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Geldpolitik der EZB : Negativer Leitzins fördert die Kreditvergabe

Kontroverse Geldpolitik der EZB: Wie groß ist der Schaden wirklich? Bild: dpa

Die Europäische Zentralbank hält auch weiterhin an ihrer kontroversen Geldpolitik fest. Nun zeigen Studien, dass in den ersten Jahren der Schaden für Banken überschaubar bleibt.

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          Das erste Land, das einen negativen Leitzins einführte, war im Juli 2012 die Nationalbank in Dänemark. Im Juni 2014 griff die Europäische Zentralbank (EZB) zu diesem Instrument; im Dezember 2014 folgte die Schweizerische Nationalbank und im Februar 2015 die Schwedische Reichsbank. Im Januar 2016 führte die Bank von Japan einen negativen Leitzins ein. Mittlerweile liegen zwei Dutzend Studien über die Folgen dieser unkonventionellen Maßnahme für die Entwicklung der Zinsen, für gesamtwirtschaftliche Folgen und die Auswirkungen für die Rentabilität der Banken vor. Die meisten gelangen zu dem Schluss, dass die Folgen auf absehbare Frist nicht dramatisch sind, aber bei einer längerfristigen Perspektive drohen negative Konsequenzen zu wachsen.

          Gerald Braunberger
          Herausgeber.

          Die aktuellste Untersuchung stammt von zwei Ökonomen aus der EZB, Jens Eisenschmidt und Frank Smets, und sie wurde dieser Tage auf einer Konferenz im fernen Santiago de Chile vorgestellt. Die Autoren räumen ein, dass es nicht leicht ist, die Effekte des negativen Leitzinses zuverlässig zu bestimmen, weil die EZB in der jüngeren Vergangenheit zudem ein Anleihekaufprogramm ins Leben gerufen und den Banken großzügig Kredite angeboten hat. Der negative Leitzins ist ein Element einer generell expansiven Geldpolitik.

          Fast alle kurzfristigen Marktzinssätze sind negativ

          Immerhin lässt sich zeigen, dass nach der Einführung des negativen Einlagenzinses von zunächst minus 0,10 Prozent, der später auf minus 0,40 Prozent gesenkt worden ist, in der Eurozone fast alle kurzfristigen Marktzinssätze ebenfalls negativ geworden sind. Dies gilt für kurzfristige Geldgeschäfte unter Banken und anderen Großanlegern ebenso wie für die Renditen kurzfristiger Staatspapiere. Nicht negativ geworden sind allerdings fast alle Zinssätze auf Bankguthaben von Privatkunden, auch wenn in manchen Häusern für vermögende Privatkunden Gebühren für die Unterhaltung von Einlagen in Rechnung gestellt wurden, die einem negativen Zins ähneln. Insgesamt aber hat die „Nullzinsgrenze“ für die Einlagen von Privatkunden für die Masse der Betroffenen gehalten, und dies ist eine Erfahrung, die sich seit fünf Jahren auch in Dänemark beobachten lässt.

          Die Frage ist, warum diese Barriere so wirksam geblieben ist. Ein Argument lautet, dass für Privatkunden der Abzug von Guthaben und das Horten von Bargeld leichter möglich ist als für Kunden aus Unternehmen und der Finanzwirtschaft. Als die EZB ihren negativen Leitzins einführte, hatten zwar mehrere Häuser aus der Finanzbranche verlauten lassen, sie prüften die Einlagerung größerer Mengen von Gold und Bargeld, aber, soweit bekannt, ist daraus nicht viel geworden.

          Banken und Sparkassen haben meist keinen Grund, ihre Privatkunden durch negative Einlagenzinsen zum Tausch ihrer Guthaben in Bargeld zu verlocken. Denn Kundeneinlagen sind eine in der Regel nicht nur günstige, sondern auch zuverlässige Quelle der Refinanzierung ihres Kreditgeschäfts und ihrer Wertpapieranlagen. In der vergangenen Finanzkrise waren jene Häuser am wenigsten gefährdet, die über hohe Bestände solcher Einlagen verfügten.

          Rentabilität der Banken hat sich verbressert

          Wenn Banken ihre Zinssätze für Kundeneinlagen nicht senken können, liegt die Annahme nahe, dass sie nicht bereit sind, ihre Zinssätze für Kredite an Kunden zu senken, selbst wenn die Geldpolitik ihren Leitzins senkt. Doch dies ist nach der Einführung negativer Leitzinsen in Deutschland nicht geschehen. Wie Eisenschmidt und Smets berichten, sind die Kreditzinsen in Deutschland gesunken – und zwar unabhängig davon, ob die kreditgebende Bank über einen hohen oder einen niedrigen Anteil von Kundeneinlagen verfügte, deren Einlagenzins nicht mehr gesenkt werden konnte. „Die Kreditzinsen der Bank stehen in der Eurozone in einem engen Zusammenhang mit den Leitzinsen, und dies gilt auch nach der Einführung eines negativen Leitzinses“, heißt es in ihrer Arbeit.

          Insgesamt sehen die Autoren bisher keinen sehr nachteiligen Effekt negativer Leitzinsen auf die Gesundheit der Banken, da eine niedrigere Zinsmarge mit einem größeren Kreditvolumen sowie mit günstigen Entwicklungen in anderen Geschäftsbereichen einhergegangen sei. So profitierte ihr Kapitalmarktgeschäft von steigenden Wertpapierkursen.

          Das entspricht ein wenig den Erfahrungen aus Nordeuropa. So hat sich die Rentabilität der Banken in Schweden und Dänemark – zwei Ländern, in denen das Zinsgeschäft ebenfalls eine erhebliche Bedeutung für die Banken besitzt – in den vergangenen Jahren sogar verbessert. Eine Betrachtung des Vorsteuergewinns aus dem laufenden Geschäft im Verhältnis zur Bilanzsumme zeigt für den Zeitraum von 2008 bis 2016 in Schweden einen Anstieg von 0,6 auf 0,9 Prozent. In Dänemark wurden aus minus 0,2 Prozent im gleichen Zeitraum 0,7 Prozent. Die Ursachen der Verbesserung unterscheiden sich: Den Banken in Schweden sind Ertragssteigerungen gelungen, während die Verbesserung der Rentabilität in Dänemark vor allem auf eine Reduzierung der Kosten zurückgeht. Die Frage ist, wie die langfristige Rechnung aussieht. So wurde in Santiago de Chile die Frage aufgeworfen, ob der seit Jahren beobachtbare Anstieg der Wertpapierkurse Ausdruck einer gefährlichen Spekulationsblase ist.

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