Kryptowährungen : Goldrausch in der Schweiz
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Die Schweizer Stadt Zug hat 29 000 Einwohner und 50 Start-ups, die mit Digitalwährungen ihr Glück machen wollen. Bild: Ballyi/Keystone Schweiz/laif
Der Kanton Zug ist ein Dorado für digitale Glücksritter. Hier dreht sich alles um Bitcoin und Blockchain. Wird die Schweiz bald zur „Crypto Nation“?
Die ersten Schritte in der Welthauptstadt des digitalen Goldrauschs sind ernüchternd. Es ist sehr früh am Tag, und den soeben angekommenen Besucher gelüstet nach einem Kaffee. „Sechs Franken dreißig, bitte“, sagt die freundliche Dame im Café Spettacolo am Bahnhof in Zug und schiebt einen Cappuccino im Pappbecher über den Tresen. „Kann ich das auch in Bitcoin bezahlen?“ Irritiertes Lächeln. „Nein, tut mir leid.“ „Aber wir sind hier doch im Crypto Valley, oder?“ „Hmm, ja, vielleicht geht das irgendwann mal.“
Zug ist eine Stadt im gleichnamigen Schweizer Kanton. Sie liegt eine halbe Stunde entfernt von Zürich. Der Kanton hat bisher vor allem durch seine niedrigen Steuersätze von sich reden gemacht. Diese wirken wie ein Magnet: 30.000 Firmen haben dort ihren Sitz. Optisch gereicht das der Gegend nicht zum Vorteil; Zug ist zugepflastert mit drögen Bürogebäuden. Hinter deren Fassaden verbergen sich längst nicht mehr nur Finanzjongleure oder Edelmetallhändler à la Glencore. Zug hat sich auch als Zentrum für Kryptowährungen einen Namen gemacht – und dies mit einer ungewöhnlichen Entscheidung unterfüttert: Als erste öffentliche Behörde überhaupt akzeptiert die Stadtverwaltung Bitcoin als Zahlungsmittel für Gebühren des Einwohnermeldeamts.
Stadt wird zum „Crypto Valley“
Das Angebot ist zwar auf den Gegenwert von 200 Franken beschränkt und wird bisher kaum genutzt. Es hat aber rund um den Globus für Schlagzeilen gesorgt und so bestens als Standortwerbung in eigener Sache funktioniert. In den einschlägigen Kreisen der verschworenen Krypto-Community war indes ein ganz anderer Schritt von Bedeutung: 2014 ließ sich Vitalik Buterin, Erfinder der inzwischen nach Bitcoin zweitgrößten Kryptowährung Ethereum, in Zug nieder. Damit war der Durchbruch zum „Crypto Valley“ geschafft – auch wenn man dort vergeblich nach einem echten Tal sucht. Aber das gibt es im berühmten Silicon Valley in den Vereinigten Staaten schließlich auch nicht.
Ethereum basiert wie Bitcoin auf der sogenannten Blockchain-Technologie. Eine Blockchain ist eine verteilte Datenbank, auf der Transaktionen oder Verträge verschlüsselt und damit fälschungssicher sowie ohne Mitwirkung einer zentralen Instanz (wie einer Bank) gespeichert werden. Buterin ist zwar inzwischen nach Singapur weitergezogen. Aber sein zuvor lanciertes Initial Coin Offering (ICO) war ein sensationeller Erfolg.
Der Begriff ICO lehnt sich an Initial Public Offering (IPO) an, den englischen Begriff für Börsengang. Wenn ein Unternehmen an die Börse geht, muss es strenge Vorgaben erfüllen und die Anleger in einem ausführlichen Prospekt über mögliche Risiken aufklären. ICOs hingegen sind in den meisten Ländern unreguliert und lassen sich daher sehr flott durchführen. Genauso flott kann man sein angelegtes Geld verlieren – oder vervielfachen. Der Verkauf sogenannter Token, einer Art virtueller Gutscheine, und der Handel damit haben sich rasant entwickelt. Nach den Kurseinbrüchen unlängst haben sich die Kryptowährungen wieder etwas erholt. Ethereum hat immer noch eine Marktkapitalisierung von 90 Milliarden Dollar. Bitcoin, der wieder mehr als 10.000 Dollar wert ist, bringt rund 167 Milliarden Dollar auf die Waage.
