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Globale Verschuldung : Tiefer in den roten Zahlen als nach der Finanzkrise

Der globale Schuldenberg ist hoch, aber aus dem Weltall noch nicht sichtbar. Bild: NASA

Mit dem globalen Schuldenberg steigen die Finanzrisiken, warnt der Internationale Währungsfonds. IWF-Direktorin Christine Lagarde nimmt vor allem Amerika ins Gebet. Doch während Amerika sparen muss, soll Deutschland kräftig investieren.

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          Der Internationale Währungsfonds (IWF) hält seine Warnungen vor nahenden Gefahren für die Weltwirtschaft aufrecht. Für den Moment möge der Ausblick strahlend sein, sagte IWF-Direktorin Christine Lagarde am Donnerstag in Washington. „Wir sehen aber mehr Wolken am Horizont als im Oktober.“ Der globale Schuldenstand sei auf einem Allzeithoch, das mache auch die Finanzmärkte verletzlich, sagte Lagarde. „Bei allem Respekt, die Vereinigten Staaten sollten ihr Defizit reduzieren und es nicht ausweiten.“

          Winand von Petersdorff-Campen
          Wirtschaftskorrespondent in Washington.

          Die globalen Schulden haben demnach ein Rekordniveau erreicht und entsprechen 225 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Darauf hat der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem jetzt veröffentlichten Fiscal Monitor hingewiesen. Damit ist die Welt höher verschuldet als 2009, als die globale Finanzkrise auf den öffentlichen und privaten Haushalten lastete. Der Monitor beleuchtet und aggregiert die Schulden aller Wirtschaftsakteure: der Staaten, der Privatleute und der Unternehmen.

          Der öffentliche Sektor hat seit der Finanzkrise die zentrale Rolle im Anwachsen des Schuldenberges gespielt. Die Zahlen spiegeln den finanziellen Kollaps nach der Krise und die politischen Programme, mit denen die Krisenfolgen gemildert werden sollten. In den Industrieländern hat die öffentliche Verschuldung ein Niveau von 105 Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht. So hoch war sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Schwellenländer nähern sich Werten der achtziger Jahre, als eine Finanzkrise lateinamerikanische Volkswirtschaften beutelte. In der dritten Gruppe, den ärmsten Ländern, klettert die Verschuldung schnell auf ein für Entwicklungsländer hohes Niveau von 40 Prozent. Dort hat sich die Last des Schuldendienstes in Relation zu den Steuereinnahmen verdoppelt.

          Das hohe Niveau der öffentlichen Verschuldung und die Haushaltsdefizite sind nach Einschätzung des IWF besorgniserregend. Die Fachleute befürchten, dass eine plötzliche Straffung der Finanzierungsbedingungen vor allem in hochverschuldeten Schwellenländern zu Kapitalabflüssen führen kann. Das geht aus dem ebenfalls am Mittwoch vorgelegten Bericht zur Finanzstabilität hervor.

          Der Balanceakt der Zentralbanken

          Vor allem ein Risikoszenario haben die Währungshüter im Auge: In den Vereinigten Staaten könnte die Inflation schneller wachsen als erwartet, weil die amerikanische Regierung die nahezu vollbeschäftigte Volkswirtschaft mit einer kräftigen Steuersenkung und einem milliardenschweren Ausgabenprogramm zusätzlich befeuert hat. In dieser Lage könnte die amerikanische Notenbank genötigt sein, die Geldpolitik schneller zu straffen als allgemein prognostiziert. Das könnte die Finanzierungsbedingungen verändern und zu kräftigen Kapitalabflüssen vor allem in Schwellenländern führen und damit dort die Geldbeschaffung verteuern, was die Konjunktur schwächen würde.

          Der IWF weist auf den delikaten Balanceakt hin, den Zentralbanken aktuell zu bewältigen haben: Die extrem lockere Geldpolitik der vergangenen Jahre hat zu historisch günstigen Finanzierungskonditionen für Investoren beigetragen und damit die Volkswirtschaften kurzfristig stimuliert. Das Geld ist so günstig, dass die Investoren auf der Jagd nach Rendite Risiken vernachlässigt haben. Mit der eingeleiteten Normalisierung der Geldpolitik, die in Amerika ihren Anfang genommen hat, sehen sich Investoren veranlasst, ihre Risiken neu zu bewerten. Das könnte in armen Ländern die Refinanzierungsbedingungen schnell verschlechtern.

          Deutschland und Amerika gehen getrennte Wege

          In den ärmsten Ländern verschlechtern sich die Bedingungen aktuell besonders schnell. Jedes fünfte Entwicklungsland hat ein Schuldenniveau im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung oberhalb von 60 Prozent, während vor fünf Jahren noch keines dieser Länder diesen Schwellenwert überstieg. Mehrere Länder haben ein Schuldenlevel erreicht, das in den neunziger Jahren zur großen Entschuldungsinitiative im Rahmen des Pariser Clubs führte. Doch die neuen Schulden der armen Länder stammen anders als damals weniger von Ländern und staatlichen Entwicklungsbanken als von privaten Geldinstituten und von China, das eine Sonderrolle spielt, weil es nicht Mitglied des Clubs ist. Das macht Überlegungen einer neuen Entschuldungsinitiative so kompliziert.

          Der IWF verbindet seine Hinweise auf die Verschuldung mit dem Appell, die Länder sollten die Phase des immer noch kräftigen Wachstums der Weltwirtschaft (knapp 4 Prozent) nutzen, um Finanzpuffer für schlechte Zeiten anzulegen. Zwei Länder spielen in den Darlegungen des Fonds eine Sonderrolle: Deutschland und die Vereinigten Staaten. Die Staatsverschuldung hierzulande schrumpft von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung in den kommenden fünf Jahren auf 42,4 Prozent der Wirtschaftsleistung, ein Rekordwert unter den Industrienationen.

          Die Vereinigten Staaten dagegen nähern sich italienischen Verhältnissen: Ihr Schuldenniveau steigt von 108 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt auf 117 Prozent im Jahr 2023. Auf dem Niveau sieht der Fonds auch Italien ankommen. Entsprechend hat er Ratschläge an Deutschland und Amerika. Deutschland solle seinen fiskalischen Spielraum für Investitionen in den Internetausbau, die Kinderbetreuung und die Infrastruktur nutzen. Amerika müsse sparen.

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