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20 Jahre Eurobargeld : Erinnerungen an den „Teuro“

20 Jahre Eurobargeld: Geldbündel verschiedener Banknoten Bild: dpa

Vor 20 Jahren wurde das Eurobargeld eingeführt. Die Bundesbank erinnert mit einem Buch an das Jubiläum. Damals hatten die Leute das Gefühl, alles werde teurer. Allerdings blieb die Inflationsrate niedrig – ganz anders als heute.

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          Otmar Issing, der frühere Chefvolkswirt von Bundesbank und Europäischer Zentralbank, erinnert sich noch lebhaft. Damals, kurz nach der Einführung des Eurobargeldes, versuchte er in einem Vortragssaal den Leuten zu erklären, dass die neue Währung, die schnell den Spitznamen „Teuro“ bekommen hatte, in Wirklichkeit ähnlich stabil sei wie die D-Mark. Damals stimmte das: Auch wenn ein Glas Wein in manchen Lokalen auf einmal in Euro so viel kostete wie vorher in D-Mark, so war die Inflation insgesamt eher niedrig. „Ich merkte, die Leute im Publikum glauben mir einfach nicht“, erzählt Issing. „Und vorne in der ersten Reihe saß meine Frau – und ich spürte: Auch meine Frau glaubt mir nicht.“

          Christian Siedenbiedel
          Redakteur in der Wirtschaft.

          Das nahm Issing zum Anlass, später in sein Lehrbuch „Einführung in die Geldtheorie“ einen Abschnitt über die „gefühlte Inflation“ einzubauen: Jenes Phänomen, dass bei stark steigenden Preisen für Waren des alltäglichen Lebens die Wahrnehmung und die amtliche Messung der Inflation weit auseinanderfallen können.

          Neues Buch der Bundesbank

          Heute, 20 Jahre nach der Einführung des Eurobargeldes, ist die Situation eine andere, wie verschiedene Fachleute bei einer Pressekonferenz der Deutschen Bundesbank am Montag in Frankfurt erläuterten. Die Bundesbank würdigt das Währungsjubiläum mit einem Buch „20 Jahre Euro – zur Zukunft unseres Geldes“, herausgegeben von Bundesbankvorstand Johannes Beermann.

          Der Frankfurter Wirtschaftsprofessor Volker Wieland sprach bei der Vorstellung davon, nach vielen Jahren mit einer Inflation von ungefähr 2 Prozent seit Beginn der Währungsunion sei der Euro jetzt in einer „sehr schwierigen Zeit“, was die Kaufkraft betreffe. Die Inflation im Euroraum hatte zuletzt 9,1 Prozent betragen, ein weiterer Anstieg wird erwartet. Zugleich war der Wechselkurs des Euro zum Dollar zuletzt so schwach wie seit langer Zeit nicht mehr.

          Issing erinnerte sich, dass zu Bundesbankzeiten schon eine Inflation von 4,5 Prozent nach der Wiedervereinigung als „unerträglich“ gegolten habe. Und als der Wechselkurs des Euro, der mit 1,18 Dollar gestartet sei, innerhalb von zwei Jahren auf 83 Cent gefallen sei, habe er seine Gesprächspartner im Ausland immer beruhigen müssen, das sei nur vorübergehend so – die EZB sorge schließlich für stabiles Geld.

          „Das jetzige Gemisch ist eine für die EZB nicht einfache Situation“, meinte Issing. Die Glaubwürdigkeit der Notenbank sei auch von dieser Seite bedroht: „Für die EZB ist das nicht ungefährlich.“

          Skeptisch, was baldiges Ende der Inflation betrifft

          Es sei „nicht primär Schuld der EZB“, dass die Inflation jetzt so hoch sei, hob Wieland hervor. Aber es sei ihre Aufgabe, jetzt einen sich selbst verstärkenden Prozess über höhere Inflationserwartungen zu verhindern. Die Vereinigten Staaten seien da schon weiter, die EZB habe noch „einiges zu beweisen“. Viele meinten jetzt, eine mögliche Rezession im Winter werde die Inflation von selbst nach unten bringen, sagte Wieland: „Ich wär da sehr skeptisch.“ Erfahrungen aus den 1970er Jahren in den Vereinigten Staaten hätten gezeigt, dass auch eine Rezession selbst zweistellige Inflationsraten nicht unbedingt verhindere.

          „Der Euro ist ein Spiegel der Zeit“, meinte Bundesbankvorstand Beermann. Er hob die hohe Bedeutung des Eurobargeldes selbst in Zeiten hervor, in denen es im Zahlungsverkehr weniger genutzt, aber zur Wertaufbewahrung stark nachgefragt werde. Antti Heinonen aus Finnland, einer der Mitentwickler der Eurobanknoten, sprach sogar von einer „Rekordnachfrage“ nach Bargeld in vielen Währungsräumen.

          Die auf Geldthemen spezialisierte Wirtschaftspsychologin Julia Pitters berichtete von einem „Bargeld-Reiz“, der bestimmte Belohnungszentren im Gehirn aktiviere – und bei anderen Zahlungsformen bislang nicht beobachtet werde: „Die Menschen werden zielstrebiger – und selbstsüchtiger.“

          Auch mit der Einführung des digitalen Euro werde die EZB das Bargeld nicht abschaffen, versicherte Beermann. Issing nannte als zentrales Argument für Bargeld aus seiner Sicht den Freiheitsspielraum, den sein Besitz eröffne. Der frühere Notenbank-Chefökonom zitierte noch einmal den Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski: „Bargeld ist geprägte – heute müsste man eher sagen gedruckte – Freiheit.“

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