Veränderte Märkte : Die unterschätzte Änderung des Risikos
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Negativzinsen und passive Investments haben die Risiken verändert. Bild: Picture-Alliance
Risikomanager warnen: Etablierte Mechanismen zur Beherrschung funktionieren nicht mehr wie früher. Sie warnen vor auf Dauer unruhigen Zeiten.
Geldanlage, besonders in Aktien, ist mit Risiko verbunden. Für professionelle Anleger ist es neben der Rendite die Steuerung des Risikos von hoher Bedeutung. Standardmäßig beruht diese auf dem Value-at-Risk-Prinzip oder der Absicherungsstrategie CPPI. Dabei wird im Grunde einfach zwischen sogenannten risikobehafteten Anlagen (Aktien) und risikolosen Anlagen (Anleihen) umgeschichtet. Zum Standard wurde das in den früheren Neunzigern, danach verlor sich im Zuge der lang anhaltenden Haussen das Interesse daran.
Für Ivan Mlinaric, Geschäftsführer des Risikomanagers Quant Capital, ist das bedenklich. „Diese Modelle beruhen auf überholten Voraussetzungen“, sagt er. „Die Märkte haben sich strukturell verändert und funktionieren heute anders als noch vor gut zehn Jahren.“ Viele der gängigen Ansätze bauten auf die Existenz von risikoarmen Vermögenswerten mit einer laufenden Verzinsung. Aber die gebe es nicht mehr.
Mlinaric ist mit dieser Warnung nicht allein. Schon 2017 wiesen die Risiko-Spezialisten Victor Bemmann und David Spital, von der Deutsche Asset Management (heute DWS) in einer Untersuchung daraufhin, dass durch negative Geldmarktzinsen die impliziten Sicherungskosten angestiegen seien. So trügen Anleihen weniger zum Ertrag eines Portfolios bei und dass mache Sicherungsmaßnahmen häufiger notwendig. Zudem sei Kasse negativ verzinst. Die liefere im Sicherungsfall nicht nur keinen positiven Beitrag zum Risikobudget, sondern falle diesem gar zur Last. Seitdem hat sich die Lage verschärft, denn viele Anleihen haben mittlerweile ebenfalls negative Renditen.
Aber es sind nicht die Negativzinsen alleine, meint Mlinaric. „In den Siebziger und Achtziger Jahren standen Aktienanleger in der überwältigenden Mehrheit lediglich auf der Käuferseite. Es gab kaum Hedgefonds und im wesentlichen waren Marktbewegungen vom Konjunkturzyklus abhängig.“ So habe man nur die daraus resultierenden mittelfristigen Wellenbewegungen absichern müssen. Auch die Annahme, Investoren verhielten sich anti-zyklisch treffe so nicht mehr zu. „Mit dem Siegeszug von passiven und quantitativen Anlagestrategien sind die Investoren zu großen Teilen pro-zyklisch geworden“, sagt der Risikomanager. Bis etwa 2008 habe es noch natürliche Gegengewichte gegeben, heute liefen alle in dieselbe Richtung.
Volatilität ist nicht mehr das Ergebnis
Auch die Rolle der Volatilität habe sich seitdem geändert. Sie sei nicht mehr nur Ergebnis von Marktbewegungen, sondern mittlerweile ein Input-Faktor von Anlagestrategien. Nicht besser mache es die Risikosteuerung, wo sie kurzfristig reagiere. Denn die sei genauso prozyklisch. Verkauft werde, sobald das Risiko für ein Portfolio zu groß werde, also fast immer dann, wenn die Kurse schon fielen. „Dadurch steigt die Volatilität und das zieht weitere Maßnahmen der Risikosteuerung nach sich.“ Obendrein, schrieben schon Bemmann und Spital, seien viele Anleger wegen der niedrigen Zinsen offensiver und renditeorientierter aufgestellt und die Portfolien selbst volatiler.
Im Ergebnis, sagt Mlinaric, stünden Anleger vor einer anderen Gefahrenlage. Krisen bauten sich nicht mehr allmählich auf, sondern kämen jetzt und künftig jäh. Man habe nicht mehr Monate Zeit, um zu reagieren. „Die Gefährdung kommt durch technische Effekte mit abrisskantenartigen Korrekturen.“
Risikomanagement müsse man nicht mehr auf 20 Jahre planen, sondern auf drei Monate, meint Mlinaric. Wer im Oktober 2018 auf zwei ungewöhnlich volatile Tage im S&P-500 reagiert habe, der habe eine Korrektur von gut 15 Prozent vermeiden können. Der Nachteil des schnellen Reagierens seien zum einen die Kosten und zum anderen, dass die Märkte dadurch noch volatiler würden. „Es geht darum, wer am schnellsten reagiert. Im Endeffekt steigt dann die Volatilität der Volatilität. Wir haben in den vergangenen Jahren immer öfter kurzfristige, scharfe Korrekturen gesehen.“
Aber diese bleiben eben unter dem Radar des typischen Beobachters. Das habe insgesamt zu Selbstzufriedenheit und dem Ausblenden von Risiken geführt, insgesamt zum Fehlen von langfristigem Denken. Ob man die Abrisskanten denn nicht einfach ignorieren könne? „Das kann man natürlich tun“, sagt Mlinaric. „Aber die Frage, die sich jeder Vermögensverwalter und Anleger stellen muss, ist ob er sich das leisten kann. Denn was passiert, wenn es nicht bei einer Korrektur bleibt, es also nicht zu einer V-förmigen Erholung kommt?“