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Finanzplanung Mitte fünfzig : Fazzi muss zum Sozialamt

Ein Betreuungsheim im Altersheim kann auch die Kinder teuer zu stehen kommen. Bild: Ute Grabowsky / photothek.net

Die Rente des Vaters reicht nicht, um die Pflege zu bezahlen. Fazzi Indecks muss als Sohn seinen Beitrag leisten. Der Streit um den Elternunterhalt beschäftigt die Juristen.

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          Fazzi kann sich immer noch nicht an die Atmosphäre im Altenheim gewöhnen. In Reih und Glied stehen die Rollstühle vor dem Speisesaal, um kurz nach 17 Uhr für das Abendessen. Und sein Vater mittendrin. Der Anblick tut ihm auch nach sechs Wochen immer noch weh. Doch was bleibt ihm anderes übrig? Nach dem Tod seiner Frau war Fazzis Vater ohnehin mehr schlecht als recht allein klargekommen. Und nun hat ihn ein Schlaganfall endgültig zum Pflegefall gemacht. Fazzi will sich gar nicht ausmalen, wie lange sein Vater hilflos in seiner Wohnung lag, bis er ihn gefunden hat.

          Daniel Mohr
          Redakteur in der Wirtschaft.

          Das soll nicht noch mal vorkommen, und deswegen schien Fazzi eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung, wie sie der Henriettenstift nun bietet, die beste Lösung. Natürlich hätte auch ein Pflegedienst regelmäßig zu seinem Vater kommen können. Doch das wären zwei Mal am Tag nur einige Minuten. Den Rest der Zeit wäre sein Vater allein. Auch über die Möglichkeit, ihn zu sich nach Hause zu holen, hat Fazzi mit seiner Frau Sybille lange nachgedacht.

          Erst dabei wurde ihnen klar, wie wenig altersgerecht ihr Haus doch ist. Treppen am Eingang, das Bad viel zu eng und auch noch im ersten Stock, schmale Türen, eine Stolperfalle zur Terrasse. Zudem muss Fazzi mit seinen 55 Jahren noch mindestens acht, eher aber elf Jahre arbeiten gehen. Früher Ruhestand, der Traum war nach einem nüchternen Blick auf die Zahlen ausgeträumt. Auch Sybille geht noch arbeiten. Sein Vater wäre also auch hier fast den ganzen Tag allein.

          Steckbrief Fazzi Indecks, 50 Jahre alt
          Steckbrief Fazzi Indecks, 50 Jahre alt : Bild: F.A.Z.

          Beim Blick auf das Abendessen des Henriettenstifts denkt Fazzi an die monatlichen Kosten für das Heim. Aber viel billiger geht es nicht. 3000 Euro kostet die Angelegenheit im Monat. Sein Vater musste sich natürlich bei der Einstufung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen alle Mühe geben, so dass Fazzi fast schon glaubte, sein Vater könne vielleicht doch allein in seiner Wohnung bleiben. Ergebnis: Pflegestufe I.

          Das heißt erhebliche Pflegebedürftigkeit, ist aber die niedrigste der drei möglichen Pflegestufen. Nach dieser Einstufung bemisst sich der Betrag, den die gesetzliche Pflegeversicherung seinem Vater zahlt. Aktuell sind das 1064 Euro im Monat. Immerhin ist die Prüfung noch 2016 abgeschlossen worden, denn ab 2017 gelten neue Pflegegrade.

          Automatisch ohne abermalige Prüfung werden alle Personen in den bisherigen Pflegestufen in einen höheren Pflegegrad überführt. Die Geldleistung steigt damit in vielen Fällen und kann für manchen im nächsten Jahr auch zu einer sinkenden Pflicht zum Elternunterhalt führen. In Fazzis Fall würde sie indes sogar von 1064 auf 770 Euro im Monat sinken. Es ist aber Bestandsschutz für Altfälle garantiert, so dass der niedrigere Satz nur für Personen gilt, die im Jahr 2017 neu in den Pflegegrad 2 eingestuft werden.

