Konjunktursorgen : An der Börse wächst die Angst
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An der Börse in der Wall Street wachsen die Sorgen vor einer möglichen konjunkturellen Abkühlung in den Vereinigten Staaten. Bild: dpa
Politische Risiken und schrumpfende Unternehmensgewinne – die Sorge steigt: Beides könnte für anhaltende Schwankungen an den amerikanischen Aktienmärkten sorgen.
An der Wall Street wachsen die Sorgen vor einer möglichen konjunkturellen Abkühlung in den Vereinigten Staaten. Nach insgesamt leichten Kursgewinnen in einem von zeitweilig starken Schwankungen geprägten dritten Quartal starteten amerikanische Aktien mit deutlichen Verlusten in das Schlussviertel des Jahres. Der breitgefasste amerikanische Aktienindex S&P 500 sackte in den ersten beiden Handelstagen des Oktobers um insgesamt 3 Prozent ab. Schlechte Zahlen aus dem verarbeitenden Gewerbe und überraschend schwache Arbeitsmarktdaten belasteten die Kurse am Dienstag und Mittwoch.
Auch an den europäischen Börsen hat sich die Stimmung eingetrübt. Der Dax war am Mittwoch mit einem Minus von 2,8 Prozent erstmals seit einem Monat wieder unter die Marke von 12.000 Punkten gerutscht und hatte mit 11.925 Punkten geschlossen. „Es fühlt sich dieser Tage an, als ob eins zum anderen kommt“, kommentierte David Lafferty, der die Marktstrategie des Wertpapierhauses Natixis verantwortet. Am Donnerstag starteten die Kurse mit Verlusten in den Handel.
Die heftigen Kursverluste überraschten, weil sich die amerikanischen Aktienmärkte in diesem Jahr trotz des schwelenden Handelskonflikts zwischen den Vereinigten Staaten und China sowie rückläufiger Unternehmensgewinne insgesamt positiv entwickelt hatten. Der S&P 500 liegt trotz der jüngsten Verluste im Vergleich zu Anfang Januar weiter um rund 15 Prozent im Plus – auch gestützt von den jüngsten Leitzinssenkungen der amerikanischen Notenbank.
Die Federal Reserve erwartet weiterhin moderates Wirtschaftswachstum, reagierte mit den Zinssenkungen aber auf die Risiken eines nachgebenden Wachstums der Weltwirtschaft sowie negativer Auswirkungen des Handelskonflikts. Aktienkurse reagieren in der Regel positiv auf fallende Zinsen. Unternehmen können sich damit günstiger finanzieren, und aus Sicht von Anlegern sind Anleihen mit niedrigen Renditen im Vergleich zu Aktien weniger attraktiv. Gleichwohl waren amerikanische Staatsanleihen zuletzt stark gefragt, weil Anleger angesichts der starken Kursschwankungen extrem sichere Wertpapiere vorzogen.
„Noch nie schien jeden Tag so viel von den politischen Entwicklungen abzuhängen“
Im Zentrum des Interesses werden im Oktober die für Mitte des Monats angesetzten Handelsgespräche zwischen Amerika und China sowie die Bilanzsaison für das dritte Quartal stehen – was für anhaltende Volatilität sorgen dürfte. „Noch nie schien jeden Tag so viel von den politischen Entwicklungen abzuhängen“, sagte Brent Schutte, Investmentstratege der Fondsgesellschaft Northwestern Mutual Wealth Management. „Es gibt ständige Ungewissheit.“ Auch Nachrichten aus dem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf haben nach Einschätzung von Aktienhändlern am Mittwoch die Kurse nach unten geschickt.
Der demokratische Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders hat seine Wahlkampagne aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend ausgesetzt. Sollte Sanders aus dem Vorwahlkampf der Demokraten ausscheiden, dürften viele seiner Anhänger zur Konkurrentin Elizabeth Warren wechseln. Die Senatorin gilt als scharfe Kritikerin der Finanzbranche und hatte in Umfragen zuletzt deutlich auf den bisherigen Spitzenkandidaten Joe Biden aufgeholt. „Der Markt unterschätzt Warrens Fähigkeit, die Nominierung der Demokraten und auch die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen“, hieß es in einem Bericht der Investmentbank Raymond James.
Warnungen vor schwächeren Gewinnen
Für die Bilanzsaison kalkulieren Analysten derzeit mit weiter nachgebenden Unternehmensgewinnen. Nach Angaben des Informationsdienstes Factset rechnen die Analysten für die im S&P 500 abgebildeten Aktiengesellschaften im dritten Quartal mit einem Gewinnrückgang um 3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das wäre bereits das dritte Jahresviertel in Folge mit schrumpfenden Gewinnen. Die Entwicklung der Unternehmensgewinne ist ein entscheidender Faktor für den langfristigen Trend der Aktienkurse.
In der Regel übertreffen die Konzerne ihre Erwartungen, weil sie vor der Bilanzsaison gerne tiefstapeln, um die Prognosen nicht zu verfehlen. Für das dritte Quartal sind die Warnungen vor schwächeren Gewinnen aber häufiger als üblich. Von den 113 S&P-500-Konzernen, die ihre Aktionäre vor der Bilanzsaison über veränderte Prognosen informiert haben, sprachen 73 Prozent solche Warnungen aus. „Das liegt über dem Fünfjahresdurchschnitt von 70 Prozent“, heißt es von Factset. Am deutlichsten reduzierten Unternehmen aus konjunktursensiblen Wirtschaftsfeldern ihre Prognosen: Energieproduzenten wie Exxon Mobil, Grundstoffhersteller wie International Paper, Technologiekonzerne wie Micron Technology und zyklische Konsumwerte wie Amazon und Ford.
An der Wall Street wird der Trend mit Argusaugen beobachtet. Insbesondere die Konsumtitel stehen im Mittelpunkt, weil die amerikanische Wirtschaft zu zwei Dritteln vom Konsum abhängt. Im vierten Quartal kommt auch die für den Einzelhandel entscheidende Weihnachtssaison ins Spiel. „Bis jetzt war der Verbraucher ein Lichtblick“, sagt Shawn Snyder, Investmentstratege in der privaten Vermögensverwaltung der Citigroup. Aber auch in diesem Segment finden sich erste Zeichen von Schwäche. Die Verbraucherausgaben lassen nach und waren im August nach offiziellen Angaben unerwartet schwach nur um 0,1 Prozent gestiegen.