Geldanlage : Die Zinswende kommt
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Gezeichnet: Notenbankchefin Janet Yellen vor einer amerikanischen Flagge aus Geldscheinen. Bild: Miriam Migliazzi & Mart Klein
Amerikas Notenbank steht kurz davor, die Zinsen anzuheben – erstmals seit einer gefühlten Ewigkeit. Das bringt auch einige Gefahren.
Niemand wird ernsthaft behaupten, dass sich in der amerikanischen Stadt Atlanta jemals Dinge ereignet hätten, die dem Lauf der Welt eine neue Richtung gaben. Gut, 1996 fanden dort einmal Olympische Sommerspiele statt, und rund 70 Jahre früher, im Jahr 1929, wurde der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King dort geboren.
Es ist also äußerst ungewöhnlich, wenn die Welt aufgeregt nach Atlanta blickt – insbesondere die Finanzwelt. Am vergangenen Dienstag jedoch taten dies die Börsenhändler in New York, Frankfurt und London. Aufmerksam hörten sie einem Mann zu, um den sie sich in normalen Zeiten kaum geschert hätten. Doch Zeiten, in denen die Leitzinsen aller großen Zentralbanken dieser Welt nahe null notieren, sind eben nicht normal. Darum erregte Aufsehen, was Dennis Lockhart, Chef der regionalen Notenbank von Atlanta und Mitglied im Offenmarktausschuss der amerikanischen Notenbank Fed, an diesem Tag sagte. Nur wenn eine „deutliche Verschlechterung“ der wirtschaftlichen Lage Amerikas eintrete, werde die Fed auf ihrer Sitzung im September auf eine Erhöhung des Leitzinses verzichten.
Enorme Sensibilität der Marktakteure
Die Äußerung schlug an den Märkten heftig ein. Der Dollar legte gegenüber dem Euro deutlich zu, gleichzeitig sanken die Aktienkurse an Amerikas Börsen. Seit mehr als einem Jahr diskutieren die Anleger in aller Welt über die Möglichkeit höherer Leitzinsen in den Vereinigten Staaten, doch noch nie hat sich in dieser langen Zeit ein ranghohes Mitglied der Fed so klar dazu geäußert. Nur wenn Janet Yellen, die Präsidentin der Fed, selbst etwas dazu gesagt hätte, wäre der Effekt noch stärker ausgefallen. Die enorme Sensibilität der Marktakteure rührt von einer einfachen Tatsache her: Seit Dezember 2008 hält die Fed den Leitzins nahe null Prozent – das entspricht in der Zeitrechnung der Finanzmärkte einer gefühlten Ewigkeit. Die letzte Zinserhöhung liegt sogar noch länger zurück, sie erfolgte im Jahr 2006. Nun aber sind sich fast alle sicher: Die Zinswende kommt.
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Mehr erfahrenWenn sich nach so langer Zeit die Richtung ändert, wird dies nicht ohne Verwerfungen ablaufen. Zwar glauben die meisten Analysten nicht daran, dass die Turbulenzen groß sein werden. Doch die Erfahrung lehrt: Immer dann, wenn sich an den Finanzmärkten alle einig sind, kommt es meist ganz anders. „Solche Ereignisse erzeugen immer Schwankungen an den Finanzmärkten“, sagt Ulrich Stephan, Chef–Anlagestratege der Deutschen Bank für Privat- und Firmenkunden. Selbst die Anleger im fernen Deutschland tun also gut daran, sich rechtzeitig darauf einzustellen.
Warum aber spricht derzeit so viel dafür, dass die Wende bereits im September stattfinden wird? Es ist neben den offensiven Äußerungen von Notenbanker Lockhart auch eine ganz banale Überlegung, die für den September-Termin spricht: Am 17. September findet die nächste Fed-Sitzung mit anschließender Pressekonferenz statt. Fed-Chefin Janet Yellen wird die historische Zinswende wohl kaum einleiten, ohne diesen Schritt der Weltöffentlichkeit zu erklären. Die übernächste Fed-Sitzung mit Pressekonferenz gibt es aber erst Mitte Dezember.
Nur noch 5,3 Prozent der Amerikaner sind arbeitslos
Auch die beiden Kenngrößen, an denen die Fed ihre Geldpolitik ausrichtet, lassen eine solche Entscheidung erwarten. Die Inflationserwartungen sind zuletzt leicht gestiegen, und der jüngste Bericht vom Arbeitsmarkt enthielt positive Meldungen. Nur noch 5,3 Prozent der Amerikaner sind arbeitslos.
Aber muss die Zinswende zwangsläufig mit Kursausschlägen in der ganzen Welt einhergehen? Amerika ist schließlich weit weg, und der erste Zinsschritt wird voraussichtlich nur 0,25 Prozentpunkte betragen. Ehrlicherweise muss man sagen: Was genau passieren wird, weiß niemand. Doch der amerikanische Leitzins ist der wichtigste Leitzins der Welt. Wenn er sich ändert, ändert sich die Kalkulationsgrundlage für alles: für die Preise von Aktien, Anleihen, Devisen weltweit. Deswegen muss man nun nicht gleich den Teufel an die Wand malen. Aber jeder gute Investor sollte sich der Gefahren bewusst sein, die mit diesen Veränderungen einhergehen.