Türkischer Staatsfonds : Erdogans langer Arm in die Wirtschaft
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Hoch hinaus: Fast die Hälfte der Fluggesellschaft gehört dem Staatsfonds. Bild: dpa
Der Fonds, der vom türkischen Präsidenten und seinem Schwiegersohn kontrolliert wird, ist gut in heimischen Aktiengesellschaften investiert. In der Corona-Krise hat die Politisierung eine neue Stufe erreicht.
Die Istanbuler Börse hat Corona einstweilen hinter sich gelassen. In der kräftigsten Börsenrally seit 1988, so hat die Wirtschaftsagentur Bloomberg nachgerechnet, habe der wichtige Index der größten 100 Werte an der Börse Istanbul, der BIST 100, zu Wochenbeginn seine seit Jahresbeginn eingefahren Verluste wieder wettgemacht. Seit dem Tief am 23. März sei der Index um 36 Prozent gestiegen und habe andere Aktienindizes wie den MSCI Emerging Markets oder Stoxx Europe 600 hinter sich gelassen. Das begeistert nicht nur heimische Anleger, die wegen Negativzinsen und mangelnder Anlagemöglichkeiten ihr Geld an die Börse tragen. Auch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wird es freuen.
Denn der von ihm und seinem Schwiegersohn, Finanzminister Berat Albayrak, kontrollierte Türkische Staatsfonds ist gut in heimischen Aktiengesellschaften investiert: Er hält knapp 7 Prozent an Türk Telekom, 36 Prozent an der VakifBank, einer der größten türkischen Banken, 49 Prozent an Turkish Airlines und volle 100 Prozent am größten Teeproduzenten des Landes, Caykur.
Politische Zeichen überall
20 Unternehmen sind es – bisher. Demnächst kommt die Mehrheit an dem Mobilnetzbetreiber Turkcell hinzu. Nach langem Streit verkauft die schwedische Telia ihren 26-Prozent-Anteil für 530 Millionen Dollar. Die Börse Istanbul gehört mit 90 Prozent auch zum Club, weshalb es Erdogan Ende 2019 nicht schwerfiel, den aus amerikanischer Haft entlassenen Banker Hakan Atilla zu deren Chef zu machen. Politische Zeichen überall. Atilla war wegen Verstoßes gegen die amerikanischen Iran-Sanktionen zu 32 Monaten Haft verurteilt worden.
Wie viele Länder hat auch die Türkei einen Staatsfonds. Am Dienstag bewertete das amerikanische Sovereign Wealth Fund Institute sein Vermögen mit 222 Milliarden Dollar. Er lag damit auf Platz 14 von 93. Doch ist der Fonds schwer zu vergleichen, er spielt in seiner eigenen Liga.
Anders als die Vorzeigestaaten mit „Sovereign Wealth Funds“ wie Norwegen, Abu Dhabi, Saudi-Arabien oder Singapur erwirtschaftet die Türkei keinen Überschuss durch Exporte wie zum Beispiel Öl und Gas im Staatshaushalt oder in der Leistungsbilanz, den sie in einem Staatsfonds „für schlechte Zeiten“ oder künftige Generationen vor allem im Ausland investieren könnte. Im Gegenteil. Die Türkei bilanziert sogar regelmäßig ein Defizit in der Leistungsbilanz – und investiert zu Hause.
Vor dem Hintergrund analysiert Gunter Deuber von der Raiffeisenbank International in Wien: „Insofern scheinen die Aktivitäten des Türkischen Staatsfonds eher direkter innen- und wirtschaftspolitischer Natur zu sein.“ Schon die Geschichte spricht für diese These: Gegründet worden war der Fonds 2016, nach dem gescheiterte Putsch gegen Erdogan. Damals wurden Staatsbeteiligungen in den Fonds überführt, die bis dato das Finanzministerium auch zum Zwecke der Privatisierung gehalten hatte. Leben sollte der Fonds von den Einnahmen aus dem ihm ebenfalls zugeschlagenen Lizenzverkauf der Staatslotterie und Dividenden.
2018, Erdogan hatte soeben die auf ihn als Präsidenten neu zugeschnittene Verfassung verabschieden lassen, warf er das Management des Fonds hinaus, holte einen neuen Geschäftsführer, setzte sich und seinen Schwiegersohn, den Finanzminister, an die Spitze des Kontrollrates.
Der Fonds mit seinem kurzen Draht zur Staatsführung verfügt über eine Reihe von Vorzügen. Dazu gehören Ausnahmen in der Regulierung des Kapitalmarktes, der Privatisierung, des Wettbewerbs und der öffentlichen Beschaffung, wie die Ratingagentur Fitch hervorhebt. Von der Zahlung von Unternehmensteuern und Abgaben ist er auch befreit.
Eine Gesetzesänderung Mitte April hat seinen Aktionsradius noch einmal deutlich erweitert. Seither kann der Fonds auch in Not geratene Unternehmen erwerben oder stützen. Kritik aus der oppositionellen Partei CHP, der Staatsfonds entwickle sich „in Richtung eines Parallelstaates“, lässt Erdogan offenkundig kalt. Eine Woche nach dem Parlamentsbeschluss legten Versicherungsaktien bis zu 10 Prozent zu, nachdem der Fonds das Versicherungs- und Pensionsfondsgeschäft staatlicher Banken für 938 Millionen Dollar übernommen hatte – zum Zwecke einer Konsolidierung, wie es hieß. Mitte Mai, die Staatswährung Lira taumelte gerade einem neuen Tiefstand entgegen, kam dann eine neue Stützaktion vom Fonds. Umgerechnet 3 Milliarden Dollar flossen in Ziraat Bank, Halkbank und Vakif-Bank – womit der Staatsfonds auch Aktionär des zuletzt genannten Instituts wurde.
„Viele Fragen offen“
Dennis Shen, der für die Ratingagentur Scope die Türkei beobachtet, kritisiert eine Vermischung unterschiedlichster Ziele in der Politik des Fonds: „Einige sind wirtschaftlich und profitorientiert, andere zeigen genau in die andere Richtung, wenn Unternehmen unterstützt werden, die wirtschaftlich eine schlechte Figur abgeben.“ Ob das gut oder schlecht sei, will Shen nicht bewerten. Es seien „viele Fragen offen“. Scope bewertete die Türkei wie Fitch mit einem BB-, geeignet also nur für sehr risikoorientierte Investoren.
Für Deuber vom RBI sieht es so aus, als wolle der Staat zunehmend Einfluss auf die Wirtschaft der Türkei erlangen „und auch notwendige Anpassungen und Strukturreformen aufschieben“. Er weist darauf hin, dass der Fonds „gerade auch in die staatlichen Banken investiert, die den Devisenmarkt künstlich stützen“.
Im vergangen Jahr hatte der Fonds erstmals an den internationale Kapitalmärkten eine Euroanleihe begeben. Eine weitere Anleihe steht nach Berichten von Finanzagenturen kurz bevor. Erdogan soll das Geld schließlich nicht ausgehen.