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Vermögensfrage : Damoklesschwert Elternunterhalt

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Hilfsbedürftig: Ein Heimplatz kostet, und nicht alles zahlt das Sozialamt. Bild: dpa

Wenn Mutter oder Vater im Alter Pflege bedürfen, müssen oft die Kinder zahlen. Es gibt jedoch Möglichkeiten, die Unterhaltskosten in Grenzen zu halten.

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          Die Finanzierung für das Haus steht, die Kinder sind ausgezogen, und selbstverständlich ist für alle möglichen Eventualitäten vorgesorgt: Die Risikolebensversicherung, falls der Haupternährer der Familie stirbt, die Berufsunfähigkeitsversicherung, falls die Arbeit nicht mehr ausgeübt werden kann, und die Haftpflicht wurden vor Jahren abgeschlossen. Über Gebäude-, Elementar- und Hausratpolicen sind Hab und Gut gesichert. Und auf dem Tagesgeldkonto befindet sich ein Notgroschen - falls Auto oder Waschmaschine den Geist aufgeben. Alles in allem vorbildlich.

          Doch dann tritt ein, was nicht geplant ist und wofür oft kein Plan existiert: Vater oder Mutter kommen nicht mehr alleine zurecht, benötigen Hilfe oder einen Platz in einem Pflegeheim. Die Pflege erfordert nicht nur viel Zeit und Organisationstalent - insbesondere der stationäre Aufenthalt geht auch ins Geld. Ein Heimplatz in der Pflegestufe III kostet laut Pflegestatistik 2013 durchschnittlich 3017 Euro im Monat. Die gesetzliche Pflegeversicherung zahlt in diesem Fall 1612 Euro, in Härtefällen 1995 Euro. Die Lücke von mindestens 1405 beziehungsweise 1022 Euro müssen - sofern keine private Pflegeversicherung besteht - die Betroffenen aus eigener Tasche zahlen.

          Reichen Vermögen und Renten der Eltern nicht, um die Rechnungen des Pflegeheims zu begleichen, springt zunächst das Sozialamt ein. Doch die Behörde versucht, sich das Geld von den Kindern zurückzuholen. Schließlich sind Verwandte in gerader Linie zum Unterhalt verpflichtet. So sieht es Paragraph 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches vor. Das gilt selbst dann, wenn das Verhältnis zerrüttet war und über viele Jahre kein Kontakt bestand (Az. XII ZB 607/12).

          Bild: F.A.Z.

          Landet der Brief vom Sozialamt im Briefkasten, fürchten viele um ihren Lebensstandard. „Zu Unrecht“, sagt Jörn Hauß, Fachanwalt für Familienrecht. Im Schnitt zahlen die Sozialämter zwischen 500 und 1000 Euro im Monat. Kinder, die überhaupt zahlen müssen, werden im Durchschnitt mit rund 220 Euro im Monat zur Kasse gebeten, weiß der Duisburger Elternunterhalts-Spezialist aus seiner langjährigen Beratungstätigkeit. Schließlich urteilten die Richter des Bundesgerichtshofs schon 2002, dass der Lebensstandard der Kinder im Fall des Elternunterhalts geschützt ist (Az. XII ZR 266/99). Doch wer nicht zu viel zahlen möchte, sollte sich von einem Anwalt beraten lassen.

          Die Bundesbürger werden immer älter, die Zahl der Pflegebedürftigen wird daher in den kommenden Jahren steigen. Das Statistische Bundesamt rechnet bis 2030 mit 3,4 Millionen Pflegefällen. 2013 waren es 2,6 Millionen, von denen 29 Prozent vollstationär in Heimen betreut wurden. Trotzdem bleibt das statistische Unterhaltsrisiko laut Jörg Hauß gering.

          Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Urteile zugunsten der Kinder gefällt und so in vielen Punkten Klarheit geschaffen, wie die Höhe eines möglichen Elternunterhalts konkret zu berechnen ist. Um festzustellen, wie hoch der Betrag ausfällt, den Sohn oder Tochter überweisen müssen, wird zunächst das anrechenbare bereinigte Nettoeinkommen ermittelt. „Das bereinigte Nettoeinkommen entspricht nicht dem Nettoeinkommen“, sagt Michael Baczko, Fachanwalt für Sozialrecht in Erlangen. Denn von ihrem Nettoeinkommen können die Kinder verschiedene Aufwendungen wie beispielsweise den Unterhalt für die eigenen Sprösslinge, Aufwendungen für die Altersvorsorge oder Ausgaben für Kredite oder den Beruf abziehen. Hinzu kommt ein Mindestselbstbehalt in Höhe von 1800 Euro bei Alleinstehenden beziehungsweise 3240 Euro bei Verheirateten, den das Amt nicht antasten darf.

