
Draghi-Nachfolge : Eine verpasste Chance für die EZB
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Die Geldpolitik der EZB ist in Deutschland, vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade populär. Bild: dpa
Die Unabhängigkeit der Notenbanken ist ein hohes Gut. Wird eine EZB-Chefin Christine Lagarde sie verteidigen?
Am Ende haben Deutschland und Frankreich, die zwischenzeitlich wie die Verlierer aussahen, auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU doch eigene personalpolitische Vorstellungen durchsetzen können.
Während Ursula von der Leyen als Vorschlag für die EU-Kommissionspräsidentin (sie muss vom Europaparlament bestätigt werden) überrascht, hatte Christine Lagarde in den Überlegungen schon früher eine Rolle gespielt - allerdings als Nachfolgerin Jean-Claude Junckers in Brüssel und nicht als Nachfolgerin Mario Draghis in Frankfurt.
Nicht nur Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der ein fachlich und persönlich sehr gut geeigneter Kandidat für die Präsidentschaft der EZB gewesen wäre, zählt zu den Verlierern des Brüsseler Personal-Pokers. Die Bundeskanzlerin hatte schon lange den Vorsitz der EU-Kommission gegenüber der Präsidentschaft der EZB als die wichtigere Position präferiert und beide Positionen konnten nicht mit Vertretern aus Deutschland besetzt werden.
Das in Deutschland verbreitete Argument, Deutschland wäre „dran“ gewesen, einen Landsmann als EZB-Präsidenten zu bekommen, lässt sich auch auf die Präsidentschaft der EU-Kommission anwenden. Gleichwohl wird Merkels Strategie in Deutschland auch auf Kritik stoßen.
Denn auch der Ruf der Europäischen Zentralbank hat alleine durch die Einbeziehung in den Personalpoker gelitten, denn als von Regierungsweisungen unabhängige Institution hätte die Bestimmung ihres neuen Präsidenten keine nachgeordnete Rolle in den stundenlangen Versuchen der Staats- und Regierungschefs spielen dürfen, eine Reihe europäischer Spitzenpositionen gleichzeitig zu besetzen.
Christine Lagarde wäre vermutlich als Präsidentin der EU-Kommission besser geeignet gewesen, aber sie ist zweifellos eine respektable Kandidatin für die Präsidentschaft der Europäischen Zentralbank. Als langjährige Generaldirektorin des Internationalen Währungsfonds kennt sich Lagarde in der internationalen Finanzwelt bestens aus und ihre Feuerprobe als schwer aus der Ruhe zu bringende Krisenmanagerin hat sie in der Finanzkrise vor rund zehn Jahren und in der anschließenden Eurokrise abgelegt. Ökonomen beklagen, Lagarde sei studierte Juristin und keine Ökonomin - übrigens wie der Vorsitzende der amerikanischen Notenbank, Jerome Powell.
Aber Geldpolitik ist keine Geheimwissenschaft. Die EZB verfügt mit Philip Lane über einen versierten, international anerkannten Volkswirt, der die künftige Führung kundig unterstützen kann. Lane dürfte künftig eine Schlüsselrolle in der Formulierung der Geldpolitik der EZB erhalten. Und Lane steht, wie seine erste öffentliche Rede dieser Tage zeigte, in der durch Mario Draghi formulierten Tradition.
Niedrigzins ist globales Phänomen
Trotz der unzweifelhaften internationalen Statur Lagardes lässt sich eine Präsidentschaft Lagardes in der EZB als eine verpasste Chance begreifen, wenn sie mit einer Präsidentschaft Jens Weidmanns verglichen wird. Nicht, dass die EZB unter Weidmann eine fundamental andere Geldpolitik betreiben würde, in der sich der deutsche Herzenswunsch nach höheren Zinsen rasch manifestierte.
Die Vorstellung, man brauche nur einen Deutschen an der Spitze der EZB, um deutlich höhere Zinsen zu bekommen, hat viel mit realitätsfremdem Wunschdenken und gelegentlich mit Verschwörungstheorien, aber nichts mit ökonomischer Ratio zu tun. Wer den Blick über den nationalen Gartenzaun wagt, wird leicht erkennen, dass der Niedrigzins ein globales Phänomen ist - und globale Ursachen besitzt. In der internationalen Fachdiskussion ist dies längst akzeptiert.
Ein EZB-Präsident Weidmann hätte an der Zinspolitik wenig geändert, aber er hätte sehr wohl versucht, das in den vergangenen Jahren sehr enge Band zwischen der EZB einerseits und den Staaten sowie den Finanzmärkten andererseits zumindest ein wenig zu lockern. Nicht, dass dies sofort gelungen wäre. Aber der deutsche Wirtschaftsweise Volker Wieland hat vor Wochen auf Twitter einen möglichen Test für den künftigen EZB-Präsidenten beschrieben.
Was ist, wenn ein Mitgliedsland der Eurozone in Finanzierungsnöte gerät, weil es eine unsolide Finanzpolitik betreibt und ein mit wirtschaftspolitischen Strukturmaßnahmen verbundenes OMT-Programm (das Weidmann nicht mehr ablehnt) verweigert und statt dessen von der EZB Anleihekäufe ohne wirtschaftspolitische Zugeständnisse verlangte? Man könnte sich vorstellen, dass Weidmann in einer solchen Situation die Unterstützung verweigerte. Wie würde sich Lagarde verhalten? Schwer zu sagen.
Jedenfalls ist die Berufung von Lagarde kein Signal gegen die schleichende Politisierung der Geldpolitik. Denn nicht nur Lagarde hat früher als Ministerin in einer französischen Regierung gedient, auch der Vizepräsident der EZB, Luis de Guindos, war Minister in Spanien. Der Trend, dass ehemalige Politiker in die Zentralbankräte drängen, lässt sich nicht nur in der EZB beobachten. Er dient der Unabhängigkeit der Geldpolitik nicht.
Auch in einer zweiten Hinsicht lässt sich die Entscheidung der Bundeskanzlerin, nicht einer Entsendung Weidmanns an die Spitze der EZB den Vorzug zu geben, als eine verpasste Chance für die EZB begreifen. Auch wenn sich der größte öffentliche Unmut gelegt hat, ist die Geldpolitik der EZB in Deutschland, vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade populär.
Ein Präsident Weidmann hätte die Möglichkeit besessen, das Image der EZB in Deutschland zu verbessern, was auf lange Sicht für die Währungsunion vorteilhaft wäre. Immerhin steht zu erwarten, dass auch Lagarde, die sich auf Kommunikation sehr gut versteht, die Geldpolitik der EZB den Menschen besser erläutern kann als Draghi, der hierfür keine Antenne besitzt. Die langfristigen Folgen des Brüsseler Gipfels lassen sich heute dennoch allenfalls erahnen.