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Fondsgesellschaften : Die unheimliche Macht der ETF-Fonds

So sinnvoll ETF für den einzelnen Anleger auch sind: Dass sie auch für die Allgemeinheit von Nutzen sind, ist darum längst noch nicht ausgemacht. Bild: F.A.S.

Finanzgiganten wie Blackrock halten Anteile an allen wichtigen Unternehmen der Welt. Das gefährdet den Wettbewerb – und schadet im Zweifel uns allen.

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          Das diesjährige Hauptgutachten der deutschen Monopolkommission ist kein Lesevergnügen: 495 eng bedruckte Seiten, viele Fußnoten. Doch als die Kommission ihr Werk vor gut zwei Wochen der Öffentlichkeit präsentierte, dürfte auch eine Branche genauer hingeschaut haben, die sonst nicht im Fokus der Wettbewerbshüter steht. Erstmals hatte man Fondsgesellschaften ein ganzes Kapitel gewidmet: 14 Seiten zwar nur, was angesichts der Länge des Gesamttextes nach ziemlich wenig klingt. Es sind aber 14 Seiten, die es in sich haben. Denn trotz eines betont nüchternen Tonfalls kommt die Kommission zu dem Schluss: „Die Monopolkommission sieht ein wesentliches wettbewerbsverzerrendes Potential.“

          Dennis Kremer
          Redakteur im Ressort „Wert“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          In Zeiten, in denen vor allem die Banken im Mittelpunkt stehen, mag die Konzentration auf Fondsgesellschaften überraschen. Schließlich betreiben Fondsgesellschaften kein spektakuläres Geschäft: Sie sammeln von Sparern Geld ein und legen es für sie an der Börse an. Das funktioniert mal besser und mal schlechter, hat aber keine weiteren Konsequenzen, sollte man meinen. So sehen das natürlich die Gesellschaften selbst. Sinngemäß sagen sie alle: Unser Geschäft ist lukrativ, darüber hinaus aber völlig harmlos.

          Doch ist das wirklich so? Es macht nachdenklich, dass es gerade nicht die üblichen Weltuntergangspropheten sind, die derzeit Alarm schlagen. Nein, es handelt sich um angesehene Wirtschaftswissenschaftler, die nicht jeden Tag den Weg an die Öffentlichkeit suchen. Den Anfang, zumindest in Deutschland, machten die Wirtschaftsprofessoren Axel Ockenfels und Martin Schmalz mit einem Beitrag für die F.A.Z. („Die stille Gefahr für den Wettbewerb“, F.A.Z. vom 29. Juli 2016). Es folgten Studien anderer europäischer Finanzmarktforscher, in Amerika läuft die Diskussion sogar schon seit längerer Zeit. Durch die Warnung der deutschen Monopolkommission jedoch hat die Sache nun noch mehr Aufmerksamkeit erhalten.

          Stiller Aufstieg zur neuen Macht im Finanzsystem

          Was genau ist aber nun der Vorwurf, der den Fondsgesellschaften gemacht wird? Destilliert man aus den oft nüchtern geschriebenen Forschungspapieren eine Erzählung heraus, ginge diese in etwa so: Heimlich, still und leise sind Fondsgesellschaften zur neuen Macht im Finanzsystem aufgestiegen – mindestens gleichrangig mit Banken und Versicherern, wenn nicht sogar noch einflussreicher. Dieser Einfluss, den sie vor allem über neue Produkte wie börsengehandelte Indexfonds (ETF) gewonnen haben, ist lange Zeit unbemerkt geblieben, hat aber möglicherweise den Wettbewerb in ganzen Branchen zu Teilen ausgehebelt – zum Schaden von Kunden auf der ganzen Welt. So lautet, kurz gesagt, die schwerwiegende Anschuldigung.

          Um sie beurteilen zu können, muss man ein wenig eintauchen in die Welt des Geldes, in der die Fondsgesellschaften so mächtig geworden sind. Wenige Zahlen reichen, um zu verdeutlichen, welche Finanzkraft da entstanden ist. Blackrock, die größte Fondsgesellschaft der Welt, verwaltet unvorstellbare 4900 Milliarden Dollar, soviel wie noch nie. Vanguard, um ein zweites Beispiel zu nennen, ist zwar hierzulande weitgehend unbekannt, aber ein in Amerika äußerst wichtiger Anbieter.