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          Nehmen wir ein Beispiel: Ein Alleinstehender hat ein Nettoeinkommen von 2800 Euro. Von diesem können fünf Prozent berufsbedingte Aufwendungen, also 140 Euro, abgezogen werden. Hinzu kommen Monat für Monat fünf Prozent des Bruttoeinkommens, den der Alleinstehende in seine Altersvorsorge investieren kann (BGH, XII ZR 98/04). Zieht er weitere berücksichtigungsfähige Ausgaben wie beispielsweise für Zins und Tilgung eines Konsumentenkredits in Höhe von 110 Euro ab, ergibt sich in seinem Fall ein bereinigtes Nettoeinkommen von 2300 Euro. Dieses übersteigt den Selbstbehalt für Alleinstehende um 500 Euro. In einem nächsten Schritt wird der Selbstbehalt um 50 Prozent des übersteigenden Beitrags erhöht. In unserem Beispiel wären dies summa summarum 2050 Euro (1800 Euro plus 250 Euro). Der Alleinstehende muss demnach 250 Euro (2300 Euro minus 2050 Euro) Elternunterhalt im Monat zahlen (siehe Tabelle Beispiel 1).

          Doch Kinder müssen nicht nur ihr Einkommen offenlegen. Die Behörde interessiert sich auch für deren Vermögen. Eines vorweg: Das Eigenheim muss nicht beliehen oder veräußert werden, um die Pflegekosten der Eltern bezahlen zu können. Das geht aus Urteilen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2005 (Az. BvR 1508/96) und des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2013 (Az. XII ZB 269/12) hervor. Neben den eigenen vier Wänden akzeptieren die Behörden zudem eine Altersvorsorge (Az. XII ZB 269/12). Deren Höhe berechnet sich wie folgt: Für jedes Berufsjahr können Sohn oder Tochter fünf Prozent ihres letzten Bruttolohns zurücklegen. Diese Summe wird trotz der aktuell doch recht dürftigen Zinsen fiktiv für jedes Berufsjahr mit vier Prozent aufgezinst.

          Ein Beispiel: Die 60-jährige Tochter verfügt über ein Bruttoeinkommen von 60 000 Euro. Sie ist seit 25 Jahren berufstätig. Legt sie jedes Jahr fünf Prozent ihres Bruttolohns für die Altersvorsorge zurück, ergeben sich nach 25 Jahren ein Altersvorsorgevermögen von rund 125 000 Euro, das neben der selbst bewohnten Immobilie zum Unterhalt nicht herangezogen werden darf. Dabei ist unerheblich, ob das Geld in Aktien, Fonds, Sparplänen oder Versicherungen investiert ist. Bei Selbstständigen akzeptieren die Behörden sogar 25 Prozent des Bruttoeinkommens als Altersvorsorge. Auch können Sohn oder Tochter 10 000 Euro für Anschaffungen wie Auto oder Modernisierungsmaßnahmen am Eigenheim zurücklegen. Das darüber hinausgehende Vermögen kann für den Elternunterhalt herangezogen werden. „Doch nur wenige Leute verfügen überhaupt über das zulässige Schonvermögen“, weiß Fachanwalt Hauß aus seiner Beraterpraxis.

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          Etwas komplexer fällt die Berechnung bei Ehepaaren aus. Denn auch das Einkommen des Schwiegerkindes wird mit berücksichtigt, um die Höhe des Elternunterhalts zu ermitteln. In diesem Fall ist entscheidend, wie hoch das Familieneinkommen ist und wie hoch der Prozentsatz ausfällt, den der Unterhaltspflichtige dazu beiträgt.

