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Historische Finanzkrisen: Niederlande 1637 : Eine Blumenzwiebel für 87.000 Euro

Und noch etwas geschah. Ein Mosaikvirus grassierte in holländischen Gärten und griff auf die Blumen über. Er bewirkte, dass die Tulpen herrlich marmorierte Blütenblätter mit gefransten und gewellten Rändern entwickelten. Waren gewöhnliche Tulpen schon knapp, so waren die infizierten Pflanzen eine echte Rarität. An der Spitze der damals sorgfältig geführten Preistafeln stand die infizierte „Semper Augustus“. Eine wahrhaftige Blumenschönheit, die offenbar die Dämme des gesunden Menschenverstandes endgültig brechen ließ. „An ihren makellos weißen Blütenblättern verlaufen rubinrote, flammende Äderchen, und das Hellblau ihres Kelchgrunds erscheint wie die Spiegelung eines heiteren Frühlingshimmels“, schreibt die Kulturwissenschaftlerin Susanne Heliosch.

Die Begehrlichkeit rief Zwischenhändler auf den Plan, die sich mit Blumenzwiebeln eindeckten, um sie teurer weiterzuverkaufen. Die nächste Stufe war, dass nicht die Blumen selbst gehandelt wurden, sondern die Rechte daran. Die Tulpenzwiebeln blieben in der Erde, die Rechte an ihnen und ihren Abkömmlingen wurden der Gegenstand des Handels. Das war pure Spekulation, konnten die Käufer doch nicht sicher sein, was sie da erworben hatten. Solche Optionen wanderten von Hand zu Hand, manchmal bis zu zehnmal am Tag.

Aussicht auf schnellen Reichtum

Man konnte Geld verdienen, ohne je eine Tulpe in die Hand zu bekommen. Damit Käufer solcher Optionen sich ein Bild machen könnten, beauftragten die Verkäufer Maler, die die Tulpen in schönsten Farben darstellten. En passant stimulierte die Spekulation die holländische Malerei, die im 17. Jahrhundert eine große Blüte erlebte.

Für Normalbürger aber war die Aussicht auf schnellen Reichtum entscheidend. Kein Wissen, kein Grund und Boden und keine harte Arbeit war nötig: Das Einzige, was der Zwischenhändler brauchte, war Startkapital. Selbst Dummheit schadete nicht, solange sich ein größerer Dummkopf fand, der das Gewächs teurer abkaufte. Es war wie ein Wunder aus der Sicht der wenig Betuchten. Um ans Startgeld zu kommen, belasteten normale Bürger ihre Häuser, Werkstätten und veräußerten Hof, Hab und Gut. Die Preise für die raren Knollen erklommen haarsträubende Höhen.

Für eine Tulpe der Sorte „Vizekönig“ ist überliefert, dass der Käufer für sie zwei Fuder Weizen, vier Fuder Roggen, vier fette Ochsen, acht fette Schweine, zwölf fette Schafe, zwei Fässchen Wein, vier Tonnen Bier, 1000 Pfund Käse und obendrauf noch einen Silberpokal, ein Bett und einen Anzug hergab. Für die Semper-Augustus-Zwiebel wurden Quellen zufolge am Höhepunkt der Spekulation einmal 5500 Gulden bezahlt. Es ist schwer, den Wert dieser Geldsumme auf die heutige Zeit zu übertragen. Misst man den Wert am Goldgehalt, käme man auf einen Wert von 8.000 Euro. Der Maler Rembrandt bekam für seine Nachtwache 1600 Gulden.

Gehandelt wurde in Hunderten Spelunken

Der Handel mit Zwiebeln und Zwiebel-Futures lief nicht über die Amsterdamer Börse, die sich damals schon etabliert hatte, sondern in Hunderten Spelunken. Doch schon in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts formalisierte sich der Handel. Gruppen taten sich zu sogenannten Kollegien zusammen und veranstalteten Auktionen nach festen Regeln. Die Preise kletterten stetig bis 1637.

Der Einbruch nahm seinen Anfang in Haarlem bei einer gewöhnlichen Auktion. Zum ersten Mal stellte sich kein noch größerer Dummkopf ein. Ein Händler blieb auf seinen Futures sitzen. Das sprach sich schnell herum. Binnen kurzem brach der Markt komplett zusammen. Keiner wollte kaufen, aber alle verkaufen. Die Gewächse waren am Ende noch nicht einmal ein Hundertstel ihres Höchstpreises Wert.

Immer wenn es teuer wird, rufen Spekulanten nach dem Staat. Das war auch damals so. Die holländischen Städte mussten das Problem lösen. Sie verboten den Terminhandel, und sie untersagten Blumenzüchtern und -Händlern, ihren Streit vor Gericht zu bringen. Es hätte auch wenig gebracht, bei den meisten Händlern war kaum etwas zu holen. Statt dessen wurden überall Schlichtungskommissionen eingesetzt, um das Vertrauen wiederherzustellen. Der Spuk der abenteuerlichen Preise jedenfalls war vorbei.

Wie sehr der Crash der Volkswirtschaft geschadet hat, ist heute nicht ganz leicht zu ermitteln. In Amsterdam hatte nach einer überlieferten Statistik die Zahl der Pleiten zwischen 1635 und 1637 verdoppelt. Doch vor allem Hollands Erfolge im globalen Handel milderten die Folgen der Krise. Und trotz ihrer zunächst zerstörerischen Wirkung gehört die Tulipmania zu den konstruktiven Blasen. Zwei Milliarden Tulpen werden heute jährlich in Holland gezogen. Das Land blüht. Und es gibt sogar eine Tulpe namens „Dow Jones“.

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