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Denkfehler, die uns Geld kosten (2) : Der Anker hält die Preise fest

Bild: Corbis

Wer im Laden zuerst das teuerste Produkt sieht, zahlt am Ende mehr als nötig. Das nutzen Verkäufer aus.

          3 Min.

          Machen wir zusammen mal ein kleines Experiment: Nehmen Sie sich bitte einen Zettel, und schreiben Sie die letzten fünf Ziffern Ihrer Kontonummer drauf. Wenn Sie keinen Zettel greifbar haben, tut es auch der Rand der Zeitung oder der Taschenrechner im Handy, in das Sie die Zahl eintippen.

          Patrick Bernau
          Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und „Wert“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Erledigt? Dann kommt noch eine zweite Aufgabe: Bitte schätzen Sie, wie viele Ärzte es in New York gibt. Und schreiben Sie Ihre Schätzung unter die fünf Ziffern von Ihrer Kontonummer.

          Endet Ihre Kontonummer mit fünf hohen Ziffern? Dann haben Sie wahrscheinlich die Zahl der Ärzte in New York überschätzt. Endet sie mit fünf niedrigen Ziffern? Dann haben Sie die Zahl wahrscheinlich unterschätzt. Tatsächlich sind es 65.000.

          Denkfalle „Verankerungs-Effekt“

          Jetzt fragen Sie sich vielleicht, was Ihre Kontonummer mit der Zahl der Ärzte in New York zu tun hat. Richtig: gar nichts. Trotzdem hat Ihre Kontonummer einen messbaren Einfluss darauf, wie Sie die Ärztezahl schätzen. Und zwar nicht nur bei Ihnen, sondern bei den meisten Menschen.

          Der Psychologe Timothy Wilson und drei seiner Kollegen haben diesen Effekt an Studenten ausprobiert: Wilson gab seinen Studenten genau die Aufgabe, die Sie jetzt bekommen haben. (Die Amerikaner benutzten allerdings statt der Kontonummer die Sozialversicherungsnummer, die jeder Amerikaner ständig braucht, um sich auszuweisen.) Das Ergebnis war deutlich: Je höher die Endziffern der Sozialversicherungsnummer waren, desto höher schätzten die Leute die Zahl der Ärzte.

          Bild: Alfons Holtgreve

          Wenn Menschen schon Kontonummern und Ärztezahlen so durcheinanderbringen - dann gilt das umso mehr für Situationen, in denen die Zahlen ähnlich sind. Psychologen haben diese Denkfalle „Verankerungs-Effekt“ genannt. Vor allem gilt sie im Laden, dort, wo es um Preise geht.

          Wer das noch nicht glaubt, findet den Beweis beim Wirtschaftspsychologen Drazen Prelec. Er hat das Experiment mit der Sozialversicherungsnummer an der Universität wiederholt. Allerdings ließ er seine Studenten nicht die Zahl der Ärzte in New York schätzen. Stattdessen stellte er auf sein Pult eine Flasche mit teurem französischem Rotwein, eine Funktastatur und eine Packung Neuhaus-Pralinen. Dann ließ er die Studenten auf Papierblättern notieren, wie viel Geld sie für jedes dieser Dinge ausgeben würden.

          Bild: F.A.Z.

          Die Studenten waren schlaue Wirtschaftsstudenten an der Eliteuniversität „Massachusetts Institute of Technology“, die gerade ihren Master machten, also schon einige Jahre studiert hatten und zum Teil auch etwas Berufserfahrung mitbrachten. Doch auch sie konnten sich dem Anker, den ihre Sozialversicherungsnummer bildete, nicht entziehen. Je höher die notierten Ziffern waren, desto mehr Geld hätten die schlauen Studenten ausgegeben.

          Der teure Fernseher wir uns zuerst präsentiert

          Geschulte Verkäufer wissen genau, wie sie diesen Denkfehler ausnützen können. Zum Beispiel die Verkäufer im Elektromarkt, auf die die Kunden treffen, wenn sie einen neuen Fernseher kaufen wollen und dafür eine gute Beratung suchen.

          Verkäufer, die ihren Job gut machen, zeigen Ihnen zuerst einen teuren Fernseher - am besten ein gutes Stück über dem von Ihnen genannten Budget, gerne mit dem Satz: „Den will ich Ihnen gar nicht anbieten. Ich zeige Ihnen nur mal, was es alles gibt.“ Wenn Sie sich dann zusammen mit dem Verkäufer nach und nach zu etwas günstigeren Geräten vorarbeiten, scheinen Ihnen die unwillkürlich schon ziemlich billig, auch wenn das noch längst nicht die günstigsten sind. Am Ende geben Sie mehr Geld aus, als Sie wollten - oder zumindest mehr, als Sie ohne diese Verankerung ausgegeben hätten.

          Unternehmensberater sind oft wahre Meister in dieser Kunst. Überliefert ist der Verhandlungseinstieg eines Beraters, der potentiellen Kunden gerne sagte: „Nur, damit Sie nicht erschrecken: Ein ähnliches Projekt haben wir mal für fünf Millionen Euro gemacht.“ Oder er nannte eine andere passende Zahl- auf jeden Fall einen Betrag deutlich über den Kosten, die der Berater tatsächlich erwartete.

          Lassen sich solche Anker wieder lichten? Kaum. Da hilft alles Mitdenken nichts. Schließlich weiß jeder sowieso schon im Schlaf, dass Kontonummern gar nichts mit der Ärztezahl in New York zu tun haben - trotzdem fallen die meisten Menschen auf diesen simplen Trick herein.

          Die beste Lösung ist deshalb, sich selbst den Anker auf dem Niveau zu setzen, das man mag. Im Elektromarkt-Beispiel bedeutet das: Wer sich schon vor der Beratung angeguckt hat, was billige Fernseher kosten, der ist schon mal gut verankert. Der teure Fernseher, den der Verkäufer später zeigt, wirkt dann nicht mehr so stark. Und wer ganz raffiniert ist, der kann sich den Verankerungseffekt auch selbst zunutze machen. Zum Beispiel in der Gehaltsverhandlung. Gehen Sie mit einer Mondforderung ins Rennen. Und wenn Sie sich das nicht trauen, sprechen Sie wenigstens beim Händeschütteln mit ihrem Chef über die Investmentbanker, die 200.000 Euro im Jahr verdienen - auch wenn die gar nichts mit Ihrer Arbeit zu tun haben. Ihrem Chef setzen Sie so trotzdem einen guten Anker. Dieser Richtwert wird ihn zu Ihren Gunsten beeinflussen, ohne dass er es merkt.

          Der Verankerungseffekt

          Der Fehler: Wenn wir eine Zahl hören, messen wir unwillkürlich die folgenden Zahlen an dieser ersten – egal, ob das Sinn macht oder nicht.

          Die Gefahr: Verkäufer im Laden zeigen zuerst den teuersten Gegenstand, um sich dann nach unten vorzuarbeiten. So kaufen wir teurer ein, als wir eigentlich wollten.

          Die Abhilfe: Setzen Sie sich Ihren Anker selbst. Bevor Sie mit dem Verkäufer sprechen, gucken Sie sich selbst die Preise an.

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