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Immobilientrends : Der Bauboom der Gründerzeit

Geschichtlicher Immobilienboom: Sanierte Gründerzeitbauten in Leipzig Bild: dpa

Nie haben die Europäer so viel gebaut wie im 19. Jahrhundert. Damals wurde die Immobilie zur Geldanlage. Und es entstand ein neuer Typus Mensch: der Mieter.

          5 Min.

          Die Stadt war im Jahr 1830 ein Kaff, gerade mal hundert Einwohner zählte sie. Entsprechend wertlos war der Baugrund. Noch im Jahr 1832 konnte man eine Parzelle für den lächerlichen Preis von 100 Dollar kaufen. Zwei Jahre später war das gleiche Grundstück bereits 3000 Dollar wert, nach einem weiteren Jahr stolze 15.000 Dollar.

          Ralph Bollmann
          Korrespondent für Wirtschaftspolitik und stellvertretender Leiter Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          Das amerikanische Chicago war ein besonders krasses Beispiel, aber an vielen Orten auf der Welt sah das 19. Jahrhundert das Aufkommen einer folgenreichen Innovation: der Immobilie als Handels- und Spekulationsobjekt. Ob es nun die Umgestaltung von Paris unter Baron Haussmann war oder der Aufstieg Berlins zu einer der modernsten Metropolen der Welt: Gewaltige Preissteigerungen und die entsprechenden Gewinnaussichten trieben einen Bauboom voran, der den heutigen Run auf großstädtische Immobilien als geradezu bescheiden aussehen lässt.

          Phasen verstärkter Bautätigkeit hatte es auch vorher gegeben. Die Quellen berichten von Mietskasernen im antiken Rom, der einzigen vormodernen Millionenstadt: Weil sich der teure Baugrund amortisieren musste, wurden sie möglichst billig hochgezogen - und stürzten hinterher oft genug ein.

          Wien – deutsche Immobilienhauptstadt

          In Zentraleuropa folgte im Hochmittelalter eine Welle von Stadtgründungen. Sie waren so erfolgreich, dass neben die nagelneue „Altstadt“ oftmals nach wenigen Jahrzehnten eine „Neustadt“ trat, die 800 Jahre später noch immer diesen Namen trägt.

          Gewaltig erschien auch die Bauwut in der österreichischen Monarchie des 18. Jahrhunderts. Die Osmanen waren besiegt, gegen Frankreich hatte man sich behauptet, selbst die Aggressionen des Preußenkönigs bedrohten nicht ernsthaft den Rang Wiens als glanzvolle Hauptstadt der Deutschen. Überall entstanden prächtige Kirchen und Klöster, Paläste und Bürgerhäuser im Stil des Barock. Sie prägen das Bild Österreichs und Tschechiens bis heute.

          Aber mit dem modernen Immobilienmarkt hatten solche Investments wenig gemein. In der Regel wurden all diese Gebäude von den Personen oder Institutionen errichtet, die sie hinterher auch nutzten. Das Geld wurde nicht von den Banken geborgt oder auf dem Kapitalmarkt eingesammelt, sondern auf alteuropäische Weise erwirtschaftet - von den Klöstern auf ihren Latifundien, vom städtischen Handwerksmeister mit Hilfe des ererbten Gewerbes.

          Landflucht und Preise – Entstehung des Mieters

          Das änderte sich im 19. Jahrhundert radikal. „Erst jetzt wurde städtischer Grundbesitz zur Vermögensanlage und einem Spekulationsobjekt“, schreibt der Historiker Jürgen Osterhammel. Wachsende Bevölkerungszahlen und eine grassierende Landflucht vergrößerten die Nachfrage nach städtischem Wohnraum, was zu steigenden Bodenpreisen führte, die Konjunktur weiter anheizte und mit den wachsenden Verdienstmöglichkeiten wiederum neue Stadtbewohner anzog.

          Es entstand ein neuer Typus Mensch, den es vorher nicht gab: der Mieter. Ob es nun die Arbeiter in ihren engen und lichtlosen Hinterhofwohnungen waren oder die wohlhabenden Bürger in ihren geräumigen Zimmerfluchten - ihnen allen blieb aufgrund der horrenden Grundstückspreise gar nichts anderes übrig, als etagenweise übereinanderzuwohnen.

          Wenig Platz, viele Menschen: Überbelegung der Häuser

          Da die Grundstücke in aller Regel noch nicht geteilt werden konnten, war damit fast zwangsläufig ein Mietverhältnis verbunden. In den Augen der Zeitgenossen lag darin ein Element von Unfreiheit, das eigene Haus auch für Arbeiter blieb für die Wohnungsreformer das Ideal. Erst ein Gesetz von 1951 ermöglichte den Kauf von Eigentumswohnungen in seiner heutigen Form. Vorher trugen solche Gemeinschaften einen Namen, der es im Grunde bis heute trifft: „Streithäuser“.

          Von der Berliner „Mietskaserne“ bis zum Wiener „Mietspalast“ reichte das Spektrum, in Rom spricht man vom „palazzo risorgimentale“. Ganze Stadtviertel wurden in wenigen Jahren hochgezogen - größer und komfortabler als die historischen Altstädte, die nun vielfach zu Slums verkamen.

          Der Bauboom war nicht frei von Krisen und Pleiten, aber im Ganzen hielt der Preisanstieg bis ungefähr 1900 an. Die Nachfrage nach Wohnungen wuchs noch rascher als das schnell steigende Angebot. Der starke Zuzug in die Städte war ein Grund dafür, aber auch höhere Einkommen und wachsende Ansprüche. Die Folge: Die Überbelegung der Räume, als „Wohnungsfrage“ ein großes Thema der Sozialreformer, ging zurück.

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