Über 50 Start-ups aus der Krypto-Welt
Während Kritiker den jüngsten Absturz als Beleg dafür sehen, dass es sich bei dem Phänomen der Kryptowährungen nur um eine gigantische Blase handelt, die über kurz oder lang ganz platzt, bereiten die Pioniere aus dem Kanton Zug die nächsten Geldsammelaktionen vor. Nach einer Studie der Beratungsgesellschaft PWC haben Unternehmen rund um den Globus via ICOs im vergangenen Jahr 4,6 Milliarden Dollar Kapital eingeworben. Davon sei rund eine Milliarde im Crypto Valley gelandet, sagt Oliver Bussmann. Bei dem früheren Innovations- und IT-Chef der Schweizer Großbank UBS laufen die Fäden in Zug zusammen.
Bussmann berät Blockchain-Unternehmer und führt die „Crypto Valley Association“. Dieser Interessenverband hat inzwischen 600 Mitglieder. „Allein in den vergangenen drei Wochen kamen 200 Mitglieder neu hinzu“, erzählt Bussmann, der täglich drei bis fünf Anfragen von Blockchain-Tüftlern aus der ganzen Welt bekommt, die erwägen, sich in Zug anzusiedeln. Jüngst kam eine ganze Delegation chinesischer Interessenten vorbei, die zuvor das Weltwirtschaftsforum in Davos besucht hatten. Bis heute hätten sich mehr als 50 Start-ups aus der Krypto- und Blockchain-Welt im Kanton niedergelassen, sagt Bussmann.
Lokale Behörden helfen bei Lösungsfindung
Was zieht die Mathe-Nerds und Technik-Freaks, die oft hinter der komplizierten und aus ihrer Sicht garantiert disruptiven neuen Blockanordnung stecken, an diesen Ort? Sind es vor allem die niedrigen Unternehmenssteuern von 14,6 Prozent? „Nein“, sagt Bernhard Neidhart, Leiter des Amts für Wirtschaft und Arbeit in Zug, „die Steuern sind nur der Türöffner. Um im Standortwettbewerb zu gewinnen, braucht es viel mehr: hochqualifizierte Arbeitskräfte, internationale Schulen und eine lösungsorientierte Verwaltung.“ Tatsächlich loben die Unternehmer die lokalen Behörden über den grünen Klee. Bei Fragen und Problemen werde unbürokratisch und schnell geholfen, heißt es allenthalben. Selbst für die schwierige steuerliche Behandlung der Krypto-Vermögen gebe es eine Lösung.
Aber der wohl größte Vorteil ist der liberale Regulierungsansatz. Während ICOs in anderen Ländern schon verboten oder erheblich eingeschränkt sind, ist diese Art der Geldbeschaffung in der Schweiz „grundsätzlich aufsichtsrechtlich unreguliert“, teilt die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) mit. Selbst ein Bitcoin-Start-up wie Xapo, das seinen Sitz vom Silicon Valley nach Zug verlegt hatte, musste die zunächst von der Finma geforderte Banklizenz letztlich nicht vorlegen. Nach eingehender Prüfung warnten die Aufseher lediglich, dass sie Xapo weiter beobachten wollten und dass die Geldwäschereibestimmungen eingehalten werden müssten. „Dieser pragmatische Ansatz war befeuernd für die gesamte Blockchain-Szene hier, auch für die Anwendung außerhalb der Kryptowährungen“, sagt der Behördenleiter Neidhart.
