Geliebt und verhasst : Der Kaffeekapsel-Wahnsinn
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Die Kapseln von Nespresso sind teuer: Sie kosten 35 Cent pro Stück. Bild: Wohlfahrt, Rainer & Rüchel, Dieter
Die Deutschen lieben den Kaffee aus der Kapsel: Zwei Milliarden Döschen verbrauchen sie pro Jahr. Wo soll das nur enden?
Das Urteil der Ingenieure klang hart und endgültig. Nicht den Hauch einer Chance werde dieses Produkt haben: kleine Kapseln, gefüllt mit Kaffee, durch die eine Maschine Wasserdampf hindurchpresst. Eine verrückte, ja eine technisch faszinierende Idee, um Kaffee aufzubrühen - das schon. Aber niemals, da waren sich alle sicher, würde sich damit Geld verdienen lassen.
So kann man sich täuschen. Denn was die Chefingenieure des Schweizer Lebensmittelkonzerns Nestlé damals in den 80er Jahren mit solcher Vehemenz ablehnten, ist heute der Verkaufsschlager aller internationalen Kaffeekonzerne. Die Kaffeekapsel ist der neue Liebling der Kaffeetrinker in aller Welt, besonders die Deutschen bekommen davon nicht genug: Zwei Milliarden Kaffeekapseln haben sie nach Schätzungen im vergangenen Jahr verbraucht - ein Land verfällt dem Kapsel-Wahnsinn. Und alle wollen daran mitverdienen: Es gibt Kapseln von Tchibo, Jacobs und Senseo, ja selbst von Aldi und Lidl. Sowie natürlich vom weltweiten Marktführer, der Nestlé-Tochterfirma Nespresso. Dort ist man heilfroh, am Ende doch nicht auf die eigenen Ingenieure gehört zu haben: Sechs Milliarden Euro Umsatz haben die Hersteller im Jahr 2012 mit Kaffeekapseln erzielt, auf Nestlé entfällt davon nach Schätzungen mehr als die Hälfte.
Wie aber ist es gelungen, die Welt für diese neue Art des Kaffeetrinkens zu begeistern, was steckt hinter der Begeisterung? Gerade die Deutschen waren zwar schon immer eifrige Kaffeetrinker, auf gut 150 Liter kommt jeder Bundesbürger im Durchschnitt pro Jahr. Aber erst seit dem Aufkommen der Kapseln geben die Deutschen viel mehr Geld für Kaffee aus als in den Jahren zuvor.
Um das zu verstehen, muss man einen Mann fragen, der von Anfang an dabei war: Chahan Yeretzian hat zunächst in Diensten von Nestlé die ersten Kapselsysteme technisch weiterentwickelt, heute unterrichtet der Schweizer an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften - als Professor für Kaffeeforschung, ein ziemlich außergewöhnlicher Lehrstuhl. Zur Erklärung für den Siegeszug der Kapseln genügen ihm zwei Worte: Einfachheit und Individualisierung. Was ist damit gemeint? Einfach sind die Kapselautomaten aus folgendem Grund: Jeder kann sie mit Leichtigkeit bedienen - und muss dazu rein gar nichts über Kaffee wissen. Nicht einmal um die richtige Dosierung muss man sich noch kümmern, die Kapselmaschine nimmt einem alles ab. Und was der Professor mit Individualisierung meint, wird beim Blick auf das Kapselprinzip klar: Aus jedem Döschen lässt sich exakt eine Tasse Kaffee gewinnen. Single-Portion heißt das im Marketing-Sprech - erst eine Tasse Espresso, dann eine Tasse Latte Macchiato, dann vielleicht gar eine Tasse seltenen äthiopischen Kaffees. Mit einer normalen Maschine wären solche Wechselspiele ein Ding der Unmöglichkeit.
Klingt alles wunderbar, aber wo ist der Haken? Technisch sind die Kapselmaschinen ausgereift: Dass wie noch bei den ersten Prototypen mal eine Kapsel in der Maschine explodiert, ist heute ausgeschlossen. Stattdessen wird die Kaffeekapsel in ein spezielles Fach der Maschine eingeklemmt, dann in einem technisch filigranen Prozess durch kleine Nadeln aufgestochen, es kommt heißes Wasser hinzu, die Kapsel bläht sich auf, der Kaffee fließt aus - das ist Hightech.