Kein Entlastungspaket der Welt kann verhindern, dass Deutschland durch steigende Energiepreise Wohlstand verlieren wird. Bild: dpa
Entlastungs-Illusionen : Die steigenden Energiepreise machen Deutschland ärmer, das kann niemand ändern
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Menschen mit niedrigem Einkommen nun zu entlasten, das ist Ausdruck von Solidarität. Aber dieses Ziel erreicht man nicht, wenn man versucht, allen Bürgern zu helfen. Ein Gastbeitrag.
Im Herbst drohen Inflationsraten von mehr als 9 Prozent – nicht zuletzt wegen der Gasumlage. Sozialverbände und Politiker fordern, breite Bevölkerungskreise zu entlasten. Dieses Ziel ist zwar edel, aber leider nicht erreichbar. Denn an einem kann man nichts ändern: Der enorme Anstieg der Energiepreise macht Deutschland ärmer. Während wir im vergangenen Jahr für den Nettoimport von Öl und Gas 72 Milliarden Euro ans Ausland überwiesen haben, dürften es in diesem Jahr 150 Milliarden Euro werden.
Der Anstieg der deutschen Energierechnung entspricht gut 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und ist ähnlich hoch wie während der Ölpreiskrisen 1973 und 1979. Dieser Kostenschock macht viele energieintensive Fertigungen unrentabel. Laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags wollen deshalb 16 Prozent der Unternehmen ihre Produktion zurückfahren. Das Güterangebot sinkt.
Für den Staat nicht lösbar
Wenn man in dieser Situation alle Bürger entlasten wollte, müsste der Staat ihnen den Verlust ersetzen, der durch die gestiegenen Energiekosten entstanden ist. Wenn er das täte, bliebe die Kaufkraft der Bürger trotz der explodierten Energiepreise gleich. Eine unveränderte Nachfrage träfe auf ein gesunkenes Güterangebot. Die Preise würden so lange steigen, bis die Kaufkraft der Menschen so weit gefallen ist, dass sie wieder dem gesunkenen Güterangebot entspricht. Am Ende wäre niemand entlastet, nur die Inflation wäre höher.
Dagegen könnte man einwenden, dass eine staatlich erhöhte Nachfrage dazu führt, dass die Unternehmen mehr produzieren. Das gilt aber nur, wenn sie über freie Kapazitäten verfügen, was jedoch nicht der Fall ist.
Stattdessen herrscht ein Arbeitskräftemangel, der schon 40 Prozent aller deutschen Industrieunternehmen zu einer Einschränkung der Produktion zwingt. Sogar 75 Prozent klagen darüber, dass ihre Produktion durch einen Mangel an Vorprodukten behindert wird.
Dabei hilft ein Ausweichen auf Importe nicht weiter. Denn auch bei unseren Handelspartnern gibt es kaum freie Produktionskapazitäten. So sind in den Vereinigten Staaten Arbeitskräfte sehr knapp, auf einen Arbeitslosen kommen fast zwei offene Stellen.
Wenn eine Entlastung aller Bürger wegen hoch ausgelasteter Kapazitäten im In- und Ausland nicht möglich ist, kann die Regierung dennoch einzelne bedürftige Bevölkerungsgruppen auf Kosten der anderen Bürger entlasten. Automatisch geschieht dies weitgehend bei den 3,6 Millionen Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen. Denn hier bezahlt die Bundesagentur für Arbeit nicht nur die Miete, sondern auch die Heizkosten.
Bei den Empfängern von Wohngeld, die ebenfalls wenig verdienen, hat die Regierung Heizkostenzuschüsse beschlossen. Menschen mit niedrigem Einkommen von hohen Energiepreisen zu entlasten, das ist Ausdruck von Solidarität. Aber dieses Ziel erreicht man nicht, wenn man versucht, alle Bürger zu entlasten. Denn die dadurch angefachte Inflation senkt am Ende die Kaufkraft aller, auch die der bedürftigen Menschen.
Jörg Krämer ist Chefvolkswirt der Commerzbank.