Verschärfung der Regeln wird befürwortet
Andererseits hat die Finma öffentlich auch schon vor betrügerischen ICOs gewarnt und einen Anbieter einer selbstentwickelten Scheinkryptowährung aus dem Verkehr gezogen, der Anleger um mehrere Millionen Franken erleichtert hat. „Ich will nicht bestreiten, dass es eine gewisse Gefahr einer Blasenbildung gibt“, gesteht Neidhart ein. Anleger müssten schon genau hinschauen, wem sie ihr Geld anvertrauten und was die Unternehmen damit anstellten. Zugleich heißt Neidhart es gut, dass das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen jüngst eine Arbeitsgruppe zum Thema Blockchain und ICO ins Leben gerufen hat. In Zusammenarbeit mit dem Justizministerium und der Finma will man prüfen, ob und, wenn ja, an welchen Stellen das Finanzmarktrecht vielleicht geändert werden sollte.
Eine behutsame Verschärfung des bestehenden Regelwerks wird sogar von etlichen Unternehmern im Crypto Valley befürwortet. Denn schwarze Schafe beschädigen die Reputation der gesamten Branche und gefährden so eventuell auch die eigenen Finanzierungspläne. Und das wäre der Todesstoß für so manche pfiffige Idee, die sich Unternehmer in Zug auf Basis der Blockchain-Technologie ausgedacht haben.
Funktioniert das Geschäftsmodell?
Ein Beispiel dafür ist Marco Abele. Der 48 Jahre alte Deutsche und frühere Digitalchef der Credit Suisse hat sich nach zwölf Jahren im Bankgeschäft selbständig gemacht und eine Firma namens Tend gegründet. Abele zückt sein Smartphone und zeigt das Foto eines perfekt restaurierten Porsche Speedster aus dem Jahr 1955, Generation James Dean. „Für diesen Wagen suchen wir 20 Miteigentümer“, erläutert er. Wer sich an dem alten Sportflitzer beteiligt, darf ihn auch ein paar Tage im Jahr fahren. Genau darum geht es Abele: Investitionen in Luxusgüter ermöglichen, die neben der Aussicht auf Rendite auch einen starken emotionalen Wert haben. So sollen sich Anleger über seine Plattform künftig an Weingütern in der Toskana (samt Besuchsrecht), Flügeln der Marke Steinway oder an einer Kollektion Schweizer Luxusuhren (mit Tragerecht) beteiligen. Alle Transaktionen und vertraglichen Eigentums- und Nutzungsrechte werden mittels einer Blockchain abgesichert und fälschungssicher dokumentiert.
Zur Finanzierung des Projekts hat Abele ein ICO in Gang gesetzt, das 30 Millionen Franken einspielen soll. Dabei geht er neue Wege: Bei seinen Token handelt es sich um Partizipationsscheine nach Schweizer Recht, die mit einem verbrieften Dividendenanspruch verbunden sind. Wer sie zeichnen will, muss sich zuvor gemäß den Geldwäscherichtlinien identifizieren. Zudem gibt Tend einen Prospekt heraus. Trotz dieser vertrauensbildenden Maßnahmen bleibt die Investition ein Wagnis: Keiner weiß heute, ob das Geschäftsmodell funktioniert.
Immobilien auf der Blockchain managen
Die frisch gegründete Swiss Real Estate AG möchte das Risiko für die Anleger reduzieren, denen sie im April „Swiss Real Coins“ im Wert von 100 Millionen Franken verkaufen will. Mit diesem Geld wollen die Gründer um Brigitte Luginbuehl, eine ehemalige Projektentwicklerin von Jones Lang Lasalle, Gewerbeimmobilien in der Eidgenossenschaft kaufen und verwalten.
