Historische Finanzkrisen (3) : Das abrupte Ende der Gründerzeit begann an der Donau
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Der Schwung des jungen Kaiserreichs endete in einwr Finanzkrise Bild: picture-alliance / dpa
Der Gründung des Deutschen Reiches folgte in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine nie zuvor gesehene Welle von Unternehmensgründungen. Vom Investitionsfieber gepackt, ging jegliches Maß verloren.
Wer heute an die Gründerzeit denkt, hat meist die großbürgerlichen Häuser vor Augen, die an einigen Orten in Deutschland Kriege und städtebaulichen Kahlschlag überstanden haben. Die Gebäude sind steinerne Zeugen des Aufschwungs in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts und spiegeln mit ihrer Opulenz den wirtschaftlichen Optimismus dieser Zeit. Von der Krise, die darauf folgte und viele der Hauseigentümer um ihr Vermögen brachte, erzählen die Bauten nichts.

Redakteurin in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Sie entstanden zu einer Zeit, als ein Investitionsfieber das neu gegründete Deutsche Reich gepackt hatte. Zwischen 1871 und 1873 wurden in Deutschland 928 Aktiengesellschaften mit einem Gesamtkapital von 2,78 Milliarden Mark gegründet. In den zwanzig Jahren davor waren hingegen noch nicht einmal 300 gegründet worden.
Metropole Berlin
Das Hauptgewicht der Gründungen lag in der Bergbau-, Maschinenbau- und Eisenbahnindustrie. Die Gründungswelle ging von Berlin aus, dem Sitz des deutschen Kaisers. Die Börse der Reichshauptstadt überflügelte die ehemalige deutsche Hauptbörse in Frankfurt und versorgte die florierende Wirtschaft mit Kapital. Das lag vor allem daran, dass sie im Vergleich zur Frankfurter Börse eine größere Offenheit gegenüber dem neuen Wertpapier Eisenbahnaktie zeigte. Andere Zentren des Aufschwungs lagen in Sachsen, dem Rheinland und Westfalen.
Der einheitliche Wirtschaftsraum, der mit der Reichsgründung geschaffen wurde, begünstigte Unternehmensgründungen. Zudem dehnte sich das Bankwesen immer stärker aus, denn eine liberale Wirtschaftspolitik ermöglichte eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Banken und Unternehmen. Die Aktienrechtsnovelle vom 11. Juni 1870 spielte eine wichtige Rolle, da sie die Gründung von Aktiengesellschaften und den Aktienhandel erheblich erleichterte. Vor allem die Reichsgründung ließ die Wachstumserwartungen der Zeitgenossen ins Unermessliche steigen.
Im Rausch des neuen Reichs
Zudem beflügelte der Deutsch-Französische Krieg den Aufschwung: Seit Ende des Jahres 1870 nahmen die Investitionen ebenso rapide zu, wie die Nachfrage nach Kriegsmaterial anstieg. Der Sieg und das damit verbundene Ende politischer Unsicherheiten ließen die Marktteilnehmer optimistisch in die Zukunft blicken.
Nach Kriegsende finanzierten die französischen Reparationszahlungen das Wachstum östlich des Rheins. Der politische Wunsch, das neue Reich schuldenfrei antreten zu lassen, veranlasste die Finanzverwaltung, die Kriegsanleihen so schnell wie möglich zu tilgen - vor allem mit dem Geld aus Frankreich. So landeten die Reparationen gleich an den deutschen Börsen, denn die Besitzer von Kriegsanleihen suchten sofort neue Anlagemöglichkeiten. Insgesamt flossen etwa 2,5 bis 3 Milliarden Francs, also etwa 2 bis 2,4 Milliarden Mark, bis zu Beginn der Krise direkt auf den deutschen Kapitalmarkt. Bei einem Nettosozialprodukt von 16 Milliarden Mark hatte das Geld der Kriegsverlierer somit erheblichen Einfluss auf das Geschehen in deutschen Banken und an deutschen Börsen.
Entstehung des modernen Bankenwesens
Es entstanden nicht nur viele Industrieunternehmen, auch viele Banken wurden in der Zeit gegründet. Die Deutsche Bank, die Commerz- und Discontbank sowie die Dresdner Bank sind heute noch aktiv. Doch nicht nur im Deutschen Reich wurde heftig spekuliert, auch in Österreich kam es in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu zahlreichen Neugründungen.
Im Nachbarland ging der Impuls von der Landwirtschaft aus: Das Geld, das mit Rekordernten in Ungarn verdient wurde, wurde in den Eisenbahnbau gesteckt. Der wiederum hatte die Entstehung vieler nachgelagerter Industriebetriebe zur Folge. Auch viel deutsches Geld wurde in Österreich investiert. Etwa eine Milliarde Mark flossen an die Wiener Börse, den wichtigsten Finanzplatz im Habsburgerreich.