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Ratingagenturen : Politik machen mit Länder-Ratings

Eine der führenden amerikanischen Ratingagenturen könnte bald Konkurrenz bekommen Bild: dpa

Russland und China wollen eine gemeinsame Ratingagentur gründen. Die neue Agentur wirkt wie eine Kampfansage an Amerika.

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          Russland und China haben beschlossen, eine eigene Ratingagentur zu gründen. Nach einer Ankündigung Anfang Juni ist jetzt der Startschuss für das Projekt ertönt. „Unsere Vorstellung ist, dass die Ratings völlig unpolitisch sind“, hieß es in einer Erklärung des russischen Außenministeriums. Das ist eine Spitze gegen die großen, in Amerika ansässigen Ratingagenturen Standard & Poor’s (S&P), Moody’s und Fitch, denen Russland und China politische Einflussnahme vorwerfen – beispielsweise, als S&P Russland im Spannungsfeld der Ukraine-Krise Ende April auf eine Note über Ramschniveau herabstufte.

          Martin Hock
          Redakteur in der Wirtschaft.

          Auch in den heißen Jahren der Euro-Krise hatten europäische Politiker Herabstufungen der drei marktbeherrschenden, amerikanischen Ratingagenturen als einseitig verurteilt und eine europäische Agentur gefordert. Während dieses Vorhaben scheiterte, wurde indes die Regulierung verschärft. So ist es den Agenturen nun nur noch gestattet, Ratingänderungen zu bestimmten, im Vorhinein angekündigten Zeitpunkten vorzunehmen. Zudem ist eine Registrierung bei der Regulierungsbehörde ESMA erforderlich. Dort sind mittlerweile 25 Kreditbewerter registriert.

          Weltweit gibt es noch viel mehr Ratingagenturen. Doch die meisten wie etwa die Schufa oder Creditreform bewerten lediglich die Kreditwürdigkeit von Verbrauchern oder Unternehmen. Nur etwa zehn Agenturen weltweit beurteilen die Bonität von insgesamt 143 Staaten – das sind mehr als 70 Prozent aller Nationen. Der Fokus kleinerer Agenturen richtet sich dagegen auf die Erfordernisse der heimischen Wirtschaft. So schätzt etwa die zyprische Agentur Capital Intelligence neben der Kreditwürdigkeit des Heimatlands vor allem eine Handvoll arabischer Staaten ein.

          Nur vier Agenturen decken mehr als die Hälfte der Staaten ab

          Nur vier Agenturen decken mit je 100 bis 120 Ratings mehr als die Hälfte der Staaten ab. Das zeigt, wie bedeutend die Bewertungen der drei großen amerikanischen Agenturen sind – da kann mengenmäßig nur die staatliche chinesische Agentur Dagong mithalten. Allerdings vergibt Dagong viele Noten an Exotenstaaten, mit denen China Handelsbeziehungen unterhält. Weil China mit Dagong schon gut aufgestellt ist, braucht es eigentlich keine gemeinsame Ratingagentur mit Russland. Zumal China mit Chengxin noch eine zweite Agentur hat, die ihre Ratings (allerdings nur auf Chinesisch) veröffentlicht. Es liegt nahe, dass die Neugründung mehr ein Schulterschluss in der Ukraine-Krise gegen den gemeinsamen Gegenspieler ist: die Vereinigten Staaten.

          Ratings scheinen also ein Politikum zu sein, auch wenn die Abweichungen zwischen der durchschnittlichen Note der „großen drei“ und dem Durchschnitt aller Agenturen insgesamt eher unbedeutend sind: Bei weniger als jedem dritten Land gibt es überhaupt eine Abweichung. Lediglich in vier Fällen beträgt diese mehr als eine Notenstufe. Einige Abweichungen erklären sich auch dadurch, dass manche Agenturen ihre Einschätzungen vergleichsweise selten ändern. So bewertet die japanische JCRA Spanien mit „AA“ immer noch um sechs bis sieben Notenstufen besser als die Wettbewerber.

          Die Heidelberger Wirtschaftswissenschaftler Andreas Fuchs und Kai Gehring kamen in einer Analyse zu dem Schluss, dass es einen grundsätzlichen „Home Bias“ gibt, also eine Neigung, das eigene Land und kulturell verwandte Länder besser zu bewerten. Das dürfte etwa auf die japanischen Agenturen R&I und JCR zutreffen, die ihr Heimatland mit den Bestnoten „AAA“ bzw. „AA+“ einschätzen. Das Urteil aller anderen Agenturen ist dagegen mit „AA-“ einhellig schlechter.

          Nicht alle Abweichungen lassen sich aber so erklären. Auffällig ist etwa, dass Dagong die Vereinigten Saaten sowie deren treueste arabische Bündnispartner Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate drastisch schlechter bewertet als andere Agenturen. Das gilt nicht nur im Vergleich zu den „großen drei“: Auch Capital Intelligence vergibt mit „A“ eine um neun (!) Stufen bessere Note an Oman als die chinesische Ratingagentur. Interessanterweise bewertet Dagong den amerikanischen Bündnispartner Saudi-Arabien mit einer Note, die denen der anderen Agenturen gleichkommt. Die Erklärung ist einfach: Saudi-Arabien ist Chinas Hauptlieferant für Erdöl. China selbst wird von Dagong mit der Bestnote „AAA“ bewertet. Die Bewertung anderer Agenturen liegt tendenziell drei Stufen darunter. Will man also einer Agentur politische Interessen unterstellen, dann vielleicht vor allem Dagong. Doch das kommt wohl auf die Sichtweise an.

          Auch in Russland ist man skeptisch, ob die neue Ratingagentur so neutral wird wie behauptet. Kirill Tremassow, Analyst der Nomos-Bank, glaubt zwar, dass ihr Aufmerksamkeit zuteil wird. Sie werde aber erst beweisen müssen, wie neutral sie wirklich ist. Zunächst sind aber wohl keine Konflikte zu erwarten. Denn die neue Agentur soll für den Anfang nur gemeinsame Investitionsprojekte beider Länder bewerten.

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