„Wir werden die Immobilien auf der Blockchain managen“, erläutert Luginbuehl. Die Mieten sowie alle Transaktionen, Ausgaben für Renovierungen und Leerstände sollen in sogenannten Smart Contracts von Ethereum aufgezeichnet werden. Damit erübrige sich ein aufwendiges Wertgutachten im Fall eines späteren Verkaufs. Die Coins sollen durch die erworbenen Immobilien besichert werden. Wenn sie eines Tages wertlos werden sollten, könnten die Anleger auf einen Verkauf der Immobilien pochen und den Erlös einstreichen.
Vermögensverwaltung ohne Banken
Reto Trinkler hat sein Mathematikstudium an der ETH Zürich abgebrochen, als er von der Blockchain-Technologie erfuhr. Jetzt bastelt der 27 Jahre alte Schweizer als Mitgründer und Chefprogrammierer der Melonport AG an einer Plattform, auf der Fondsmanager günstig Hedgefonds aufsetzen und Anteile davon an Anleger verkaufen können. „In ein paar Jahren brauchen wir im Grunde keine Banken mehr für die Verwaltung unseres Vermögens“, sagt Trinkler. Als er gemeinsam mit seiner Geschäftspartnerin Mona El Isa, ehemals bei Goldman Sachs, eine Spendenaktion für die erste Finanzierungsrunde startete, hatten sie binnen Sekunden 2,5 Millionen Franken beisammen.
Die Spender bekamen sogenannte Melontoken. Noch läuft die Fonds-Plattform nicht. Aber wenn das Netzwerk auf Basis der Blockchain funktioniert, soll es sich über kurz oder lang eigenständig unterhalten. „Wir machen uns selbst überflüssig“, sagt Trinkler und lacht. Um eine Anschlussverwendung muss sich das Rechengenie gewiss keine Gedanken machen. Aber hat er nicht Angst, dass die ganze Krypto-Blase platzen könnte? „Ich glaube an die Technologie. Aber das heißt nicht, dass sie nicht auch überbewertet sein könnte.“
Ein sicherer Handelsplatz soll entstehen
Ob Melon, Ethereum oder Bitcoin – Heinrich Zetlmayer hofft, dass derlei digitale Vermögenswerte künftig über Lykke gehandelt werden. Dabei handelt es sich um einen Handelsplatz, der im Gegensatz zu all den unregulierten und unkontrollierten Krypto-Börsen in der Welt eine Art Gütesiegel der Finanzaufsicht bekommen soll. „Wir haben bei der Finma einen Lizenzantrag eingereicht“, sagt Zetlmayer, der im Verwaltungsrat von Lykke sitzt. Dabei blickt er weit über die Schweiz hinaus: „Wir wollen zu einem der größten sicheren Handelsplätze der Welt werden.“
Und die Sicherheit der Transaktionen soll, na klar, über eine eigene Blockchain gewährleistet werden. Zur Finanzierung dieses Vorhabens verkauft das Unternehmen Lykke Coins. Jeder der mehr als 200 Mitarbeiter kann wählen, ob er sein Gehalt in dieser „Währung“ oder auf traditionelle Weise ausgezahlt bekommen will. Zetlmayer, ein ehemaliger Unternehmensberater, hat sich für die Coins entschieden.
Antrieb für die traditionellen Industrien
„Die Schweiz steht im Epizentrum einer kleinen Revolution im Finanzsystem“, sagt Richard Ettl, Chef der Smart Containers Group in Zug, die seit kurzem Kryptowährungen als Bezahlung für ihre Logistikdienste akzeptiert und ebenfalls ein ICO plant. Mit dem Erlös daraus und auf Basis einer selbst gebauten Blockchain, mit deren Hilfe Container autonom verwaltet werden können, glaubt Ettl das Geschäftsvolumen vervielfachen zu können. Eine neue Technologie soll also als Turboantrieb für traditionelle Industrien wirken? Dieser Gedanke dürfte mitgeschwungen haben, als der Schweizer Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (FDP) sagte, er hoffe, „dass in fünf oder zehn Jahren niemand mehr vom Crypto Valley Zug sprechen wird, sondern von der Crypto Nation Switzerland“.