Gamestop : Ein alter Song, nur mit frischem Beat
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Filiale von Gamestop Bild: Reuters
Was sich um Gamestop abgespielt hat, war im Grunde dieselbe alte Abzocke – auf neuem Niveau.
Als die Sängerin Bella Kaye im vergangenen Sommer ihren Song „Happy Together“ veröffentlichte, werden viele junge Spotify-Hörer gedacht haben: „Toller, neuer Song“. Was sie nicht wissen konnten, ist, dass der Song schon fast 50 Jahre alt ist. Dass sich ein alter Song frisch aufbereitet wie neu anhört, ist nicht auf die Musik beschränkt. Am Aktienmarkt gibt es das auch. Wenn einige Nutzer des Forums Wallstreetbets auf der Plattform Reddit andere dafür gewinnen, eine Aktie wie Gamestop zu kaufen und deren Kurs nach oben zu treiben, so dass sie selbst davon profitieren, tun sie nichts anderes als Generationen von Zockern vor ihnen.
Beispiele gibt es unzählige. Immer sind sie verbunden mit einer überzeugend klingenden, leicht verständlichen Geschichte, die ein schier unerschöpfliches Potential zu versprechen scheint. Ob das nun das Handelsmonopol der South Sea Company im Jahr 1720 war oder die Überwindung des sogenannten „Turbolochs“ durch den Autozulieferer Turbodyne in den neunziger Jahren oder nun Gamestops mögliche Attacke auf Amazon – und natürlich die Shortseller, die Aktien kaufen müssen.
In früheren Zeiten war es noch weit schwieriger, Anleger zu finden, die auf einen solchen Zug aufspringen würden. Lange Zeit musste man dafür Zeitungen und Zeitschriften füttern oder obskure Börsenbriefe ins Leben rufen. Anfang der 2000er Jahre zogen zwielichtige Investoren der australischem Junior Gold Mines durch Deutschland und priesen diese erfolgreich als kommenden Internetwert an. Im Film „Boiler Room“ aus dem Jahr 2000 war für die erfolgreiche Gewinnung von Anlegern noch ein Callcenter vonnöten. Zwar hatte sich das schon in den 90er Jahren geändert, als Internetforen und Chatrooms entstanden: Was wurde nicht alles im Board Neuer Markt beim Online-Broker Consors oder auf wallstreet-online.de verbreitet: lang schon insolvente ehemalige Büromöbelhersteller, die als Biotech-Unternehmen reüssieren sollten, revolutionäre Medikamenten- und Börsenmäntel, die wiederbelebt werden sollen.
Die gewachsene Bedeutung der sozialen Medien und der naiv-selbstverständliche Umgang mit diesen verleiht den alten Songs aber heute noch einmal einen frischeren Beat. Und ähnlich wie heute fast jeder via Spotify oder Youtube für 15 Minuten einen Hit landen kann, wenn er den richtigen Ton trifft, kann das auch jeder, der in einem entsprechenden Forum den richtigen Nerv trifft. Denn die angesprochenen Gruppen sind größer, und die „virale Durchdringung“ erfolgt rascher und intensiver als in der Zeit der Desktop-Computer, die weit weniger in den Alltag integriert waren, wie dies heute mit den Smartphones der Fall ist. Hinzu kommt die Integration der „Neo-Broker“, und dies sorgt dafür, dass auf dem Weg von der emotionalen Ansprache bis zum Aktienkauf weniger Hindernisse liegen als je zuvor – etwa gründliches Nachdenken über die Empfehlungen, die (scheinbar) besser informierte Nutzer geben, und darüber, welche Motive diese tatsächlich antreiben.
Dahinter stecken mag zudem ein stärker gewordener Wunsch, an dem durch boomende Finanzmärkte induzierten Reichtum teilhaben zu wollen – oder auch nur, denen eines auszuwischen, die davon (vermeintlich) am meisten profitieren. Denn wenn sich bei einer jährlichen realen Rendite von 5 Prozent ein Vermögen innerhalb von 15 Jahren verdoppelt, wächst der absolute Abstand zwischen den Vermögen selbst bei gleichem Ertrag zusehends. Daher wachse der Unmut. Dies scheint ein guter Nährboden für den zunehmenden Wunsch nach Veränderung zu sein, nicht nur beim Einzelnen, sondern auch in der Gesellschaft – mit einer wachsenden Bereitschaft, Risiken einzugehen, auch wenn man sich damit selbst (zunächst?) schadet, solange man dem (vermeintlich) Bessergestellten schaden kann. Letztlich also sind die Vorgänge um Gamestop nur eine Coverversion eines alten Songs, mit dem Unterschied, dass diesen heute mehr Menschen schneller mitsingen.