Das Banknoten-Paradoxon : Warum ist die Bargeld-Nachfrage so stark?
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Nur Bares ist Wahres? In der Pandemie gehen viel offenbar lieber auf Nummer sicher. Bild: dpa
Ein Zuwachs im Krisenjahr um mehr als 130 Prozent: Warum steigt die Nachfrage nach Euroscheinen in der Pandemie, obwohl die meisten mit Karte zahlen?
Die Europäische Zentralbank beschäftigt sich in ihrem neuesten „Economic Bulletin“ mit einer ungewöhnlichen Frage: Warum steigt in der Corona-Krise die Nachfrage nach Bargeld, obwohl immer mehr Menschen mit Karte zahlen? Das Phänomen ist nicht ganz neu, aber es fällt jetzt besonders auf. Das „Banknoten-Paradoxon“ haben Ökonomen diesen Widerspruch getauft: Der vermehrte Karteneinsatz geht nicht mit einer sinkenden, sondern mit einer steigenden Bargeldnachfrage einher.
Im Krisenjahr 2020 war das besonders markant, wie Studienautor Alejandro Zamora-Pérez schreibt. Mit der Ausbreitung von Corona in Europa und den ersten Lockdowns im Frühjahr stieg die Bargeldnachfrage außergewöhnlich, sie blieb aber bis zum Jahresende hoch. „In beiden Vorjahren lag die Nettoausgabe von Euro-Banknoten im Dezember bei rund 61 Milliarden Euro, während sie 2020 bei mehr als 141 Milliarden Euro lag“, schreibt die EZB. Das ist ein Zuwachs um mehr als 130 Prozent. Ende des Jahres waren Eurobanknoten im Wert von 1,435 Billionen Euro im Umlauf – ein Plus gegenüber dem Vorjahr von 11 Prozent. Dies soll der höchste Anstieg seit der Insolvenz von Lehman Brothers gewesen sein. Und das, obwohl die Wirtschaftsleistung der Eurozone stark durch die Pandemie beeinträchtigt war, viel weniger im stationären Handel gekauft wurde und viele Leute auch dort vorsichtshalber mit Karte zahlten. In Umfragen der EZB gaben immerhin 40 Prozent der Befragten an, in der Pandemie mehr mit Karte zu zahlen.
Eine Erklärung, die in normalen Zeiten gern zur Auflösung des Banknoten-Paradoxons angeführt wird, räumt die EZB ab: den Einsatz des Euros im Ausland. In Ländern außerhalb des Euroraums mit weniger stabilen Strukturen wird für Geschäfte oft auf den Euro zurückgegriffen und dann meistens auf Bargeld. Laut Schätzung werden 30 bis 50 Prozent der Eurobanknoten daher außerhalb der Eurozone gehalten, 20 bis 22 Prozent entfallen auf Transaktionen innerhalb der Eurozone und 28 bis 50 Prozent auf das Horten im Euroraum. Nur: In der Pandemie war der Transport von Euro ins Ausland schwach. Es kamen sogar mehr Scheine in die Eurozone als hinausflossen. Das kann also diesmal nicht der Grund gewesen sein.
Auch die Vorstellung, dass die Notenbank einfach mehr Bargeld druckt und unters Volk bringt, scheint es nicht zu treffen. Zwar ist auch die gesamte Geldmenge in der Krise kräftig gestiegen, dabei spielt die Geldpolitik eine wichtige Rolle. Speziell beim Bargeld aber war es offenbar so, dass vor allem die Rückläufe von Banknoten in der Krise sehr niedrig sind. Die Leute haben Bargeld, das im Umlauf ist, einbehalten. Das deutet darauf hin, dass Haushalte ihre Barbestände erhöhten. Vielleicht aus Vorsicht oder um den Lieferdienst bezahlen zu können, wenn der keine Karte nimmt. Die EZB nennt „Unsicherheit“ und „eingeschränkte Mobilität“ als Gründe. Auch in früheren Krisen sei eine höhere Bargeldnachfrage zu beobachten gewesen, und zwar relativ unabhängig von der Art der Krise, berichtet die EZB. Das sei bei der Technik-Krise im Jahr 2000 nicht viel anders gewesen als in der Finanzkrise oder bei Naturkatastrophen wie Erdbeben, schreibt die Notenbank: „Das deutet auf eine wichtige Rolle hin, die physisches Bargeld bei der erfolgreichen Krisenbewältigung zu spielen scheint.“