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Interview : "Bushs hohe Haushaltsdefizite haben das Vertrauen in den Dollar beschädigt"

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Kenneth Rogoff

Kenneth Rogoff Bild: AP

Kenneth Rogoff gilt als einer der besten Kenner des internationalen Finanzsystems. Im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erläutert er die aktuelle Dollar-Schwäche und kritisiert die amerikanische Finanzpolitik.

          5 Min.

          Kenneth Rogoff gilt als einer der besten Kenner der Weltwirtschaft und des internationalen Finanzsystems. Im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erläutert der ehemalige Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF) und Harvard-Ökonom die Ursachen der aktuellen Dollar-Schwäche und kritisiert die amerikanische Finanzpolitik. China und andere asiatische Länder müßten dringend eine Aufwertung ihrer Währungen zulassen, um die globalen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft zu beseitigen, fordert Rogoff.

          Professor Rogoff, der Dollar steht seit einiger Zeit gehörig unter Druck. Was sind die Ursachen der Dollar-Schwäche?

          Es steht wohl außer Frage, daß dahinter vor allem das hohe und dauerhaft nicht tragfähige Defizit in der amerikanischen Leistungsbilanz steht. Der Dollar-Rutsch hat sich schon seit Jahren abgezeichnet. Die hohen Haushaltsdefizite unter Präsident Bush haben die Wahrscheinlichkeit einer Abwärtsbewegung des Dollar zur Gewißheit werden lassen. Der genaue Zeitpunkt der Kursbewegung läßt sich unmöglich genau erklären, das wachsende Bewußtsein der Öffentlichkeit für das Defizit-Problem hat aber wahrscheinlich wie ein Katalysator gewirkt.

          Sie sagten, das Leistungsbilanzdefizit sei in seiner aktuellen Höhe langfristig nicht tragfähig. Was genau bedeutet das?

          Theoretisch ist es natürlich möglich, daß die Vereinigten Staaten sich noch über zehn, fünfzehn Jahre hinweg im Ausland Geld leihen und ihre Nettoverschuldung gegenüber ausländischen Gläubigern auf 80 oder 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigt. Aber solche Nettoverbindlichkeiten von mehr als 20 Prozent des BIP sind äußerst ungewöhnlich für große Volkswirtschaften, zumal für die größte Ökonomie in der Welt, die Amerika derzeit ist. Ende dieses Jahres wird die Netto-Auslandsschuld rund 25 Prozent des BIP betragen.

          Daraus ergibt sich aber noch nicht zwangsläufig die Notwendigkeit einer Anpassung.

          Entscheidend ist, daß Amerika so ungeheuer viel Güter und Kapital aufsaugt. Wenn man die Leistungsbilanzüberschüsse von China, Japan, Deutschland und allen anderen Ländern, die einen Überschuß aufweisen, zusammenrechnet, entfallen davon rund drei Viertel auf die Vereinigten Staaten. Da bleibt nicht viel für den Rest der Welt übrig. Einige Leute halten es für möglich, daß das Leistungsbilanzdefizit Amerikas von derzeit mehr als 600 Milliarden Dollar auf mehr als 1 Billion Dollar klettern könnte. Das ist aber nur dann möglich, wenn der Rest der Welt noch größere Überschüsse im Handel von Waren und Dienstleistungen erzielt und in Amerika investiert. Das erscheint mir sehr unwahrscheinlich. Japan beispielsweise, das derzeit den größten Leistungsbilanzüberschuß aufweist, wird in sieben oder acht Jahren, wenn die Pensionierungswelle überschwappt, in Defizite rutschen.

          Spielt es denn eine Rolle, ob das Kapital, das nach Amerika strömt und mit dem es Waren im Ausland kauft, von privaten Investoren oder von ausländischen Regierungen, beispielsweise Zentralbanken, stammt?

          Ja, das spielt eine große Rolle. Unter normalen Umständen würde ich sagen, daß kräftige Kursbewegungen von Währungen sich nicht erklären geschweige denn vorhersagen lassen. Wenn es eine ganz offensichtliche Kurstendenz gibt, wird der Markt aufspringen und den Wechselkurs schnell auf sein neues Gleichgewichtsniveau treiben. Heutzutage sind aber asiatische Notenbanken bereit, selbst dann riesige Mengen Dollar als Währungsreserve zu horten, wenn sie mit einer Abschwächung des Dollar und darum mit einem Wertverlust rechnen müssen. Deshalb verdienen sich Hedge-Fonds eine goldene Nase, während Steuerzahler in Asien mit ansehen müssen, wie Hunderte von Milliarden Dollar verschwinden. Wir befinden uns also in der sehr ungewöhnlichen Lage, daß am Devisenmarkt eine eindeutige Neigung für eine fortgesetzte Abwertung des Dollar besteht. So ein Umfeld gibt es sonst nur in Schwellenländern zu beobachten, die sich verzweifelt darum bemühen, einen zu hohen Wechselkurs ihrer Währung zu verteidigen.

          Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur Verringerung des amerikanischen Leistungsbilanzdefizits, von höherer Ersparnis in Amerika bis zu stärkerem Wirtschaftswachstum im Rest der Welt. Was halten Sie für den wahrscheinlichsten Ausgang?

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