EZB-Zinssitzung : Lagarde: Geldpolitik aus der Quarantäne
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Christine Lagarde ist an Corona erkrankt - trotzdem hat sie die EZB-Pressekonferenz zur Zinspolitik abgehalten. Für den Notfall stand der Vizepräsident bereit. Bild: AP
Die EZB-Präsidentin ist an Corona erkrankt. Trotzdem kündigt sie in einer Onlinekonferenz das Ende der Nettoanleihekäufe der Notenbank im dritten Quartal an - und Zinserhöhungen einige Zeit danach. Der Dax legt zu, der Euro verliert.
Die Europäische Zentralbank lässt den Zeitpunkt für Zinserhöhungen weiter offen: EZB-Präsidentin Christine Lagarde kündigte nach der April-Sitzung des EZB-Rates an, dass die Nettoanleihekäufe der Notenbank im dritten Quartal beendet werden sollten. Bislang war das etwas vager formuliert. „Einige Zeit danach“ sollten Zinserhöhungen folgen. Das könne bedeuten, eine Woche danach oder auch Monate später, sagte Lagarde. Sie bekräftigte aber, auf eine Normalisierung der Geldpolitik zuzusteuern.
Pressekonferenz trotz Corona-Erkrankung
Die EZB-Präsidentin ist an Corona erkrankt und in Quarantäne. Gleichwohl hielt sie die Pressekonferenz wie geplant ab, als Onlinekonferenz aus dem Homeoffice in Frankfurt. Vorsichtshalber stand EZB-Vizepräsident Luis de Guindos bereit, um einzuspringen, falls ihre Stimme versagen sollte, wie Lagarde selbst ankündigte.
Die EZB-Präsidentin hob hervor, der Angriff Russland auf die Ukraine, eine „humanitäre Katastrophe“, habe auch ökonomisch einiges verändert. „Der Krieg belastet bereits jetzt die Zuversicht von Unternehmen und Verbrauchern, auch durch die Unsicherheit, die er mit sich bringt“, sagte Lagarde. Handelsunterbrechungen führten zu neuen Material-Engpässen. Steigende Energie- und Rohstoffpreise drückten die Nachfrage und hemmten die Produktion: „Die Abwärtsrisiken für die Wachstumsaussichten haben infolge des Krieges in der Ukraine erheblich zugenommen.“ Die EZB-Präsidentin sagte, der Preisauftrieb gewinne an Breite. Die Inflation im Euroraum hatte zuletzt 7,5 Prozent betragen.
Lagarde wies deshalb darauf hin, dass die EZB auf Sicht fahre. „Flexibilität“, „Optionalität“ und „Gradualität“ sind drei Begriffe der Notenbank dafür, dass sie sich geldpolitisch noch nicht so ganz genau festlegen möchte - und sich unterschiedliche Möglichkeiten und ein vorsichtiges Vorgehen vorbehält.
Reihenfolge für Normalisierung soll beibehalten werden
Die neuesten Konjunkturdaten legten nahe, dass man die Nettoanleihekäufe im dritten Quartal beenden könne, sagte Lagarde. Sie erklärte dazu, der genaue Zeitpunkt des Kaufstopps könne früh oder auch spät im dritten Quartal liegen. Die Notenbank hält sich damit eine Zinserhöhung in der zweiten Jahreshälfte offen. Lagarde betonte, die EZB wolle an der geplanten Reihefolge für die Normalisierung der Geldpolitik festhalten: „Die Reihenfolge, auf die wir uns geeinigt haben, ist: Zuerst die Netto-Anleihenkäufe abschließen und einige Zeit danach über die Zinserhöhung und nachfolgende Zinserhöhungen entscheiden."
Eher vorsichtig äußerte Lagarde sich zu den Erwägungen der Notenbank, neue geldpolitische Instrumente zu entwickeln, um gegebenenfalls gegen einen zu starken Anstieg der Anleiherenditen in manchen Euroländern vorzugehen. In der vergangenen Woche hatte es Agenturberichte gegeben, die EZB arbeite an entsprechenden Instrumenten. Lagarde blieb dazu allerdings vage. Sie sagte, die Notenbank habe beim Krisenprogramm PEPP gemerkt, wie wichtig Flexibilität sei, um eine Fragmentierung, also Aufsplitterung des Euroraums zu vermeiden. Sie wolle auch weiter auf Flexibilität setzen.
Situation in Amerika eine andere
Lagarde hob hervor, die Situation im Euroraum sei mit Amerika nicht vergleichbar. „Das hieße Äpfel mit Birnen vergleichen“, sagte die EZB-Präsidentin. Die amerikanische Notenbank Federal Reserve hat ihre Leitzinsen schon um 0,25 Prozentpunkte angehoben, die EZB zaudert noch. „Die Situation in den Vereinigten Staaten unterscheidet sich in viele Punkten, unter anderem hinsichtlich der Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Löhnen“, sagte Lagarde. Die Löhne in Amerika seien schon viel stärker gestiegen als hierzulande. Auch die Auswirkungen des Ukrainekriegs seien natürlich auf den Euroraum stärker als auf die Vereinigten Staaten.
Sparkassenverband und Ökonomen kritisieren angesichts einer Rekordinflation das Festhalten der EZB an ihrer Nullzinspolitik. „Die Inflation im Euroraum klettert in ungekannte Höhen, dem muss die EZB Einhalt gebieten“, sagte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, Helmut Schleweis, nach der Zinsentscheidung. „So entschieden die Notenbanker in den vergangenen Jahren eine drohende Deflation abgewehrt haben, so klar und entschlossen müssen sie nun mit einer restriktiveren Geldpolitik auftreten gegen die Inflation im Euroraum.“ Je länger die EZB die notwendige Zinswende aufschiebe, desto größer werde die Gefahr einer Kettenreaktion aus steigenden Preisen und höheren Lohnforderungen. Ähnlich wird das am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) eingeschätzt. „Jeder Monat des Zauderns fügt der Reputation dieser wichtigen europäischen Institution daher Schaden zu“, sagte ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner äußerte sich kritisch: „Es ist das Mandat der EZB, für stabile Preise zu sorgen. Die EZB kann nicht für wirtschaftliches Wachstum sorgen“, sagte er: „Inflation ist langfristig die größte Gefahr für die Staatsfinanzen und den Wohlstand.“
Der Dax legt zu, der Euro gibt nach
Der deutsche Aktienindex Dax hat nach der Zinsentscheidung seine Kursgewinne etwas ausgebaut. Am Nachmittag stieg der deutsche Leitindex um 0,5 Prozent auf 14.151 Punkten. Weil es erst einmal nicht zu einer unerwarteten Beschleunigung der geldpolitischen Straffung gekommen sei, griffen an der Börse die Anleger wieder zu, hieß es aus dem Handel. Der Euro verlor derweil weiter an Boden. Die Gemeinschaftswährung sackt um 0,6 Prozent auf 1,0823 Dollar ab. Schließlich lässt die Zentralbank die Tür für eine Zinswende zwar weiter offen - allerdings schürte sie keine Hoffnungen auf eine raschere Vorgehensweise.