          Die Besuche im Heim haben aber auch ihr Gutes

          Dennoch muss der Vater von Fazzi knapp 2000 Euro monatlich aus eigenen Mitteln aufbringen. Sollte sein Vater dereinst in höhere Pflegegrade eingestuft werden, steigt zwar die Leistung der Pflegeversicherung, aber auch das Heim wird teurer, so dass der Finanzbedarf von rund 2000 Euro ungefähr erhalten bleiben dürfte. Die Rente von Fazzis Vater beläuft sich auf knapp 1000 Euro im Monat. Schon jetzt hat Fazzi seinen Vater mit 500 Euro im Monat unterstützt, damit er nach dem Tod von Fazzis Mutter ohne deren Rente finanziell einigermaßen über die Runden kam.

          Doch ein Fehlbetrag von nun 1000 Euro lässt Fazzi doch erschrecken. Er verdient mit netto 4500 Euro im Monat sehr gut, und seine Frau steuert weitere 1500 Euro zum Haushaltseinkommen bei. Doch das alte Haus verschlingt gefühlte Unsummen, und Sohn Maxi geht von diesem Herbst an auf eine Privatuni, was die Eltern 2000 Euro im Monat kostet. Ein Luxus, den Fazzi mittlerweile fast schon bereut, zumal bei seinem Einkommen auch nicht im entferntesten an Bafög gedacht werden kann.

          Die Besuche im Heim haben aber auch ihr Gutes. Fazzi trifft Gleichgesinnte, die ebenfalls mit dem Schicksal ihrer Eltern zu kämpfen haben und sich auch mit Finanzierungsfragen auseinandersetzen müssen. Frau Schmitz zum Beispiel hielt es für ihre selbstverständliche Pflicht, die Heimkosten für ihre Mutter zu übernehmen und sie im Alter nicht zum Sozialfall werden zu lassen. Bevor Fazzi diese Großherzigkeit allzu sehr bewunderte, erfuhr er von Herrn Huber, dass sowohl Frau Schmitz wie auch ihre Mutter reichlich Immobilien besitzen und allein die Mieteinnahmen die Heimkosten spielend decken.

          Herr Huber selbst hat sich indes intensiv mit den Sozialämtern auseinandergesetzt. Bevor diese auch nur einen Cent zahlten, musste seine Mutter das Eigenheim verkaufen und den Erlös sukzessive für die Finanzierung des Heimplatzes verwenden. Das ist Herrn Huber schon schwergefallen, schließlich ging es um das Haus, in dem er und seine Geschwister aufgewachsen sind. Ohne den Verkauf hätten sie den Heimplatz aber nicht bezahlen können.

          „Die Sozialämter sind sehr viel professioneller geworden"

          Das Problem hat Fazzi nicht. Sein Vater hat weder Immobilien noch sonstiges Vermögen. Geld war immer knapp, und dass Fazzi als erster in der Familie studieren durfte, war ein Privileg. Allein deshalb will er seinen Vater nun auch nicht hängen lassen und kann es rein rechtlich auch gar nicht.

          „Die Sozialämter sind sehr viel professioneller geworden und fordern von den Angehörigen immer häufiger mit Erfolg den Elternunterhalt ein“, sagt Jochem Schausten, Fachanwalt für Familienrecht in Krefeld und Experte für Elternunterhalt. Wenn das Vermögen der Eltern komplett aufgebraucht ist und ihr Einkommen nicht ausreicht, fordert das Sozialamt die Kinder zur Finanzierung auf. Für sie gibt es Schonvermögen, und große Teile des Einkommens bleiben den Kindern vorbehalten, im Ergebnis werden aber immer mehr Kinder zur Finanzierung des Unterhalts ihrer Eltern herangezogen. „Die Bereitschaft zu zahlen, ist bei vielen da“, sagt Schausten. Es gebe aber kaum einen Rechtsbereich, in dem der Wunsch zur Unrechtsberatung so ausgeprägt sei wie beim Elternunterhalt. „Es ist aber Betrug und damit eine Straftat, wenn dem Sozialhilfeträger Vermögen oder Einkommen verschwiegen wird.“

          Der Bedarf an juristischer Beratung in diesem Bereich steigt, allein um zu wissen, ob und in welcher Höhe im Fall der Fälle Elternunterhalt gezahlt werden muss. Auf 200 bis 300 Euro beziffert Fachmann Schausten übliche Zahlungsverpflichtungen und tritt damit vielfachen Befürchtungen entgegen, dass Kinder große Teile ihres Einkommens für die Pflege ihrer Eltern aufwenden müssen.