          Keine andere Fondsgesellschaft wächst derzeit mit einem solchen Tempo – allein 2015 flossen Vanguard neue Anlegergelder in Höhe von 236 Milliarden Dollar zu. Einen derartigen Zuwachs in so kurzer Zeit hat es noch nie gegeben. Das viele Geld ist in der ganzen Welt angelegt: in Amerika, in Deutschland, im übrigen Europa, in Schwellenländern. Einfach überall.

          Transformation des Kapitalismus

          Angesichts solcher Zahlen stellte die Bank of England schon 2014 fest, man lebe im Zeitalter des „Asset Management“ (was im Grunde nur ein anderes Wort für Fondsgesellschaften ist). Ein Forscherteam von der Universität Amsterdam geht sogar noch weiter. Zurzeit vollziehe sich eine Transformation des Kapitalismus, lautet ihre These. Der Siegeszug der Fondsgesellschaften habe einen neuen Finanzkapitalismus entstehen lassen, der die Welt verändere.

          Dies sind große Worte, aber viel spricht dafür, dass sie treffend gewählt sind. Denn Blackrock und Vanguard haben ihren Erfolg fast allein einer neuen Entwicklung in der Geldanlage zu verdanken, die in den vergangenen Jahren alle Rekorde gebrochen hat: Beide Fondsgesellschaften verdienen ihr Geld mit der Auflage von Indexfonds, besser bekannt als ETF. Diese Fonds folgen einem eingängigen Prinzip: Sie bilden die Wertentwicklung eines Börsenindex wie des Dax exakt nach. Steigt der Dax beispielsweise um zwei Prozent, gewinnt auch der ETF zwei Prozent hinzu. Verliert der Dax dagegen zwei Prozent, macht auch der ETF zwei Prozent Verlust.

          Für Anleger sind solche Fonds nicht nur deswegen eine gute Sache, weil jeder ihre Funktionsweise sofort versteht. Sondern auch, weil sie in der Regel nur wenig Gebühren kosten und überdies einer Erkenntnis Rechnung tragen, die die Menschheit dem Ökonomie-Nobelpreisträger Eugene Fama zu verdanken hat: Kein Fondsmanager kann auf Dauer eine bessere Wertentwicklung erreichen als der Aktienmarkt als ganzes. All dies hat dazu geführt, dass Anleger soviel Geld in ETF investieren wie noch nie: Gewaltige 3300 Milliarden Dollar sind es zurzeit. Und je mehr Geld dort hineinfließt, umso größer werden Blackrock & Co. Schon heute verwaltet Blackrock gut ein Drittel aller ETF-Gelder.

          Niemand kommt auf mehr Anteile als Blackrock im Dax

          Um zu begreifen, warum dies möglicherweise ein Problem ist, muss man wissen, was genau die Fondsgesellschaften mit dem Geld der Anleger machen. Leicht vereinfacht, investieren sie es in alle Aktien der Börsenbarometer, die sie mit ihren jeweiligen Fonds abbilden möchten. Ein Dax-ETF zum Beispiel kauft die Aktien aller 30 Dax-Konzerne im Verhältnis ihres aktuellen Börsenwertes und passt dieses Verhältnis an, wenn sich der Börsenwert ändert. Fließt frisches Geld von neuen Investoren in den Fonds, kauft er noch mehr Dax-Aktien.

          Dieses Vorgehen hat dazu geführt, dass die großen ETF-Anbieter substantielle Anteile an allen wichtigen Unternehmen der Welt besitzen. Besonders eindrücklich zeigt sich dies anhand des wichtigsten amerikanischen Börsenindex, des S&P 500: Ob Blackrock, Vanguard oder der hierzulande ebenfalls wenig bekannte Vermögensverwalter State Street – zusammengenommen sind die drei Gesellschaften schon bei 90 Prozent der Firmen im S&P 500 der größte Anteilseigner. Im Dax hat schon Blackrock alleine hohes Gewicht: An allen Dax-Konzernen zusammengenommen hält die Fondsgesellschaft fünf Prozent. Kein anderer Aktionär, kein Pensionsfonds und kein Vermögensverwalter, kommt auf mehr Anteile.

