An der Börse : Das Gros der Aktienanleger neigt zu extremer Vorsicht
- -Aktualisiert am
Beim Kampf zwischen Bulle und Bär an den Märkten lassen Anleger viel Vorsicht walten: zwei symbolträchtige Bronzefiguren vor der Frankfurter Börse Bild: Reuters
Selbst erfahrene Investoren achten vor allem auf die Risiken und fühlen sich oft schlecht. Spaß haben besonders Spekulanten. Doch auch bei ihnen läuft nicht alles rund.
Jeder Anleger hat seine ganz eigene Mentalität und besondere Bedürfnisse. Beides spiegelt sich in seinem Investmentstil und der Aufteilung der Geldanlagen. Dennoch finden sich auch typische Verhaltensweisen. Als ein Volk von Zockern etwa sind die Deutschen nicht bekannt. Mit der großen Liebe zu Sparbuch & Co. gelten sie als eher vorsichtige Sparer, was gerade in Zeiten hoher Inflation wie diesen besonders negativ zu Buche schlägt. Viele Anlagezinsen sind zwar inzwischen wieder etwas gestiegen. Aber die Preise haben sich im Jahresdurchschnitt laut Statistischem Bundesamt hierzulande 2022 gegenüber 2021 um 7,9 Prozent erhöht. Im Dezember betrug die Inflationsrate 8,6 Prozent, im Oktober waren es im Jahreshoch sogar 10,4 Prozent.
Und wie ticken nun die Bundesbürger als Wertpapiersparer? Dieser Frage ist die Fondsgesellschaft Union Investment gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut Kantar nachgegangen. Befragt wurden 2000 Anleger, die eine erste Hürde schon genommen hatten: Sie besaßen Aktien oder Fonds. Nach den Ergebnissen der für diese Anlegergruppe repräsentativen Umfrage, die der F.A.Z. vorab vorliegen, verhält sich das Gros dieser Investoren trotz aller gemachten Erfahrungen mit Aktien oder Fonds extrem vorsichtig und hat für die eigene Geldanlage vor allem die Risiken im Blick.
Rund die Hälfte der Befragten, die größte Gruppe, ist bereit, mäßige, überschaubare Risiken für begrenzte Ertragschancen einzugehen. Diese „wachstumsorientierten“ Anleger besitzen vor allem Fonds – das sagen fast neun von zehn Befragten. Mehr als zwei Drittel haben zudem vier bis zehn Einzelaktien im Depot. Ähnlich sieht der Anteil mit Blick auf Bausparverträge und Kapitallebensversicherungen aus. Mehrfachnennungen waren möglich. An diesen Investoren lasse sich die Evolution des Sparens gut erkennen, sagt Giovanni Gay, Geschäftsführer von Union Investment. Zwar hielten diese an gewohnten Geldanlagen fest, nutzten aber auch chancenreichere Anlageformen, obwohl sie dafür meist nur einen kleineren Teil ihrer Ersparnisse verwendeten.
Etwa ein Viertel der Befragten schätzt sich selbst als konservativ ein. Für diese Investoren steht ganz klar der Werterhalt im Vordergrund. Zwei Drittel setzen auf Fonds, 60 Prozent auf Tagesgeld, und nur ein Viertel investiert in Einzeltitel. Aktien und Fonds machen beim Gros (67 Prozent) dieser konservativen Sparer weniger als 25 Prozent des Vermögens aus, nur bei jedem Fünften ist es mehr.
Erprobt auf dem Börsenparkett
Dem Rest falle es leichter, sich auf dem Börsenparkett zu bewegen, heißt es von Union Investment. Rund ein Fünftel der Anleger sei „renditeorientiert“ und bereit, für höhere Zinsen und Erträge mehr Risiken einzugehen. 4 Prozent der Befragten bezeichneten sich selbst als spekulativ. In beiden Gruppen fällt laut der Analyse der Anlagemix wesentlich variantenreicher aus. Diese Anleger haben in dem Vergleich auch den größten Anteil von Aktien und Fonds im Depot. Bei je rund zwei Dritteln besteht das Finanzvermögen zu mehr als einem Viertel aus wertpapier- und aktienbasierten Anlagen, wobei spekulative Anleger tendenziell eher dazu bereit sind, auch sehr hohe Risiken einzugehen.
Je höher aber die Risikobereitschaft, desto positiver sind offenbar die Emotionen, die mit der Geldanlage verbunden werden. 81 Prozent der spekulativen Anleger verbinden dieses Thema mit Optimismus oder Vorfreude. Zugleich findet sich unter ihnen aber auch der größte Anteil an Investoren, die damit so etwas wie Druck verbinden (22 Prozent). Ganz anders fällt die emotionale Bilanz etwa bei konservativen Sparern aus: Jeder dritte Befragte fühlt sich hier überfordert, fast die Hälfte verbindet Pessimismus und Verlustrisiken mit der Anlage, jeden zehnten nervt das Thema.
Ein Erfolgsgarant sind Aktien oder Fonds nicht – vor allem auf kurze Sicht braucht es bisweilen starke Nerven. Doch auch andere Geldanlagen bergen Risiken. Was vor allem zählt: Geduld und Streuung. Nimmt man allein das Jahr 2022, so hätten Anleger etwa mit dem Dax 12 Prozent an Wert verloren – noch vor Gebühren, Steuern und, auch hier: der hohen Inflation. Der Index hat jedoch theoretisch seit dem Jahr 1949 nur 22 Jahre mit Verlust beendet, aber 52 mit Gewinn. Die Renditen für langfristige Anlagen sind je nach Einstiegszeitpunkt nicht selten ansehnlich. Das zeigt etwa das Renditedreieck des Deutschen Aktieninstituts.
Und wie steht es um Fonds? Sparpläne auf deutsche Aktienfonds etwa hätten laut Branchenverband BVI in den vergangenen 15 Jahren im Jahresdurchschnitt 4,3 Prozent erbracht, globale Aktienfonds sogar 6,5 Prozent. Eine Einmalanlage wiederum hätte in dieser Zeit durchschnittlich ein Plus von kumuliert 62 beziehungsweise 94,3 Prozent erzielt. Die gute Nachricht: Das deckt sich mit der Erwartung vieler Befragter. Nicht einmal jeder Dritte erwartet rasche Gewinne mit Aktien. Spekulanten sehen dies natürlich oft anders. Die emotionale Kehrseite: Sie sind im Gegensatz zu vorsichtigeren Anlegernaturen häufiger unzufrieden.