          Auch Fazzi lässt sich seine Verpflichtung ausrechnen. Wichtigster Punkt für die Berechnung ist die Anerkennung der Kosten für das Studium des Sohnes. „Wenn diese Verpflichtung vor Bekanntwerden der Pflegebedürftigkeit des Vaters eingegangen wurde, ist sie anzusetzen“, sagt Schausten. Eine Unterhaltspflicht gegenüber Maxi besteht sowieso, auch muss eine erste Berufsausbildung finanziert werden, die Mehrkosten für die Privatuni wären jedoch wohl nicht mehr ansetzbar, wenn sie erst später eingegangen würden und dadurch die Zahlungen für den Vater reduziert würden.

          So aber können von den 4500 Euro Nettoeinkommen von Fazzi die 2000 Euro für Maxi abgezogen werden. Hinzugerechnet wird indes der Wohnkostenvorteil, da sie in einem abbezahlten Einfamilienhaus wohnen. Hier sind 860 Euro hinzuzurechnen. Unter Berücksichtigung von Freibeträgen für Fazzi und seine Frau Sybille bleiben am Ende 549 Euro, die Fazzi mindestens monatlich zahlen müsste. Wer selbst einmal unverbindlich rechnen will, kann dies unter www.elternunterhalt.org/elternunterhalt-rechner.php tun.

          Eine Vorsorgevollmacht ist auf jeden Fall hilfreich

          Je nach Höhe des Vermögens könnte es für Fazzi aber auch noch mehr werden. Er hat 150 000 Euro liquides Vermögen und eine Lebensversicherung, die ihm in zehn Jahren weitere 150 000 Euro bringen soll. Und natürlich das Haus der Familie Indecks. Unangetastet bleiben darf ein Vorsorgevermögen. Hierfür unterstellt der Gesetzgeber, dass Arbeitnehmer während ihrer Berufstätigkeit jedes Jahr 5 Prozent ihres Bruttoeinkommens für die Altersvorsorge zurücklegen und dieses Kapital mit 4 Prozent verzinst wird.

          Für Fazzi ergibt sich daraus ein Freibetrag von rund 200 000 Euro. Er muss sein Vermögen daher nicht antasten, denn von den 150 000 Euro liquiden Vermögens wird ihm nur die Hälfte zugerechnet und die anderen 75 000 Euro seiner Frau. Und in der Lebensversicherung stecken im aktuellen Bestand erst 100 000 Euro. Selbstbewohnte Immobilien zählen nicht zum Vermögen. Wer sich also vor dem Sozialamt arm rechnen will, der kauft eine Immobilie. „Der Kauf muss aber abgeschlossen sein, bevor absehbar war, dass der Vater ins Heim kommt“, sagt Anwalt Schausten.

          Unter dem Strich bleibt eine Zahlungsverpflichtung von 549 Euro für Fazzi, wenn er den Weg über das Sozialamt wählt. Rund 450 Euro würde das Sozialamt beisteuern. Über die Jahre läppert sich das schon, denkt Fazzi, auch wenn nach Ende des Studiums von Maxi wohl die volle Höhe von 1000 Euro selbst gezahlt werden müsste.

          Da sein Vater selbst nicht mehr den Antrag beim Sozialamt stellen kann, muss dies Fazzi tun. Erst jetzt merkt er, wie hilfreich eine Vorsorgevollmacht gewesen wäre. Nun muss er sich immer mit dem Gericht ins Benehmen setzen, was er darf und was nicht und darüber Rechenschaft ablegen und Gebühren entrichten. Vor dem Sozialamt muss er für seinen Vater eine Art Offenbarungseid ablegen. Das Sozialamt wiederum kommt dann auf die Kinder (in diesem Fall nur Fazzi) zu und prüft deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse, inwieweit diese zur Zahlung von Elternunterhalt herangezogen werden können. Weigern sich Kinder oder lassen es auf lange Rechtsstreitigkeiten ankommen, ist die Pflege der Eltern dennoch gesichert. Die Sozialämter treten dann in Vorleistung. In Einzelfällen bleiben auch die Heime auf den Kosten sitzen. Doch Fazzi kooperiert. Gedanklich ist er dabei längst von den formaljuristischen Fragestellungen zu den philosophischen übergangen. Wie sieht Altern in Würde aus? Das Henriettenstift wäre bei aller Mühe der Mitarbeiter nicht sein Idealbild. Aber was wäre sein Wunsch? Und wie selbstbestimmt ist eigentlich das Leben im Alter noch?

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