
Deutsche Bank mit gutem Lauf : Noch ist Sewing nicht im Ziel
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Christian Sewing Bild: dpa
Im Sommer 2019 begann die Sanierung der Deutschen Bank, die sich in diesem Quartal so richtig auszahlt. Doch kurz vor dem Ziel könnte Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing doch noch scheitern.
Vor einem Jahr sprach Christian Sewing davon, dass er sich bei Kilometer 30 auf einer 42 Kilometer langen Marathon-Strecke wähne. Dass es ab diesem Kilometerstand erst so richtig anstrengend werde, dessen war sich der Deutsche-Bank-Chef schon damals bewusst. Heute hat Sewing das Ziel vor Augen, und er könnte doch noch stolpern. Das ist nicht einmal unwahrscheinlich. Was Sewing dann bliebe wäre, dass er es mit diesem ersten Halbjahr 2022 allen gezeigt hat: Die Deutsche Bank kann Sewings Marathon gewinnen – wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Im ersten Halbjahr 2022 waren die Rahmenbedingungen zwar nicht perfekt, aber für die Deutsche Bank besser als für viele Wettbewerber. Das ist dem Fokus zu verdanken, den Sewing der Deutschen Bank im Sommer 2019 im für sie entscheidenden Investmentbanking verpasst hat: Kein globaler Aktienhandel mehr, nicht mehr so viel Beratung bei Unternehmenskäufen und Übernahmen (M&A), kaum Rohstoffhandel; statt dessen volle Kraft auf das, was die Deutsche Bank gut kann und wo ihre Marktanteile hoch sind: Auf den Währungshandel und den Anleihehandel. So begann Sewings Marathon im Sommer 2019.
Im zweiten Quartal 2022 lief es sehr gut
Und im zweiten Quartal 2022 ging genau in Sewings Fokusfeld die Post ab: Unternehmen benötigten Absicherungen gegen den bis unter die Parität zum Dollar fallenden Euro und gegen die nach der scharfen Zinswende fallenden Anleihekurse. Und die Deutsche Bank war zur Stelle, ihre Erträge im Währungs- und Zinshandel profitierten von der regen Kundenaktivität. Gegenüber den US-Wettbewerbern machte die Deutsche Bank somit Boden gut, zog den Sprint sozusagen noch einmal an.
Dass nach dem russischen Angriff auf die Ukraine das Geschäft mit Börsengängen (IPO) nahezu zum Erliegen kam und sich das M&A-Geschäft deutlich abschwächte, spürte die Deutsche Bank dagegen anders als US-Banken wie Goldman Sachs oder J.P. Morgan wegen ihrer ohnehin geringen Marktanteile dort kaum. Das Ergebnis der Deutschen Bank im zweiten Quartal 2022 kann sich mehr als nur sehen lassen: Der achte Quartalsgewinn in Folge und der höchste in einem zweiten Quartal seit elf Jahren. Sein Ziel einer Eigenkapitalrentabilität (RoTE) von 8 Prozent hat Sewing im ersten Halbjahr 2022 mit 7,9 Prozent nahezu erreicht. Aber bringt er es auch bis Jahresende ins Ziel? Zweifel sind angebracht.
Bleibt die Risikovorsorge im Rahmen?
Denn ein Grund, warum die Deutsche Bank im zweiten Quartal 2022 ihren Nachsteuergewinn um 46 Prozent steigern konnte, während Wettbewerber wie J.P. Morgan und Goldman Sachs Gewinnrückgänge zwischen 28 und 47 Prozent verzeichneten, liegt an der bisher noch sehr geringen Vorsorge für ausfallgefährdete Kredite. Fast hat man den Eindruck, als hätte sich Sewing jetzt noch nicht in seinem Zielsprint hat bremsen lassen wollen.
Sein Finanzvorstand James von Moltke gibt jedenfalls zu, er habe nur „ein bisschen Konservatismus“ bei der Bildung der Kreditrisikovorsorge einfließen lassen. Tatsächlich hat die Deutsche Bank in der Corona-Krise bewiesen, dass sie ein gutes Kreditbuch besitzt und ihren tatsächlich nötigen Wertberichtigungsbedarf gut abschätzen kann. Aber der jetzt aufziehende Sturm mit höheren Zinsen und einer drohenden Rezession wird von der Politik vermutlich nicht mehr so weich aufgefangen werden wie die Corona-Lockdowns. Es wird wahrscheinlich wieder zu mehr Unternehmensinsolvenzen kommen, zumindest dann, wenn Gas rationiert werden muss. Auf die dann ausfallenden Kredite haben sich andere Geldgeber wie die Commerzbank schon mit einer deutlich höheren Risikovorsorge vorausschauend eingestellt.
Die Deutsche Bank dagegen wartet anscheinend weitgehend erst einmal ab, bis sich die Kreditqualität in ihrem Kreditbestand tatsächlich messbar verschlechtert. Das kann man so machen. Aber möglicherweise ist dann das Ende des Marathons umso abrupter und schmerzhafter. Doch noch hat Sewing das Ziel vor Augen. Die Ziellinie ist sogar so klar erkennbar wie nie zuvor. Im zweiten Halbjahr muss die Deutsche Bank in einem ungeahnt schwierigen Geläuf besondere Trittfestigkeit beweisen.