Wendepunkte des Lebens : Das falsche Auto zur falschen Zeit
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Nur noch in Museen oder auf Kuba: Der Ford Edsel, hier in Pink, wurde nur von 1957 bis 1959 produziert. Bild: INTERFOTO
Der „Ford Edsel“ sollte das perfekte Fahrzeug sein. Doch niemand wollte ihn kaufen. Heute ist er Kultobjekt. Alles zum ersten „E-Car“.
Ein amerikanischer Vizepräsident, der sich über ein amerikanisches Spitzenprodukt lustig macht, und das auch noch im Ausland? Geht gar nicht, sollte man meinen. Ist aber passiert, und zwar Richard Nixon auf einer Südamerika-Reise 1958. Dass ihn die Menschen nicht herzlich empfingen, sondern mit Widerwillen, konnte der Stellvertreter von Präsident Dwight D. Eisenhower gar nicht verstehen. Nixon fand eine launige Erklärung: Die Eier und Tomaten, die in seine Richtung flogen, „galten dem Auto, nicht mir“. Der Kommentar sagt einiges über den späteren, am Ende über die Watergate-Affäre gestürzten Präsidenten aus, aber auch sehr viel über das Auto, in dem Nixon nolens volens unterwegs war. Denn der Ford Edsel galt schon damals als der gröbste Missgriff des ruhmreichen Automobilunternehmens. Und das gerade einmal ein Dreivierteljahr nach seiner von irrwitzigem Tamtam begleiteten Markteinführung im Spätsommer 1957.
Nixon konnte sich damals schon sicher sein, dass seine schlechte Meinung über das Gefährt von Abermillionen Landsleuten geteilt wurde. Dabei hatte Ford nicht weniger als das perfekte Fahrzeug für die amerikanische Mittelklasse schaffen wollen: einzigartig in Aussehen und Ausstattung und dennoch tauglich für den Massengeschmack. Die Technik sollte spitze sein, das Design unverwechselbar, der Name unvergesslich. Doch die Einzelteile fügten sich nicht zu einem harmonischen Ganzen. Statt zum Verkaufsschlager entwickelte sich der Edsel zum größten Flop der Automobilgeschichte Amerikas, wenn nicht gar der Welt. Mit dem Ende des Edsel sei in der amerikanischen Wirtschaft eine neue Zeit angebrochen, schrieb der Journalist John Brooks, der dem Niedergang des Ford-Modells einen langen Aufsatz widmete: „eine Zeit, in der Scheitern eine gewisse Größe mit sich bringen kann, wie sie mit Erfolg niemals zu erreichen wäre“.
Exakt zwei Jahre, zwei Monate und 15 Tage wurde der Edsel produziert, ehe Ford 1959 Schluss machte. 110.847 Fahrzeuge wurden in jenem Zeitraum an den Kunden gebracht, das entsprach weniger als einem Prozent aller amerikanischen Autoverkäufe. Kalkuliert hatte Ford mit mindestens 200.000 verkauften Fahrzeugen – Jahr für Jahr. Der Verlust für das Unternehmen betrug nach Schätzungen rund 300 Millionen Dollar, was heute einem Gegenwert von mehr als zwei Milliarden Dollar entspricht. In der Automobilhistorie gibt es zwar reichlich Modelle, die viel versprachen und wenig hielten; man denke an den Ford Pinto oder den VW Porsche 914. Doch das Scheitern des Edsel ist legendär, weil Übereifer, Unvermögen und Unglück unglaublich geballt auftraten. Doch der Reihe nach.
Geheimprojekt „E-Car“
Im April 1955 beschloss Ford, seine Produktpalette um ein Modell für das mittlere Preissegment zu erweitern. Denn man nahm an, dass die amerikanische Wirtschaft immer weiter wachsen würde, die Menschen zunehmend wohlhabender würden und sich deshalb öfter ein repräsentatives Auto leisten wollten. Um der großen Konkurrenz von General Motors und Chrysler voraus zu sein, begann Ford, am Geheimprojekt „E-Car“ zu tüfteln. Das „E“ stand damals für „experimentell“.
Zum Designer des Fahrzeugs wurde der Kanadier Roy Brown erkoren, der zuvor unter anderem Radios, Motoryachten und Glasprodukte entworfen hatte. Das Automodell, das er nach einer Weile intern präsentierte, kam bei den Ford-Leuten gut an. Während Brown und seine Abteilung weiter im Verborgenen tüftelten und im Laufe der Entwicklungszeit sage und schreibe 4000 Veränderungen am Auto vornahmen, wurde kaum weniger fieberhaft die Öffentlichkeit befragt. Ford schickte ein Heer von Meinungs- und Motivationsforschern quer durchs Land, um in Tiefeninterviews die automobilen Träume der Amerikaner zu erkunden. Die besondere Persönlichkeit des Autos, wie es etwas hochtrabend hieß, sollte schließlich in Einklang stehen mit den Vorstellungen der Amerikaner.