Finanzplatz London : Wie die Deutsche Bank zum größten Arbeitgeber in der City wurde
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Die Deutsche Bank in London Bild: Reuters
Vor 150 Jahren startete die Deutsche Bank in der City – heute ist sie hier der größte Arbeitgeber. Ein Gespräch mit UK-Chefin Tiina Lee über Risikokultur, Direktinvestitionen und auf Euro lautende Zinsderivate außerhalb der Euro-Zone.
Im März 1873 und damit nur knapp drei Jahre nach ihrer Gründung in Berlin eröffnete Deutschlands heute größtes Kreditinstitut seine Türen in London als Deutsche Bank London Agency. 150 Jahre später ist die Deusche Bank, auch wenn sie wegen des Brexits einige hundert Arbeitsplätze nach Mailand, Paris, Amsterdam und Frankfurt verlagert hat, größter Arbeitgeber in der City. 6000 bis 7000 Mitarbeiter arbeiten dort für die Deutsche Bank. Nach den Feiern zum 150. Jubiläum steht im Oktober schon das nächste Ereignis an: der Umzug aus dem Winchester House in ein neues Gebäude schräg gegenüber.
Allerdings hat die Geschichte der Deutschen Bank in Großbritannien auch Unterbrechungen und Schattenseiten. Nach den beiden Weltkriegen kehrte sie erst 1973 nach London zurück, und es dauerte weitere drei Jahre, bis dort aus einem Büro die erste Auslandsfiliale der Deutschen Bank überhaupt nach dem Zweiten Weltkrieg wurde. 1989 dann kaufte sie von der französischen Bank Indosuez ausgerechnet am Tag der Ermordung von Vorstandssprecher Alfred Herrhausen einen Großteil der Bank Morgan Grenfell, deren Investmentbanker mit ihren riskanten Geschäften sie anschließend nur schwer unter Kontrolle bekam.
UK-Chefin hält den Ton für wichtig
Tiina Lee, bald fünf Jahre Chefin der Deutschen Bank in Großbritannien und Irland und seit 26 Jahren für sie tätig, weiß: „Einen guten Ruf aufzubauen dauert lange, einen guten Ruf zu verspielen geht schnell.“ Auf die Frage, wie es die Deutsche Bank vermeiden könne, in der nach harter Sanierung ab Sommer 2019 nun gerade begonnenen Erfolgsphase wieder alte Fehler zu machen, antwortet die Tochter einer Finnin und eines Chinesen: „Nicht selbstzufrieden werden, fokussiert bleiben auf die Kunden und eine echte Risikokultur leben.“ Aber wie kann das gelingen? „Wir haben viel in Risikokontrollen investiert, aber es liegt auch viel am Ton, den wir als Führungskräfte der Bank setzen“, sagt Lee im Gespräch mit der F.A.Z.
In London betreibt die Deutsche Bank Investmentbanking, vergibt Kredite und organisiert den Zahlungsverkehr für Unternehmen und berät reiche Privatkunden in der Geldanlage (Wealth Management). Auf die Frage, ob die Deutsche Bank Pläne für einen Einstieg ins normale Privatkundengeschäft, etwa nach Vorbild der vor eineinhalb Jahren gestarteten und inzwischen erfolgreichen Digitalbank „Chase“ der US-Bank J.P. Morgan in Großbritannien habe, antwortet Lee: „Das ist nicht geplant.“ Aber man habe in den letzten Jahren fast drei Dutzend Mitarbeiter im Wealth Management eingestellt.
Finanzierungen für den Klimawandel
Viel Potential sieht Lee im Geschäft mit multinationalen Unternehmen. Deren Lenker fragten sich derzeit oft, wo sie investieren sollten angesichts vieler neuer staatlicher Fördermaßnahmen für eine klimaneutralere Wirtschaft. Lee hält die Reaktion der EU auf den amerikanischen Inflation Reduction Act für vielversprechend. Droht England im Subventionswettlauf unter die Räder zu kommen? Lee fürchtet das nicht: „Großbritannien hat zwar nicht dieselben fiskalischen Mittel wie die USA und die EU, aber es reicht, um fokussiert etwa Offshore-Windparks so zu fördern, dass die Windkraftanlagen vor der britischen Küste ausgebaut werden.“ Die Deutsche Bank habe in den vergangenen Jahren viele deutsche Unternehmen bei ihren Investitionen in Großbritannien finanziert. Ein Beispiel seien 115 Züge von Siemens für 1,7 Milliarden Pfund, die auf der neuen Nord-Süd-Verbindung in Londons Nahverkehr eingesetzt werden. Nach einem Rückgang des deutsch-britischen Handels durch Brexit und Corona-Pandemie rechnet Lee mit einer Fortsetzung der 2022 begonnenen Erholung und mit anziehenden Direktinvestitionen.
Einen Mangel an Fachkräften, wie er in Deutschland und auch am Finanzplatz Frankfurt gerade beklagt wird, gebe es in London nicht, berichtet Lee. „Auch nach dem Brexit ist die City ein globales Finanzzentrum, Menschen aus 150 Nationen arbeiten hier nicht nur für Banken, auch für Wirtschaftsprüfer und Anwaltskanzleien. „Der Pool an talentierten Nachwuchskräften ist einfach größer als anderswo“, sagt Lee.
In einer anderen Sache rät Lee zu Geduld. Europäischen Aufsichtsbehörden ist es bekanntermaßen seit dem Brexit-Votum im Juni 2016 ein Dorn im Auge, dass ein Großteil der meist direkt zwischen Banken untereinander gehandelten, auf Euro lautenden Zinsderivate (Swaps) in dreistelliger Billionenhöhe großteils außerhalb des Euroraums etwa durch das Clearing-Haus der Londoner Börse verrechnet und verwahrt wird. Der Marktanteil der zur Deutschen Börse gehörenden Eurex Clearing verharrt dagegen seit Jahren bei 20 Prozent. „Im Clearing-Geschäft verschieben sich Marktanteile nur langsam“, sagt Lee. Die Entscheidung darüber, wo das Euro-Clearing stattfinde, liege weniger bei den Banken, sondern an den Kunden, die sie mit dem Derivatehandel beauftragten. „Die internationalen Kunden, die wir in diesem Zins-Derivate-Geschäft bedienen, haben einige Optionen, wo sie es abwickeln: in Großbritannien, in den USA, in Europa“, erklärt Lee.