          Die Befürchtung der Ökonomen ist nun: Da die Fondsgesellschaften über ihre verschiedenen ETF mitunter an allen wichtigen Unternehmen einer Branche beteiligt sind, haben sie ein anderes Interesse als Aktionäre, die nur Anteile an einer Firma halten. Ein normaler Anteilseigner wäre üblicherweise glücklich damit, wenn diese eine Firma den höchstmöglichen Gewinn erzielt – selbstverständlich auch dann, wenn dies zulasten anderer Firmen der gleichen Branche geht.

          Da die Fondsgesellschaften aber an allen Unternehmen der Branche beteiligt sind, müssten sie eigentlich ein Interesse daran haben, dass es allen Firmen gut geht. Dies funktioniert, so folgern die Ökonomen, aber nur, wenn die Unternehmen nicht in den härtesten Wettbewerb miteinander treten, sondern sich gegenseitig höhere Preise zugestehen. Wer dann leidet, steht aber auch fest: Es sind die Kunden, die zu hohe Preise zahlen. Also im Zweifel wir alle.

          Wettbewerbsdruck ist noch aus einem weiteren Grund mit ETF geringer

          Das Fatale an dieser Konstellation ist, dass Absprachen zwischen den einzelnen Fondsgesellschaften und den Unternehmen gar nicht nötig sind, um das unerwünschte Resultat für die Kunden herbeizuführen. Denn da die Manager der Unternehmen ja um diese Eigentümerstruktur wissen, kann es sein, dass sie von vornherein weniger aggressiv gegenüber Konkurrenten auftreten.Und aus dem gleichen Interesse heraus werden die Fondsgesellschaften sie dazu auch nicht ermuntern. Es passt an dieser Stelle, dass ETF-Investoren oft als passive Anleger bezeichnet werden. „Wir stehen vor einem Problem struktureller Natur“, sagt Wirtschaftswissenschaftler Ockenfels.

          Der Wettbewerbsdruck ist noch aus einem weiteren Grund geringer, wenn ETF im Spiel sind. Anders als traditionelle Fonds dürfen sie eine Aktie ja selbst dann nicht verkaufen, wenn sie mit deren Wertentwicklung unzufrieden sind. Denn per definitionem müssen die ETF sich an allen Firmen beteiligen, die zu einem Börsenindex dazugehören. Damit fehlt ihnen ein klassisches Druckmittel: Der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist so weniger in Gefahr, durch fallende Aktienkurse unter Druck zu geraten. Er muss sich höchstens dann Sorgen machen, wenn seine Firma einen Börsenindex aus welchen Gründen auch immer verlassen muss. Denn dann müssen die ETF ihre Anteile verkaufen.

          Es gibt allerdings auch ein Gegenargument gegen die Annahme, dass Fondsgesellschaften an Wettbewerb eigentlich kein Interesse haben dürften. Lässt ein Unternehmen alle Konkurrenten so weit hinter sich, dass es alleine für einen höheren Anstieg des Index sorgt als zuvor alle anderen zusammen, ist dies im Interesse der Fonds. Denn letztlich ist es ja ihr Ziel, dass der Börsenindex insgesamt sich vorteilhaft entwickelt – in welcher Form die einzelnen Unternehmen des Index dazu beitragen, kann den Fonds dabei egal sein. Darum heißt es bei Blackrock: „Die Sorgen der ökonomischen Studien teilen wir nicht. Unsere Kunden haben uns Geld anvertraut, damit wir es in einen Index investieren, und nicht, damit wir für sie aktive Anlageentscheidungen treffen.“

          Die neuen Bedenken gegenüber den ETF lassen sich damit alleine noch nicht ausräumen. Zumal die Welt der Indexfonds eine besondere Pointe parat hält. Da die Gesellschaften oft selbst an der Börse notieren, sind andere Indexfonds dazu verpflichtet, sich an ihnen zu beteiligen. Zu den wichtigsten Anteilseignern von Blackrock zählen State Street und Vanguard. Auch das dürfte aus Sicht von Wettbewerbsbehörden nicht gerade eine optimale Konstellation ein.

          So sinnvoll ETF für den einzelnen Anleger auch sind: Dass sie auch für die Allgemeinheit von Nutzen sind, ist darum längst noch nicht ausgemacht.

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