Behavioral Finance (4) : Die Angst des Verlierers vor dem Verlust
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Bloß nicht verlieren Bild: Kretzer, Michael
Um Verluste zu vermeiden, würden wir alles tun - sogar Verluste machen. Und versuchen lieber auf Nussschalen statt auf Dampfern ans Ufer zu gelangen. Ein Schnitt ins eigene Renditefleisch.
Als sich der Tag auf der Rennbahn dem Ende neigt, steht unter dem Strich ein Verlust. Noch ein letztes Rennen ist offen - was also tun? Klare Sache: Man riskiert noch einmal ein größeres Sümmchen auf einen Außenseiter. Sollte dieser gewinnen, so hätte man mit einem Schlag alle Verluste ausgebügelt.
Aber würde man auf diesen Außenseiter setzen, wenn man insgesamt im Plus wäre? Warum sollte man den Tagesgewinn mit so einer riskanten Wette gefährden? Der Befund ist bemerkenswert: Der Ausgang der bisherigen Wetten - der Tagesverlust oder -gewinn - hat einen Einfluss auf das Wettverhalten. Liegt man in den Miesen, so geht man aufs Ganze, verbucht man ein Plus, so setzt sich die mentale „Mutter der Porzellankiste“ durch, die Vorsicht.
Wichtig ist nicht zu verlieren
Dieser Befund ist empirisch gut bestätigt: An den Rennbahnen zeigt sich, dass Wetten auf sogenannte Long Shots, also Pferde mit einer geringen Gewinnchance, vor allem am Ende eines Tages abgeschlossen werden; und dass überproportional viel Geld auf Pferde gesetzt wird, deren Gewinnchancen im Vergleich dazu zu gering sind.
Eine Erklärung für dieses Phänomen besteht in dem empirisch gut bestätigten Befund, dass Menschen keine Mühen und Risiken scheuen, um Verluste zu vermeiden, aber sehr vorsichtig werden, wenn Gewinne auf dem Spiel stehen.
Warum auch immer: Der Schmerz, 100 Euro zu verlieren, wiegt für uns offenbar schwerer als die Freude, 100 Euro zu gewinnen - wir hassen Verluste mehr, als wir Gewinne lieben.
Fair ist unfair
Eine kleine Wette illustriert diese Idee. Bei Kopf gewinnen Sie 100 Euro, bei Zahl verlieren Sie 100 Euro. Wahrscheinlichkeitstheoretisch betrachtet ist diese Wette das, was man „fair“ nennt: Würde man sie unendlich oft spielen, so würde man im Durchschnitt weder gewinnen noch verlieren.
Die meisten Menschen akzeptieren eine solche Wette allerdings nicht - ein sicherer Hinweis darauf, dass sie die möglichen Verluste aus diesem Spiel stärker gewichten als die entsprechenden Gewinne.
Gewinne, die mit der gleichen Wahrscheinlichkeit eintreten wie Verluste, reichen nicht aus, um für die drohenden Verluste zu entschädigen. Erhöht man die Wette - beispielsweise 200 Euro Gewinn gegen 100 Euro Verlust -, so steigt die Akzeptanz einer solchen Wette deutlich. Das entspricht auch in etwa den Ergebnissen von Experimenten: Menschen bewerten Verluste etwa doppelt so stark wie Gewinne. Und diese Neigung kann sehr teuer werden.
Der Schnitt ins Renditefleisch
Die wohl bedeutendste Folge dieser Verlustabneigung für Anleger ist der sogenannte Dispositionseffekt: Studien zeigen, dass Anleger dazu neigen, Verliereraktien zu lange zu halten und Gewinneraktien zu früh zu verkaufen. Testen Sie sich selbst: Sie haben zwei Aktien im Portfolio, eine 100 Euro im Plus, eine 100 Euro im Minus, beide sind derzeit 1000 Euro wert. Jetzt müssen 1000 Euro Bargeld her. Welche Aktie verkaufen sie: den Verlierer oder den Gewinner? Studien zeigen, dass viele Anleger im Zweifelsfall lieber die Gewinneraktie verkaufen - und sich damit ins eigene Renditefleisch schneiden. Genau das ist der Dispositionseffekt.