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Trend bei Zahlungssystemen : Liebeserklärung an den Geldautomaten

Der Trend geht zum Zahlen mit der Karte - auch wenn dieser Tage Bargeld in Griechenland sehr gefragt ist Bild: dpa

Der gute alte Geldautomat kommt aus der Mode. Immer mehr Menschen zahlen mit der Karte. Dabei war er die einzige vernünftige Erfindung der Banken in den vergangenen Jahrzehnten.

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          Mitten im Fluss der täglichen Geschäftsnachrichten gibt es bisweilen Dinge, die einen aufhorchen lassen. So wurde zuletzt über die Möglichkeit berichtet, dass Geldautomaten-Hersteller zu Übernahmeopfern werden könnten. Und zwar mit einem interessanten Hintergrund: Der Geldautomat, zumindest in seiner klassischen Form, verkauft sich anscheinend nicht mehr so gut. Ausgerechnet diese Wundermaschine, die uns alle mit Bargeld versorgt, scheint sich zu einem Ladenhüter zu entwickeln.

          Christian Siedenbiedel
          Redakteur in der Wirtschaft.

          Was ist da los? Droht dem Geldautomaten womöglich ein ähnliches Schicksal wie dem Kassettenrekorder, dem Anrufbeantworter und der Schreibmaschine: der Tod durch technischen Fortschritt?

          Die Befürchtung scheint zumindest langfristig nicht vollkommen unbegründet zu sein. Wenn immer mehr Leute mit Karte zahlen oder neuerdings sogar mit dem Smartphone, braucht man auf Dauer weniger Geldautomaten. Wer im Internet bei Ebay oder Amazon einkauft, kann sich den Gang zum Bankautomaten ja ohnehin schon schenken. Und wer abends nach der Arbeit beim Rewe-Supermarkt vorbeifährt, um noch schnell ein paar Lebensmittel zu besorgen, der wird von der Kassiererin nicht nur gelöchert, ob er Treuepunkte sammelt oder eine Kundenkarte besitzt - sondern ebenso, ob’s noch etwas Bargeld sein darf. Auch das erspart dem eiligen Menschen von heute einen Besuch beim guten alten Geldautomaten.

          Die Folge: Bundesweit stagniert die Zahl der Automaten. Seit 2009 liegt sie bei etwa 60 000, mit leichten Schwankungen. Das klingt zunächst mal nur nach einer Sättigung, es gibt genug Automaten.

          Es ist aber kein Geheimnis, dass die Banken in den nächsten Jahren Hunderte weiterer Filialen schließen wollen. Und dass dann zwar manchmal ein Geldautomat und ein Kontoauszugdrucker im Foyer der früheren Filiale zurückbleiben. Manchmal aber eben auch: nichts.

          Bis 2019 jedenfalls, so prognostiziert eine Studie des Marktforschungsinstituts „Retail Banking Research“, wird die Zahl der Geldautomaten in Deutschland zurückgehen. Nicht dramatisch zwar, aber spürbar. Und der Verkauf neuer Geldautomaten als Ersatz für alte wird Jahr für Jahr um rund ein Prozent sinken. Das alles zeigt, wie paradox das Sparen sein kann: Der Geldautomat war schließlich einst angetreten, für die Banken die Kosten zu senken. Wenn aber die Banken alle Kosten senken, dann trifft das leider auch die Anschaffungskosten für einen neuen Geldautomaten.

          Ausgerechnet der Geldautomat! Er war es doch gewesen, den der frühere amerikanische Notenbankchef Paul Volcker als „einzige nützliche Innovation der zurückliegenden Jahrzehnte in der Bankenbranche“ bezeichnet hatte. Das wurde 2008/2009 viel zitiert: Selbst auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, als an Investmentbankern, Bankberatern und dem Bankwesen an sich kein gutes Haar mehr gelassen wurde, verlor niemand auch nur ein böses Wort über den Geldautomaten.

          Schließlich gehört der Automat zu jenen unscheinbaren Dingen, die unser Leben angenehm machen - die ihre Arbeit aber so unaufgeregt, bescheiden und fast beiläufig erledigen, dass alle sie für selbstverständlich halten. Deshalb ist es Zeit, einmal Danke zu sagen. Zeit für eine Liebeserklärung. Eine Hommage an dieses nüchterne Design, das so streng an der Funktionalität orientiert ist. An dieses prosaische „Ratter-ratter“ beim Bereitstellen des Geldes, das in uns die Vorfreude auf künftigen Konsum doch viel zuverlässiger zu wecken vermag als das Christkind zu Weihnachten mit seinem Glöckchen. Und auch an des Automaten lapidare Abschiedsformel, die so frei ist von jeder Sentimentalität: „Bitte entnehmen Sie Ihre Karte.“ Vor allem aber gebührt dem Geldautomaten selbstredend Dank für das, was er uns spendet: das Bargeld. Wenn es stimmt, was der Volksmund sagt - „nur Bares ist Wahres“ -, dann hat der Geldautomat nämlich eine Aufgabe, die nicht trivial ist: Er ist die Schnittstelle zwischen der virtuellen Welt der elektronischen Geldströme und der handfesten Welt des Bargeldes. Er bürgt für jene Freiheit, die mit Bargeld verbunden ist. Man kann es beliebig horten, mitnehmen und ausgeben, ohne dass jemand das kontrollieren, beeinflussen oder nachvollziehen kann. Der Geldautomat stellt die Emanzipation des Bürgers von der Bank durch Bargeld sicher - auch nachts, am Wochenende und zu Weihnachten.

          Wie wichtig diese Aufgabe des Geldautomaten ist, merkt man erst, wenn er mal nichts ausspuckt. Der Satz „Auszahlung zurzeit nicht möglich“ kann vernichtend sein. Auch wenn der Automat die Karte gefressen hat und nicht wieder hergibt, steht man dumm da. Richtig ernst aber wird es in Fällen wie Griechenland: Seit man dort fürchtet, die Automaten könnten im Zuge von Kapitalverkehrskontrollen bald nur noch bestimmte Höchstbeträge pro Tag herausrücken, heben viele Griechen ihr Geld lieber gleich ab.

          Dabei war der Erfolg des Geldautomaten am Anfang keineswegs ausgemacht. Im Gegenteil. Den ersten funktionierenden Geldautomaten soll schon 1939 der Armenier George Simjian für die City Bank of New York gebaut haben. Die Maschine war ein halbes Jahr in Betrieb, dann wurde sie wieder abgebaut. Zur Begründung wurde Simjian mit den folgenden Worten zitiert: „Es sieht so aus, dass ein paar Prostituierte und Glücksspieler, die nicht von Angesicht zu Angesicht mit Kassierern zu tun haben wollten, die einzigen Benutzer des Gerätes waren.“ Angesichts dieses so schwierigen Startes haben sich die Geldautomaten später aber doch verblüffend lange gehalten.

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