, weil sie dann weniger auszahlen müssen“, mutmaßt Boss. Doch so einfach sei die Rechnung nicht, meint Linguist Zimmermann. Unverständliche Texte verursachten auch in den Unternehmen Kosten.