Die Vermögensfrage : Umgekehrte Hypothek ist oft eine bittere Pille für Eigenheimbesitzer
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Schwierige Lage: Nur wer ein Haus in attraktiver Umgebung besitzt, kann mit einem guten Verkaufspreis rechnen Bild: dpa
Die niedrigen Zinsen verführen Anleger dazu, sich zu teure Immobilien zu kaufen. Dadurch kommt der Vermögensaufbau zu kurz. Bei niedrigen Renten gibt es dann kaum Alternativen zum Verkauf.
Das eigene Dach über dem Kopf ist in Deutschland ohne Zweifel die beliebteste Geldanlage. Das ist kein Wunder, weil die meisten Menschen mit dem Eigenheim große Gefühle verbinden. Sie schaffen sich auf diese Weise ein Zuhause nach ihren Vorstellungen. Sie empfinden die Kreditraten nicht als lästige Mietzahlungen, sondern sie betrachten die Aufwendungen trotz der Zinsen an die Bank als soliden Vermögensaufbau. Und sie leben auch in dem Glauben, etwas Werthaltiges zu schaffen, das zu gegebener Zeit an Kinder und Enkel vererbt werden kann. So verständlich der erste Punkt ist, so heikel ist der letzte Punkt. Eigenheime in Ballungsgebieten mögen Goldgruben sein, doch Eigenheime auf dem Lande sind in der Regel mit Wertverlusten verbunden. Das bekommen nicht nur die Erben, sondern auch die Besitzer zu spüren, die im Alter ihr Eigenheim versilbern müssen, weil die Rente nicht ausreicht. Die Zahl dieser Fälle steigt seit Jahren an, und es deutet vieles darauf hin, dass aus dem harmlosen Problem in zwei bis drei Jahrzehnten eine handfeste Schwierigkeit werden wird. Das wird in folgendem Beispiel deutlich.
Ein selbständiger Musiker ist 70 Jahre alt und lebt mit seiner Lebensgefährtin in einem Haus, das der Mann vor 15 Jahren von seinen Eltern geerbt hat. Das Objekt ist gewaltig in die Jahre gekommen, doch für Renovierungen steht kein Geld zur Verfügung. Noch schlimmer als der bröckelnde Putz sind freilich die kargen Renten des Paares. Die beiden Senioren müssen mit 1.500 Euro pro Monat über die Runden kommen, und das ist bei den heutigen Preisen wahrlich kein Zuckerschlecken. Daher macht sich der Mann seit Monaten intensiv Gedanken, das Haus in „irgendeiner“ Form zu versilbern.
Warum die umgekehrte Hypothek hierzulande als anrüchig gilt
Das Objekt ist etwa 250.000 Euro wert. Die erfreuliche Tatsache, dass das Haus schuldenfrei ist, bringt manche Leute auf den Gedanken, dass es doch möglich sein müsse, das Haus zu fluten. Sie stellen sich vor, von einer Bank oder einem Menschen, der ordentlich Geld besitzt, jeden Monat einen gewissen Betrag – beispielsweise 1.000 Euro – zu bekommen und dafür das Haus als Pfand zu geben. Das sieht auf dem Papier toll aus, doch die Idee ist in der Wirklichkeit kaum umzusetzen, und wer die Ursachen erfahren will, muss nur für ein paar Minuten gedanklich in die Rolle des Geldgebers schlüpfen.
Die Bank oder der Privatmann gibt dem Musikus außer Dienst jeden Monat den gewünschten Tausender. Die Zinsen des Geschäftes – beispielsweise 4 Prozent pro Jahr – werden auf dem Konto jeweils am Ende des Jahres gutgeschrieben. Folglich ist die ganze Sache nichts anderes als ein Sparplan. Heikel sind bei diesem Geschäft nur die Laufzeit und das Endguthaben. Wie lange sollen die Tausender über den Tisch gehen? Der Musiker wird aus verständlichen Gründen interessiert sein, dass die Zahlungen so lange wie möglich fließen, und der Sparer wird aus anderen Gründen wissen wollen, wann der Kontostand höher als der Wert des Hauses sein wird. Land unter wird in 15 Jahren und drei Monaten sein. Dann werden sich auf dem Konto – je nach Sichtweise – Guthaben beziehungsweise Schulden von 251.000 Euro angesammelt haben. Und nun? Soll der Anleger die Zahlungen einstellen? Kann der Sparer den 85 Jahre alten Mann aus dem Haus jagen und das Objekt für 251.000 Euro verkaufen? Will der Musiker in der Fußgängerzone mit der Balaleika zum Tanz aufspielen, um dem Geldgeber monatlich Zinsen von 837 Euro in die Hand drücken zu können? Die einzelnen Fragen mögen bitter klingen, doch die Antworten sind der Grund, warum die umgekehrte Hypothek in Deutschland als „anrüchiges“ Geschäft gilt und nicht in Gang kommt.