          Baczko erläutert dies an folgendem Beispiel: Das Einkommen des unterhaltspflichtigen Ehemannes beträgt 3000 Euro, das der Ehefrau 1000 Euro. Das gesamte Familieneinkommen liegt damit bei 4000 Euro, wozu der Ehemann 75 Prozent beiträgt. Nach Abzug des individuellen Familienbedarfs in Höhe von 3582 Euro bleiben 418 Euro übrig. Da streng genommen nur der Ehemann gegenüber seinen Eltern unterhaltspflichtig ist, muss dieser monatlich 313,50 Euro (75 Prozent von 418 Euro) Elternunterhalt zahlen (siehe Tabelle Beispiel 3). Das Vermögen des nichtunterhaltspflichtigen Partners bleibt dabei außen vor.

          Gerade bei Eheleuten gibt es daher Gestaltungsmöglichkeiten. „Das Vermögen lässt sich unter Eheleuten geschickt aufteilen“, sagt der Konstanzer Rechtsanwalt und Vorsitzender des Instituts für Erbrecht, Elmar Uricher. Ein Beispiel: Ein Ehepaar besitzt ein Eigenheim und zwei Wohnungen, die vermietet sind. Haben die Eltern der Frau kaum Vermögen, könnte das Eigenheim an die Frau überschrieben werden, die Mietwohnungen an den Mann. Wenn der Pflegefall der Eltern jedoch absehbar oder eingetreten ist, ist eine derartige Gestaltung nicht mehr möglich. Nehmen Eheleute Vermögensumschichtungen vor, um langfristig keinen Elternunterhalt zahlen zu müssen, sollten sie aber auch den Fall der eigenen Scheidung bedenken. „Für diesen Fall sollten Rückfallklausen aufgenommen werden, wonach das an den anderen Ehegatten übertragene Vermögen im Scheidungsfall wieder an ihn zurückfällt“, rät Uricher.

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          Geschwister werden anteilig nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Kasse gebeten. Um es kurz zu machen: Der Fleißige muss zahlen, der Hallodri nicht. „Das führt insbesondere bei schwäbischen Gemütern zu Irritationen“, sagt Hauß. Und oft auch zu Streitigkeiten und Missgunst. Schließlich kann es sein, dass ein Kind kaum Vermögen und nur ein geringes Einkommen hat und daher nichts zum Elternunterhalt beitragen muss, während der besser betuchte Bruder, nachdem anrechenbares bereinigtes Nettoeinkommen und Schonvermögen ermittelt sind, einige Hundert Euro im Monat zahlen muss.

          Wenn der Brief vom Sozialamt im Briefkasten liegt, empfiehlt es sich, einen Anwalt zu konsultieren. „Häufig lassen sich die Forderungen des Amtes reduzieren“, berichten Baczko und Hauß. Nicht immer seien die Berechnungen der Sozialämter korrekt, und mitunter vergessen Kinder Ausgaben, die die Unterhaltslast drücken.

          Wer seinen bedürftigen Eltern freiwillig oder vom Amt genötigt unter die Arme greift, kann die Ausgaben als außergewöhnliche Belastungen allgemeiner Art in seiner Steuererklärung verrechnen. Die Ausgaben akzeptieren die Beamten in unbegrenzter Höhe. Bevor sich jedoch der erste Euro steuermindernd auswirkt, müssen die Kinder zunächst eine zumutbare Belastung aus eigener Tasche zahlen. Wie hoch diese ausfällt, hängt von der Höhe des Einkommens, dem Familienstand und der Anzahl der Kinder ab.

          Die zumutbare Belastung können Sohn oder Tochter auch als haushaltsnahe Dienste verrechnen. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn das Kind vom Pflegedienst oder Heim eine Rechnung erhält und den Betrag an den Leistungsbringer überweist. Für all diejenigen, die den Betrag an das Amt überweisen, besteht diese Möglichkeit jedoch nicht (Finanzgericht Baden-Württemberg 6 K 2688/14).

          Wer im Alter nicht in die Bredouille kommen möchte, kann eine private Pflegeversicherung abschließen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass diese bereits ab Pflegestufe I zahlt. Wenn lediglich Pflegestufe III abgesichert ist, wäre das Geld für die Police sicher sinnvoller in einen schönen Urlaub investiert. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass der Ernstfall eintritt und die Versicherung zahlen muss, ist - auch wenn die Bundesbürger immer älter werden - nicht allzu groß. 2013 waren gerade einmal 11,8 Prozent aller Pflegebedürftigen in Stufe III eingruppiert.

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